Olaf Scholz:"Wir wollen weltweit Mindeststeuersätze"

Der Bundesfinanzminister über Digital-Konzerne, die Zukunft von Hartz IV und warum die Sozialdemokratie in Deutschland gebraucht wird.

Interview von Marc Beise und Cerstin Gammelin

Es sind unruhige Tage für Olaf Scholz, Vizekanzler und Bundesfinanzminister: Italien verweigert sich, die Haushaltsregeln der Eurozone einzuhalten. Eskaliert der Streit um die Budgetplanung, droht die Rückkehr der Eurokrise. Die Kanzlerin ist auf dem Rückzug, der Innenminister vielleicht auch. Wie lange die große Koalition noch hält, ist offen. Trotzdem versucht Scholz die Ruhe zu bewahren. Auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel am Dienstag gelingt ihm das allerdings nur teilweise.

Herr Scholz, in der Regierung herrscht Unordnung. Was ist los?

Olaf Scholz: So viel Aufregung ist da gar nicht, wir arbeiten alle ordentlich zusammen, diese Woche treffen wir uns zum Beispiel in Potsdam, um über die Digitalisierung zu sprechen. Aber natürlich gibt es den Führungskonflikt innerhalb der Union und schlechte Wahlergebnisse der Regierungsparteien. Trotzdem: Wenn sich alle an das halten, was mühsam verhandelt wurde bei der Bildung der Regierung, dann wird sie auch stabil weitermachen.

So stabil war das bisher ja nicht. Hat nicht Horst Seehofer ständig alles durcheinander gebracht? Jetzt legt er sein Amt als CSU-Chef nieder, will aber Minister bleiben. Trägt die SPD das mit?

Natürlich haben wir uns nicht gefreut, dass da sehr vieles die Regierungsarbeit überlagert hat, zum Beispiel der Streit um die bayerisch-österreichische Grenze oder um den Verfassungsschutzpräsidenten. Das hätte alles anders laufen können. Das war für alle Parteien eine Mahnung.

Kann man kraftvoll zusammenarbeiten, wenn zwei der drei Partner angeschlagen sind? Die Kanzlerin legt den Parteivorsitz nieder, Seehofer auch. Das kann sie als Vizekanzler doch nicht kalt lassen.

Mich lassen diese Dinge nicht kalt, aber ich konzentriere mich auf meine Aufgaben. Also auf die Frage, wie man Deutschland voranbringt, wie die SPD wiedererstarkt.

Bislang ist das ja nicht so gelungen. Sie stehen jetzt bei 15 Prozent in den Umfragen. Viele denken, es brauche in Deutschland überhaupt keine Sozialdemokratie mehr.

Videos vom Wirtschaftsgipfel

Den Mitschnitt zum Programmpunkt Olaf Scholz im Kreuzverhör und weitere Videos vom Wirtschaftsgipfel finden Sie hier.

Den Eindruck habe ich nicht. Die Bürger haben die Vorstellung, dass die SPD sehr wichtig ist für unser Land. Ich sehe das auch sehr emotional. Ich bin seit 40 Jahren Mitglied. Es gibt viele, die noch nie SPD gewählt haben, die schätzen, dass es noch eine Partei gibt, die für den Zusammenhalt steht und zukunftsoffen und weltoffen ist und auch noch pragmatisch regieren kann.

Sollten Sie sich nicht besser aus der kriselnden Regierung zurückziehen?

Wir haben uns gefragt, was wir daraus lernen können, dass wir jetzt zwei Mal in einer großen Koalition mitregiert haben und es anders als in den Jahren 1966 bis 69 nicht gut für uns ausgegangen ist. Jedes Mal haben uns viele bescheinigt, dass wir da gute Arbeit geleistet haben. Weshalb wir ja gedacht haben, wenn jetzt alle drei Parteien ein schlechtes Ergebnis kriegen, sollte man schauen, ob man nicht auf andere Weise eine Regierung bilden kann.

Heißt das, Sie wollen ausscheiden?

Dass wir Verantwortung übernehmen, haben hat ja Gründe und ist unterstützt durch das Mitglieder-Votum. Es sind drei Dinge wichtig: Wir wollen nicht taktisch daherkommen, das ist immer ein Punkt, dass die SPD taktisch wirkt, weil wir nicht so sicher waren, dass wir den Kurs verfolgen, der jetzt angesagt ist, oder weil es zu viele Wechsel gegeben hat, das muss sich ändern. Die SPD ist dann erfolgreich, wenn die Leute beim Lesen des Wahlprogramms sagen, ich verstehe genau, woran ich bin. Das dritte ist, wir müssen eine Perspektive entwickeln für die Zukunft. Wir haben also einen Plan, wir müssen uns auch an die eigene Nase fassen und uns fragen, warum all das, was wir besprochen haben, die Sache so sehr übertüncht hat.

Andrea Nahles hat gesagt, die SPD müsse Hartz IV überwinden. Also in die Tonne der Geschichte damit?

Im Jahr 15 der Arbeitsmarktreformen muss man nach vorne schauen. Es gab viele Dinge, die dazu beigetragen haben, dass Deutschland da steht, wo wir stehen. Dass wir eine sinkende Arbeitslosigkeit haben, hat auch dafür gesorgt, dass die Sozialversicherung wieder stabil ist. Über eine Millionen Männer und Frauen, die in der Sozialhilfe waren, sind über die Arbeitsvermittlung wieder in den Arbeitsmarkt integriert. Wir müssen weiterdenken und zum Beispiel Rücksicht nehmen auf die Lebensleistung und das geschaffene Vermögen. Also, ob das wirklich gut austariert ist, wenn jemanden 40 Jahre lang gearbeitet hat im Vergleich zu jemanden, der noch nicht gearbeitet hat.

Olaf Scholz: Olaf Scholz ist seit 40 Jahren Mitglied in der SPD. Er glaubt, dass es viele Menschen schätzen, dass es noch eine Partei gibt, die für den Zusammenhalt steht.

Olaf Scholz ist seit 40 Jahren Mitglied in der SPD. Er glaubt, dass es viele Menschen schätzen, dass es noch eine Partei gibt, die für den Zusammenhalt steht.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das klingt so, als wären Sie lieber Arbeits- als Finanzminister...

Ich stehe ja für eine solide Haushaltspolitik, und gleichzeitig will ich mich auch um die Frage kümmern, wie wir das Geld, das wir haben, einsetzen.

Deutschland wird in Brüssel als Neinsager wahrgenommen, etwa wenn es um gemeinsame Finanzen geht. Da haben wir uns mehr von Ihnen erwartet.

Nein, ich erlebe, dass alle froh sind, dass man mit dem deutschen Finanzminister sprechen kann und denke, dass eine pro-europäische Politik von uns verfolgt wird.

Wenn Sie morgen als italienischer Finanzminister aufwachen würden, was würden Sie angesichts des Budgetstreits tun?

Ich würde genauso wie als deutscher Finanzminister sagen: Mein größtes Problem sind meine schon vorhandenen Schulden. Wenn man 130 Prozent der Wirtschaftsleistung als Schulden hat, dann hat man weniger Spielraum. Diese Wirklichkeit kann niemand sich wegwünschen und wegreden. Deshalb müssen wir darauf bestehen, dass jeder für sein eigenes Land Verantwortung übernimmt.

Gefährdet Italien die gesamte Eurozone?

Es ist ein italienisches Thema, kein europäisches. Wir sollten nicht immer einen Herzinfarkt kriegen, wenn irgendwo jemand eine neue Regierung erhält.

Herzinfarkt vielleicht nicht, aber an den Finanzmärkten herrscht große Sorge, dass die Lage in Italien außer Kontrolle gerät. Machen Sie sich insgeheim Sorgen?

Teilen der italienischen Regierung und der Öffentlichkeit ist klar, dass die Spielräume nicht groß sind. Wir müssen aber auch ein bisschen europäischer denken. In diesem erfolgreichen Industrieland gibt es bis heute keine Absicherung von Langzeitarbeitslosigkeit. Die italienische Regierung versucht so etwas zu etablieren und wir können da nicht fragen: wie kommt ihr dazu?

EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker sagt, eine europäische Digitalsteuer für Internetkonzerne sei eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber Europas Bürgern. Sie sind dagegen?

Wir müssen dafür sorgen, dass Gewinne nicht dorthin verlagert werden, wo keine Steuern bezahlt werden. Wir wollen bis Sommer 2020 weltweit Mindeststeuersätze einführen, damit das nicht mehr passiert. Der Plan hat gute Chancen, denn auch die USA halten das für richtig. Dazu gehört auch die Neuverhandlung des Besteuerungsrechts. Das ist sehr günstig für Deutschland und Europa, denn es gilt, dass Steuern dort bezahlt werden, wo etwas hergestellt wird. Deutschland als Exportland profitiert davon. Die großen Digitalfirmen aber haben ihren Sitz in den USA, dadurch sind wir nicht die steuerlich Begünstigten. Und deshalb sind hier alle aufgeregt. Aber es kann doch nicht sein, dass wir in dem Augenblick, wo wir nicht mehr vom Besteuerungsrecht profitieren, plötzlich fordern, dass es jetzt anders laufen soll, und das für eine klitzekleine Steuereinnahme. Wir brauchen eine weltweite Verständigung und keinen Alleingang.

Die USA, Frankreich und andere senken die Unternehmensteuern. Sie auch?

Ich würde keiner Steuersenkung glauben, die mit Schulden bezahlt wird. Wir erinnern uns. Die Steuersenkung vom früheren US-Präsidenten Ronald Reagan wurde später mit Steuererhöhungen kompensiert. So kommt es wieder. Wer in den USA investiert, sollte die nächste Steuererhöhung schon mit kalkulieren. Wir aber wollen keine neuen Schulden machen. Wir müssen unser Steuerrecht immer wettbewerbsfähig halten. Wir sollten uns nicht dem Steuerdumping-Wettbewerb hingeben. Sonst spielt man das Spiel der Populisten, und das sollten wir, verdammt noch mal, nicht tun.

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