Für Tausende chinesische Onlinehändler führt der Zugang zu deutschen Kunden über Seattle. Dort sitzt der weltgrößte Handelskonzern Amazon und betreibt seine Plattform Marketplace. Amazons globaler Marktplatz verbindet Drittanbieter und Käufer aus aller Welt: Die Kunden kaufen wie gewohnt auf der Website des Versandhauses ein, die Ware aber stammt von externen Händlern. Amazon lässt sich dann die Vermittlung des Geschäftes und den Versand bezahlen.
Nach Berechnungen des Instituts für Handelsforschung aus Köln nahm der Konzern so im Jahr 2016 allein in Deutschland etwa zwölf Milliarden Euro ein. Aber das lukrative Geschäftsmodell ist auch ein Einfallstor für Steuerhinterziehung.
Durch Recherchen von Süddeutscher Zeitung und WDR wurde im März bekannt, dass mindestens dreitausend chinesische Verkäufer den Marktplatz für Geschäfte in Deutschland nutzten, ohne eine Steuernummer angegeben zu haben. Die Registrierung bei den Finanzämtern ist Pflicht, wenn die Ware innerhalb der EU an die Kunden versendet wird. Bei jedem Verkauf fällt Umsatzsteuer an, und die haben sich viele der Händler offenbar sparen können. So konnten sie ihre Produkte - beispielsweise Handtaschen, billige Toaster oder Ladekabel - günstiger anbieten als Konkurrenten, die ihre Steuern ehrlich abführten.
Exklusiv Online-Handel:Die Millionen-Masche der Amazon-Händler
Tausende Anbieter aus China und Hongkong nutzen die laxen Regeln bei Amazon. Sie verkaufen über das Portal Ware in der EU - und zahlen mutmaßlich keine Steuern.
Dabei wollten die Beamten des Finanzamts Berlin-Neukölln offenbar nicht länger zusehen. Das Amt ist für alle chinesischen Unternehmen zuständig, die auf dem deutschen Markt agieren wollen. Wer also aus China über Amazon in Deutschland Waren verkaufen will, muss sich in Neukölln registrieren. Nach Recherchen von WDR und Süddeutscher Zeitung führten sogenannte Auskunftsersuchen der Berliner Steuerfahndung dazu, dass Amazon mehr als 500 verdächtige Händler aus China von Geschäften über Amazon Marketplace ausschloss. Ihre Waren wurden in "Quarantäne" genommen, die Verkäufer haben keinen Zugriff mehr auf das, was noch in den Lagern und Verteilzentren des Unternehmens liegt.
Und der Druck der Finanzverwaltung zeigt auch an anderer Stelle Erfolge: Die Zahl der in Neukölln registrierten Onlinehändler aus China hat sich seit Mai 2017 mehr als verdoppelt, auf heute über 1900. Die Ermittler gehen aber davon aus, dass immer noch Tausende Händler unentdeckt bleiben. Das vermutet auch der zuständige Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen: "Wir haben jetzt vielleicht zehn Prozent der Arbeit hinter uns und 90 Prozent vor uns."
Amazon gibt sich kooperativ
Um weitere Steuersünder aufzuspüren, werten die Fahnder die Amazon-Website systematisch aus und löchern den Konzern mit Auskunftsersuchen. Erst diese Anfragen zwingen Amazon, das Problem ernst zu nehmen. Denn wenn die Steuerbehörden das Unternehmen über mutmaßliche Hinterzieher informieren und diese die Plattform weiter nutzen dürfen, könnte der Konzern wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung belangt werden.
Amazon teilte auf Anfrage mit, das Unternehmen setze sich "jederzeit für die Einhaltung steuerrechtlicher Verpflichtungen ein" und unterstütze die Verkäufer mit Informationen und Trainings dazu. Wenn das Amazon von deutschen Steuerbehörden benachrichtigt werde, dass Verkäufer ihren steuerrechtlichen Pflichten nicht nachkommen, würden diese Verkäufer-Konten umgehend gesperrt. Kollatz-Ahnen hält das Vorgehen des Konzerns dagegen für unzureichend: "Amazon bietet den China-Händlern ein Rundum-sorglos-Paket. Amazon lagert die Waren, verschickt sie, wickelt alles ab. Nur bei der Umsatzsteuer unterstützt Amazon die Händler nicht. Wir glauben nicht, dass dies Zufall ist."