Süddeutsche Zeitung

Online-Handel:Die Macht der Kunden

Obwohl Online-Portale technisch in der Lage wären, personalisierte Preise zu erstellen, verzichten sie darauf. Dabei geht es auch um ihr Image.

Von Janis Beenen, Dortmund

Nur mal schnell im Online-Shop geschaut, welche Sommerhemden der Lieblingsmarke im Angebot sind. Was danach beim Surfen im Internet ständig aufpoppt, ist klar: Werbung für Sommerhemden der Lieblingsmarke.

Online-Händler sammeln und analysieren Daten zum Verhalten ihrer Kunden, um personalisierte Werbung auszuspielen. Daran haben sich viele Verbraucher gewöhnt. Doch mit ähnlicher Software können Anbieter noch mehr anstellen. Auf Grundlage personenbezogener Informationen wie Endgerät, Standort oder bisherigen Käufen ist es möglich, einen individuellen Preis für jeden Interessenten zu errechnen. Das heißt: Für den konsumfreudigen iPhone-Besitzer in München wird das Oberteil im Online-Shop teurer als für den eher sparsamen Android-Nutzer in Gelsenkirchen. Es geht darum, die maximale Zahlungsbereitschaft eines Einzelnen auszuschöpfen und so mehr zu verkaufen.

Eine Untersuchung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zeigt nun: Obwohl Online-Portale technisch in der Lage wären, personalisierte Preise zu erstellen, verzichten sie darauf. Zu groß ist offenbar die Sorge um den Ruf. Bei ihrer Erhebung haben die Münsteraner Wirtschaftsinformatiker die elf Onlinehändler für Textilien, Elektronik und Gemischtes überprüft, die den größten Umsatz in Deutschland erzielen - darunter etwa Otto und Tchibo. Neben einer Befragung von Studierenden haben die Wissenschaftler verschiedene Benutzerprofile programmiert. "Wir haben zum Beispiel einen Frankfurter Fußballanhänger und einen Gucci- und Rolex-Fan dargestellt", sagt Joschka Hüllmann, einer der Autoren der Studie. Zur gleichen Zeit haben diese Accounts automatisch immer wieder die Preise von mehr als 850 Artikeln abgefragt. Das Ergebnis überrascht die Forscher. Sie hätten keine voneinander abweichenden Preise feststellen können, sagt Hüllmann.

Mila Vogelsang von der Universität Passau forscht ebenso zu Preismanagement. Sie erklärt, warum Geschäfte im Netz auf personalisierte Preise verzichten. "Gerade bei Standardprodukten haben Kunden ein hohes Preiswissen", sagt sie. Enorme Unterschiede zwischen Käufern würden vermutlich rasch auffallen. Das bestätigt auch ein Sprecher des Versandhauses Otto: Die Verbraucher seien gut vernetzt und würden sich in Foren über Angebote austauschen.

"Wenn die Preise bei einzelnen Personen deutlich voneinander abweichen würden, hätten Kunden das Gefühl unfair behandelt zu werden", sagt Vogelsang. Der Reputationsschaden wäre für die Firmen wohl enorm. Ein bisschen Macht und Einfluss auf die Geschäftsmodelle der Anbieter haben die Kunden offenbar auch im Online-Handel bewahrt. Dennoch versuchen manche Händler, die personalisierten Preise mit Hilfe eines Kniffs einzuführen. Dazu bieten sie gleichzeitig individualisierte Angebote, zum Beispiel eine Kombination aus Flug und Hotel. "Die Kunden können die einzelnen Preise nur schwer auseinanderdividieren und vergleichen", sagt Vogelsang. Eine weitere Abwandlung personalisierter Preise sind personalisierte Rabatte. "Bei intelligenten Coupons erhält der Käufer einen speziellen Nachlass", sagt Vogelsang. Dieser sei auf Interessen zugeschnitten, die sich aus den Kundendaten ergeben. "Das ist zwar auch personalisiert. Doch die Akzeptanz ist höher, da der Kunde weniger zahlen muss", sagt Vogelsang.

Obwohl individuelle Preise nur in abgewandelter Form existieren, rät Forscher Hüllmann, den Markt permanent zu beobachten. Hüllmann verweist auf die technischen Möglichkeiten. "Die Händler können diese Preise jederzeit an- und ausschalten."

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Quelle:
SZ vom 31.05.2019
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