Die Erwartungen sind hoch: Am Freitag der kommenden Woche kommt Wall Street 2: Money Never Sleeps in die US-Kinos, und der Zeitpunkt dafür könnte kaum günstiger sein.
Die Thematik ist aktueller denn je: Gerade erst gedachte die Welt des 15. September, des zweiten Jahrestages des Zusammenbruches der Investmentbank Lehman Brothers, die den größten Börsencrash seit der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre auslöste.
Und das war gewissermaßen nur der Höhepunkt einer ganzen Reihe von platzenden Börsenblasen: Seit Ende der neunziger Jahre erlitten die Weltfinanzmärkte auch die Asien-, die Long-Term-Capital-Management- und die New-Economy-Krise. Regisseur Oliver Stone ist außerdem Selbstvermarkter genug, den Hype um den Film durch zahlreiche Auftritte in den US-Medien noch weiter anzufeuern.
Die besondere Spannung, die der Film schon vor seinem Kinostart beim Publikum erzeugt, verdankt er Stones altem Werk Wall Street. Darin schuf der politisch links stehende Stone jene Ikone, die für die grenzenlose Gier an den Weltfinanzmärkten steht - mit Gel im Haar, Zigarre zwischen den Lippen und Hosenträgern über dem Hemd.
Ethische Berechtigung für die Gier
Doch der ruchlose Börsenhai Gordon Gekko ging nicht als Schurke in die Annalen ein. Vielmehr wurde er zur popkulturellen Galionsfigur. Stone und sein Hauptdarsteller Michael Douglas sollen darüber erstaunt gewesen sein, was zu bezweifeln ist. Denn Gekko war eben einfach Kult. Und das zeigte sich 1987 schnell, obwohl es im Produktionsjahr von Wall Street zum Schwarzen Montag gekommen war - dem ersten weltweiten Börsencrash nach dem Zweiten Weltkrieg.
Dennoch diente Gekko den leibhaftigen Börsen-Jongleuren, den Managern von Hedgefonds und den Private-Equity-Firmen seither als Idol, wobei sie der Sieg von Moral und Gerechtigkeit am Ende des Films nicht interessierte. Denn Gekko gab der Gier eine ethische Berechtigung: Gier ist gut, sie funktioniert. Gier trennt das Wichtige vom Unwichtigen - in allen Lebensbereichen. Ob als Gier nach Leben, nach Macht, nach Geld, nach Liebe, nach Anerkennung, nach Wissen oder Kreativität - erst die Gier hat den Menschen zu Höchstleistungen angetrieben.
Kein Wunder also, dass Stone in Bezug auf seinen ersten Wall-Street-Film einiges richtigzustellen hat - Wall Street 2 bietet ihm nun die Gelegenheit dafür.
In den New York Daily News entschuldigte sich der dreifache Oscar-Preisträger geradezu für sein Erstlingswerk. Sein früherer Film habe einer Kultur des "dummen Geldes, schnellerer Kredite und des Konsumwahnsinns" Vorschub geleistet.
Reaktion auf die Reagan-Jahre
Allerdings sei der Streifen eine Reflektion der Ronald-Reagan-Jahre gewesen. Damals habe er gedacht, die schlimmsten Auswüchse seien bereits überstanden. "Doch ich denke der Gipfel der Konsumwut wurde dann erst 2008 erreicht", sagt der New Yorker, der kurioserweise genau am Tag der Lehman-Pleite seinen 62. Geburtstag feierte.
Das Finanzsystem habe Kasino gespielt. Die Banken hätten sich wie Hedgefonds aufgeführt, diese wiederum wie Gekko damals in den achtziger Jahren. "Das Geld wurde so doof und dumm, dass die Leute dachten, sie könnten Häuser geschenkt bekommen", regt sich Stone auf. Als Ergebnis sei das ganze Land "gekentert" und habe nur durch einen dreifachen Bypass gerettet werden können. "Das war eine Warnung dafür, dass Amerika nicht ständig über seine Verhältnisse leben kann. Ob diese Warnung gehört wurde, kann ich nicht sagen", unkt Stone.
Einen Tag nach seinem Interview mit der New York Daily News wagte sich der streitbare Regisseur mit dem New-York-Times-Redakteur Andrew Sorkin in die Höhle des Löwen: Die beiden trafen sich im Grill Room des Restaurants Four Seasons in Manhattan, einem beliebten Treffpunkt der New Yorker Bonzen. In einer Ecke habe Stephen Schwarzman gesessen, Gründer des Private-Equity-Investors Blackstone und inzwischen bekannt als "Ekel von der Wall Street", vertraut Sorkin seinem Blog Deal Book bei der New York Times an.
Eine ausgewogene Sicht
Obwohl sich Stone selbst als klarer Kritiker der Wall Street versteht ("Banking auf Anabolika") habe er versucht, in seinem zweiten Wall-Street-Film eine ausgewogene Sicht zu vermitteln, schreibt Sorkin: "Sie betreuen diversifizierte Depots und genau das sagt Gekko am Ende des Films: 'Wir sind alle wie diversifizierte Depots. Menschen sind verschieden. Gut und schlecht.'"
Es sei dumm zu behaupten, die Wall Street sei böse. "Die meisten Leute an der Wall Street sind gute Menschen (...), die der Gesellschaft auch etwas Gutes tun wollen", so Stone zu Sorkin, bevor er nachdenklich nachlegt: "Goldman Sachs ist böse, vielleicht!"
Stones zweiter Wall-Street-Film dürfte es schwer haben, den gleichen Widerhall zu finden wie sein erster. Gordon Gekko alias Michael Douglas ist zwar wieder da - fast so taufrisch wie vor gut 20 Jahren und zunächst geläuterter, dann aber sogar schneidiger. Doch Stone ging es dieses Mal weniger darum, Schurken darzustellen als vielmehr ein Bild des gesamten Systems zu zeichnen. Dieses sei vom Herdentrieb (Stone: "Sie erfüllen nur Aufträge") in den moralischen Bankrott geführt worden.
Diesmal soll Gekko kein amoralischer Sieger sein.