Online-Handel:Zalando drängt in die Innenstadt

Zalando To Launch IPO

Der Versandhändler Zalando testet derzeit Ladengeschäfte in Berlin und Frankfurt.

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)
  • Online-Händler wollen Erfahrungen aus dem klassischen Einzelhandel sammeln. Viele von ihnen betreiben bereits eigene Filialen, mit steigender Tendenz.
  • Die ist auch eine Reaktion auf stationäre Händler, die ihrerseits Produkte nun auch online anbieten.

Von Kirsten Bialdiga, Düsseldorf

An überlangen Kleiderstangen hängen Hose an Hose. Rechteckige Holzregale sind mit Schuhen gefüllt. Von der Decke ragen Neonröhren kreuz und quer herunter, der Boden ist so grau wie die Vorhänge der Umkleidekabinen. Der Outlet-Store von Zalando in Frankfurt hat mehr Ähnlichkeit mit einer Fabrikhalle als mit einem Geschäft. Und doch ist der Laden in zentraler Lage eine kleine Sensation - er steht für einen Trend, der den Einzelhandel von Grund auf verändern könnte.

Denn Zalando ist eigentlich ein Online-Versandhändler: Kunden klicken auf die Homepage und bestellen eines der 150 000 Produkte im Internet. Dann lassen sie es sich nach Hause liefern - und schicken es zurück, wenn es nicht passt oder nicht gefällt. So lief das bisher. Doch jetzt hat das Berliner Unternehmen, das längst zu den Etablierten der Szene zählt, in diesem Jahr schon seinen zweiten richtigen Shop eröffnet. Reichen die virtuellen Warenwelten etwa doch nicht aus, um auf Dauer im Einzelhandel erfolgreich zu sein?

Zalando wiegelt ab. Die Outlet-Stores dienten vor allem dazu, Ladenhüter oder Artikel zweiter Wahl zu verkaufen, heißt es dort. Im stationären Handel liege "längst nicht der strategische Fokus", betont Zalando-Vorstand Rubin Ritter stets. Weitere Filialen zu eröffnen, sei nicht geplant.

Für Handelsforscher steht hingegen längst fest, dass Online-Händler nun auch verstärkt in der realen Einkaufswelt Erfahrungen sammeln wollen. Ob Elektronikanbieter wie Cyberport und Notebooksbilliger, der Möbelhändler Fashion4Home, Müsli-Experte My-Müsli oder der Surfer- und Snowboard-Spezialist Blue Tomato - sie alle betreiben schon eigene Filialen. Mit steigender Tendenz: Das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) erwartet, dass Online-Händler in den nächsten fünf Jahren in Deutschland etwa 2500 Ladengeschäfte eröffnen. Da müssen noch einige hinzukommen, denn der Studie zufolge sind es bisher weniger als 100.

Was ist technisch möglich, was kommt beim Kunden an?

Doch was reizt die Internethändler daran, sich mit den Kosten eines realen Shops zu belasten? Thomas Täuber, Geschäftsführer und Handelsexperte bei der Unternehmensberatung Accenture, meint: "Die Kunden wollen nicht nur online bestellen. Sie wollen die Produkte anfassen können und auch beraten werden." Wer das bieten könne, werde sich auf Dauer im Handel besser behaupten. Da die klassischen Einzelhändler mit ihren Internet-Angeboten immer stärker würden, müssten sich nun ihrerseits auch die Online-Händler auf unbekanntes Terrain vorwagen. Zumal die Konkurrenten, Handelskonzerne wie etwa Rewe oder Metro, in der Regel über eine viel größere Finanzkraft verfügen als ein Internet-Start-up. Der stationäre Handel sei für den E-Commerce allerdings eine große Herausforderung.

Bisher wagen sich nur wenige Online-Händler so weit vor wie Zalando. Die meisten befinden sich noch in der Testphase. Pop-up-Stores, die nur für kurze Zeit eröffnen, sollen die fehlenden Erkenntnisse über den stationären Handel liefern. In Großbritannien wurde jüngst sogar ein Unternehmen gegründet, das Flächen für Pop-up-Stores zur vorübergehenden Nutzung vermittelt.

Nicht jeder Online-Anbieter traut sich das ohne Unterstützung zu. Das Internet-Auktionshaus Ebay etwa tat sich mit Metro und dem Online-Bezahldienst Paypal zusammen, um in dem Bremer Einkaufszentrum Weserpark einen Testshop zu eröffnen. Hier wollen die drei Partner wie in einem Labor ausprobieren, was technisch möglich ist - und was davon beim Kunden wirklich ankommt.

Auf den ersten Blick wirkt der kleine Laden wie ein Ausstellungsraum. Auf weißen, aufrecht gestellten Quadern werden die Waren ähnlich präsentiert wie im Museum. Nur dass die Kunden alles anfassen dürfen und sollen. Ebay wolle die Grundbedürfnisse erfüllen, aber die Käufer zugleich auch emotional ansprechen, beschreibt Stephan Zoll, Vizechef von Ebay in Deutschland, die Herangehensweise.

Im Beratungsgespräch erfahren Händler sehr viel über Kunden

Alle 14 Tage wechselt das Sortiment in dem Interims-Shop komplett, um den Betreibern Erkenntnisse darüber zu ermöglichen, welche Warengruppen besonders gefragt sind. Der Kunde kann wählen, ob er die Artikel direkt im Geschäft kauft oder im Internet. Dabei garantieren dem Händler elektronische Preisschilder, dass sich die Preise nicht zu weit vom aktuellen Niveau im Netz entfernen: Er kann sie jederzeit anpassen. Bei der Anprobe von Kleidungsstücken ermöglicht ein digitaler Spiegel eine 360-Grad-Ansicht. Und die Bezahlung ist per Smartphone und Paypal möglich. Nicht einmal durch die Öffnungszeiten werden dem Kunden Grenzen gesetzt. Ein überlebensgroßes Display ("Digital Shopping Wall") außerhalb des Geschäfts mit dem vollständigen Sortiment macht den Einkauf auch nach Ladenschluss möglich.

Doch Mitte Januar schließt der Laden wie geplant wieder. Ebay, Metro und Paypal glauben, bis dahin erst einmal genug Erkenntnisse über den Kunden von morgen gesammelt zu haben. Von den Ergebnissen macht Ebay-Manager Zoll abhängig, ob und wo weitere Läden eröffnet werden. Ähnlich äußert sich Metro-Chef Olaf Koch: "In erster Linie geht es darum, Erfahrungen zu sammeln."

Für Accenture-Fachmann Täuber steht schon heute fest, dass Ladengeschäfte sehr wichtig bleiben, um Käufer dauerhaft an sich zu binden. "Gerade im Beratungsgespräch erfahre ich sehr viel über meinen Kunden und kann ihn auch besser steuern." Dass auch den Kunden die Läden nach wie vor wichtig sind, hat eine repräsentative Umfrage von Accenture bestätigt. Demzufolge wollen 16 Prozent der Deutschen künftig wieder mehr in richtigen Geschäften einkaufen. Im Vorjahr waren es nur neun Prozent.

Was ist die beste Kombination?

Bis die Online-Händler mit ihren Shops und der Kundenberatung vor Ort dem klassischen Handel aber ernsthaft Konkurrenz machen können, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Den größten Erfahrungsvorsprung habe der stationäre Handel im persönlichen Umgang mit den Kunden, meint Täuber. Bisher hätten sich die Online-Händler ihnen vor allem analytisch genähert. Vorlieben würden mit mathematischen Modellen aus dem Einkaufsverhalten im Internet abgeleitet. Dem Kunden aber das Gefühl zu geben, "wir kennen dich, wir verstehen dich mit all deinen Eigenheiten", das sei für die Online-Händler neu. Eine besondere Herausforderung liegt dem Berater zufolge darin, geeignete Verkäufer zu finden. Die müssten einerseits hip sein und zur Marke passen, andererseits die klassischen Qualitäten mitbringen.

So wird es wohl in nächster Zeit noch viele Shops von E-Commerce-Anbietern geben, die hie und da mal für kurze Zeit öffnen, eine Zeit lang schillern und dann wieder schließen. So lange, bis die optimale Kombination aus den jeweiligen Vorteilen des On- und des Offline-Handels gefunden ist. In einigen Jahren wird der Kunde im Idealfall gar nicht mehr unterscheiden können, ob er sich in dem Geschäft einer Firma befindet, die im Internet groß wurde. Oder in dem Geschäft eines klassischen Händlers. Handelsexperte Täuber: "Gewinner ist am Ende derjenige, der die beste Kombination aus beiden Welten findet."

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