Süddeutsche Zeitung

Online-Handel:Das sind die Tricks der Buchungsportale

  • Mit Sprüchen wie "nur noch zwei Zimmer auf unserer Seite verfügbar" treiben Reiseanbieter die Kunden zur Buchung.
  • Obwohl die Druckmittel oft substanzlos sind, wirken sie. Deshalb lassen sich die Onlinehändler immer neue Kniffe einfallen.
  • Zusätzlich wollen sie in Zukunft sensible Kundendaten analysieren, um den Profit weiter zu steigern.

Von Janis Beenen, Hans von der Hagen und Felicitas Wilke

Die Reise zu einer Hochzeit im Osten der Slowakei ist lang, da braucht es einen Zwischenstopp mit Übernachtung. Laptop aufklappen, ein Reiseportal befragen. Im 32 000-Einwohner-Städtchen Bardejov irgendwo zwischen Krakau und Košice wird sich doch ein Zimmer finden lassen. Allerdings nicht mehr lang, wenn es nach dem Reiseportal geht. Selbst hier, in einer aus deutscher Sicht eher entlegenen Ecke Europas, ist jede kleine Pension "sehr gefragt", sind "nur noch zwei Zimmer auf unserer Seite verfügbar" oder hat "zum letzten Mal vor zwei Minuten" jemand gebucht. Jetzt aber schnell!

Buchungsplattformen verknappen. "Greif zu, sonst ist es zu spät!" Dieses Gefühl wollten sie schon immer vermitteln. Doch die Strategien der Onlineportale haben sich geändert. Blieben sie früher nicht immer bei der Wahrheit, wenn sie ein Hotelzimmer als heiß begehrt bewarben, setzt ihnen die Justiz heute engere Grenzen. Dafür tüfteln die Anbieter an neuen Strategien, wie sie ihre Produkte unter die Menschen bringen.

Die Kunden sind gewarnt. Viele Onlineportale gingen mit den psychologischen Kniffen in der Vergangenheit zu weit. Neben Hotelbuchungsportalen alarmierte zum Beispiel auch der Onlinehändler Zalando mit pauschalen Formulierungen. Von der Jeans oder dem Paar Sneakers seien nur "noch drei Artikel verfügbar". Nur: Das stimmte nicht. Teilweise waren mehr Zimmer vakant und mehr Waren auf Lager als behauptet. Die Justiz und die Wettbewerbszentrale als Selbstkontrolle der Wirtschaft schritten ein und untersagten, die Verbraucher derart in die Irre zu führen.

"Soweit wir wissen, halten sich die Anbieter an die Regeln", sagt Andreas Ottofülling, der das Münchner Büro der Wettbewerbszentrale leitet. Dennoch versuchen es die Firmen weiter. Solange sie bei der Wahrheit bleiben, dürfen die Unternehmen ihre Güter durchaus als knapp bewerben. "Es ist rechtens, zu sagen, dass Hotelzimmer nicht unendlich verfügbar oder Waren begrenzt auf Lager sind, wenn das wirklich so ist", sagt der Jurist. Doch wenn falsche Zahlen genannt würden, verstoße das Portal oder der Händler gegen geltendes Recht.

Inzwischen heißt es bei Portalen wie Booking.com, es seien "nur noch zwei Zimmer auf unserer Seite verfügbar". Diese Aussage lässt erahnen, was schon immer galt: Erkundigt man sich bei anderen Plattformen oder beim Hotel, können weitere Zimmer frei sein. "Daher raten wir, bei solchen Verkaufsargumenten ruhig zu bleiben und zur Sicherheit beim Hotel anzurufen", sagt Oliver Buttler von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.

Die meisten wissen vermutlich, dass die Händler sie manipulieren wollen. Warum funktionieren die Druckmittel dennoch? "Allein schon die behauptete Knappheit wird dazu führen, dass ein Produkt als wertvoller eingeschätzt wird", erklärt Georg Felser, Professor für Konsumpsychologie an der Hochschule Harz: "Denn die Knappheit ist ein Angriff auf unsere Freiheit, immer über ein bestimmtes Produkt zu verfügen." Das lasse Kauf- und Zahlungsbereitschaft steigen. Ähnlich ist es mit den fünf Leuten, die sich das Hotel angeblich gerade anschauen. "Die Tatsache, dass andere etwas wollen, signalisiert einem zusätzlich, dass ein Produkt oder ein Hotelzimmer eine besondere Qualität haben muss", sagt der Wissenschaftler. "Wenn Sie mittags in die Kantine gehen, erkennen Sie anhand der längsten Schlange rasch das Gericht, das wahrscheinlich am leckersten ist. Das ist eine automatisch ablaufende Reaktion."

Eine neue Strategie, die Verbraucherschützer beobachten, sind Suggestivfragen, die mit Ängsten spielen. Entscheiden sich Kunden etwa gegen eine Reiserücktrittsversicherung, heißt es: "Sind Sie sicher, dass Sie das nicht möchten?" Wettbewerbsrechtlich ist das legitim, solange den Menschen nicht suggeriert wird, sie riskierten Leib und Leben, wenn sie sich nicht versichern. Einmal mehr sollten Kunden aber nicht vorschnell Häkchen setzen, sagt Verbraucherschützer Buttler. "Denn oftmals haben Reisende ohne es zu wissen bereits Versicherungsschutz über bestehende Versicherungen." Zum Beispiel durch Kreditkarten oder Mitgliedschaften.

Fair sind die Methoden aus Sicht vieler Verbraucher nicht. Das wissen auch die Fachleute beim Bundesverband Digitale Wirtschaft. Der BVDW vertritt Onlinefirmen. "Wir hinterfragen Modelle der Preisgestaltung kritisch", sagt Oliver Bohl, der sich beim BVDW um den digitalen Handel kümmert. Er rechtfertigt das Geschehen im Netz mit Parallelen zum Verkauf im Laden. Ehe der potenzielle Käufer geht, reiche der Autohändler noch ein Tässchen Kaffee und stelle Gratisfelgen in Aussicht. Nichts anderes passiere online: "Will der Nutzer die Seite verlassen, poppt vielleicht noch ein Rabattangebot auf."

Längst basteln die Firmen auch an alternativen Möglichkeiten, den Profit zu steigern. "Personal Pricing", also personalisierte Preisgestaltung, heißt ihre Hoffnung. Auf Basis des Nutzungsverhaltens sollen Algorithmen die maximale Zahlungsbereitschaft des Einzelnen ermitteln. Die Zahl der Seitenbesuche, die Kaufhistorie oder das Verhalten in den sozialen Medien entscheiden. Teilt der Konsument Produkte einer Marke auf seinen Accounts, ist er wohl bereit, mehr zu investieren. Letztlich, so ist von Branchenvertretern zu hören, werden die meisten mehr zahlen als bislang.

BVDW-Mann Bohl erläutert: "Der stationäre Handel ordnet Kunden ebenfalls ein." Schon Tante Emma habe gewusst, wann sie eine Rabattmarke rausrücken muss und wer vermögender ist. Wo sich dieses Beispiel heute finden lässt, bleibt allerdings offen. Im Supermarkt jedenfalls zahlt jeder gleiche Preise. Und: Tante Emma hatte wohl nicht so ein tolles Gedächtnis wie die Technik hinter Onlineshops.

Die Kunden könnten misstrauisch werden

Christoph Lesch vom Beratungsunternehmen Simon-Kucher hilft Firmen bei der Preisfindung im Netz. Die Lufthansa arbeite zum Beispiel an Personal Pricing. In der Praxis finde es aber noch nirgends standardmäßig statt. Ob das stimmt, ist schwer zu überprüfen. Denn fast alle Onlinehändler stellen Überlegungen zu individuellen Preisen an. Noch sind aber entscheidende Probleme nicht gelöst. Unklar ist, wie die Öffentlichkeit und Aufsichtsbehörden auf die Revolution der Preisgestaltung reagieren.

Die Kunden könnten zudem misstrauisch werden, wenn sich die Preise bei unterschiedlichen Anfragen und Nutzern deutlich unterscheiden. Das Fairnessgefühl wäre verletzt. "Damit individualisierte Preise kommen, müssen auch die Angebote individueller werden", sagt Lesch. Denn wo die Vergleichbarkeit schwierig wird, sind Preisunterschiede einfacher zu vermitteln. "Airlines könnten dem Kunden ein personalisiertes Paket anbieten", sagt Lesch. Zum Beispiel mit Essen an Bord und Zugang zum Lounge-Wartebereich. Dass die Kosten ebenfalls individuell zusammengestellt sind, wäre schwieriger zu erkennen als beim einfachen Flug.

Ein Ende der psychologischen Druckmittel werden individuelle Preise aber nicht bringen. Dazu sind die Effekte aus Sicht der Fachleute zu mächtig.

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Quelle:
SZ vom 11.06.2018
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