Während Bjørn Gulden spricht, läuft in Paris Cassandre Beaugrand über die Ziellinie. „Unsere zwölfte Goldmedaille“, kommentiert der Adidas-Chef zufrieden. Denn im Denken der Sportartikelindustrie gilt bei Olympischen Spielen weniger der nach Nationen, sondern ein nach Marken sortierter, inoffizieller Medaillenspiegel. Und die Französin gewann den Triathlonwettbewerb in Adidas-Ausrüstung. „Ich bin sehr stolz auf unsere Sichtbarkeit“, sagt Gulden mit Blick auf den Erfolg und die Präsenz der drei Adidas-Streifen bei den Spielen von Paris.
Auf den ersten Blick läuft alles bestens in diesem Jahr bei Adidas. Nach aus vielerlei Gründen erfolglosen Jahren ist die vor 75 Jahren in Herzogenaurach gegründete Marke im entschlossenen Comeback-Modus. Zu spüren war das bereits bei den zurückliegenden großen Fußballturnieren, der Europameisterschaft in Deutschland und der Copa América in den USA. Mit Spanien und Argentinien gewannen Teams, die von Adidas ausgerüstet werden. Im Zuge der EM verkaufte Adidas allein drei Millionen Replika-Trikots an Fans (Bestseller waren die beiden deutschen Trikots), im Zuge der Copa waren es zwei Millionen. Auch die Omnipräsenz als EM-Sponsor half. Nach Erkenntnissen der Berlin School of Business and Innovation (BSBI) profitierte der Aktienkurs von Adidas überproportional von der EM: Am Tag nach dem 2:0-Sieg des DFB-Teams gegen Ungarn verbuchte Adidas mit plus 2,88 Prozent seinen höchsten Tagesgewinn.
Neben den großen Sportereignissen treibt vor allem die Nachfrage nach Retro-Schuhen und -Textilien die Geschäfte an. Gerade erst hob das Management seine Planzahlen für 2024 an. Nach dem unerwartet guten ersten Halbjahr werde der Umsatz um knapp zehn Prozent steigen und nicht nur im mittleren, einstelligen Prozentbereich wie ursprünglich gedacht. Und statt 700 Millionen Euro soll ein Betriebsergebnis von einer Milliarde Euro bleiben. Adidas wächst in allen Produktkategorien und Erdteilen; doch ausgerechnet am größten Markt in den USA kommt man nicht wirklich vom Fleck. Eine verstärkte Präsenz in den amerikanischen Sportarten und vor allem bei High-School- und College-Teams soll das ändern helfen.
Die Schuhe der Kanye-West-Kollektion tragen zu den guten Zahlen bei
Die prognostizierten knapp zehn Prozent Umsatzplus in diesem Jahr bedeuten in Euro etwa 2,3 Milliarden Euro. Der weit enteilte US-Konkurrent und Branchenführer Nike kalkuliert hingegen mit fünf Prozent weniger. Was bedeutet, dass der Abstand zwischen beiden Markenkonzernen um knapp fünf Milliarden Euro schrumpfen wird. Das ist die eine Sichtweise. Die andere: Mit dann immer noch 21,5 Milliarden Euro Vorsprung liegt Nike nach wie vor eine Galaxie vor Adidas.
Der guten Stimmung am Drei-Streifen-Sitz in Herzogenaurach tut das aktuell keinen Abbruch. Man ist froh, sich aus der mehrjährigen Krise herauszuarbeiten, die 2023 im ersten Nettoverlust nach 31 Jahren gipfelte, minus 58 Millionen Euro. Bei aller Comeback-Euphorie sei jedoch auf den Sonderposten Yeezy hingewiesen. So heißen die Schuhe, die der wegen antisemitischer, sexistischer und rassistischer Ausfälle geschasste US-Rapper Kanye West jahrelang für Adidas designte. In besten Jahren brachten sie Milliarden ein. Aktuell verkauft Adidas Restbestände der letzten West-Kollektion. Im ersten Halbjahr steuerten sie 100 Millionen Euro zum Betriebsergebnis bei.
Aktuell hat Adidas Ärger mit der PR-Kampagne für einen Retro-Schuh, der an die Olympischen Spiele 1972 in München erinnert und zum Entsetzen nicht nur jüdischer Organisationen ausgerechnet vom Model Bella Hadid beworben wurde, einer bekennenden Sympathisantin der Palästinenser. Das erregte Kritik, denn bekanntlich waren es palästinensische Terroristen, die 1972 das israelische Olympiateam überfielen, was in einem Blutbad endete, bei dem elf israelische Sportler und ein deutscher Polizist getötet wurden. Adidas entschuldigte sich umgehend für die Personalie Hadid bei der Schuhwerbung; am Mittwoch konterte das Model beleidigt und warf Adidas „Mangel an Sensibilität“ vor. Darauf angesprochen, ließ sich Gulden bei einer Telefonkonferenz mit Journalisten nicht aus der Reserve locken. „Wir haben einen Fehler gemacht und uns sofort entschuldigt“, sagte er. Ob Hadid noch Teil der Adidas-Familie sei? „Sie ist ein Freund der Marke, ja“, sagte Gulden. Und sie werde weiter vertragskonform bezahlt.
Aus der Sicht des Adidas-Chefs sind das unnötige Störgeräusche, Randnotizen gewissermaßen. Gulden, der sportverrückte Ex-Fußballprofi mit norwegischem Pass, hat Adidas nach den bleiernen Jahren unter seinem Vorgänger Kasper Rorsted wieder Leben eingehaucht, wenngleich einige im Management mit seiner hemdsärmeligen Art gelegentlich fremdeln und sich bei Entscheidungen auch mal überfahren fühlen. Doch solange Adidas unter Bjørn Guldens Führung so erfolgreich bleibt, erwächst daraus kein Problem.