Kritische Infrastruktur:Gegen alle Widerstände setzt Scholz auf Konzern aus China

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Im Hintergrund sind Containerschiffe und Kräne am Hamburger Containerterminal Tollerort zu sehen. (Foto: Georg Wendt/picture alliance/dpa)

Der Streit um den Einstieg des chinesischen Staatskonzerns Cosco beim Hamburger Hafen eskaliert: Obwohl seine eigenen Minister dagegen sind, will Kanzler Olaf Scholz den Deal durchdrücken.

Von Saskia Aleythe, Michael Bauchmüller, Claus Hulverscheidt und Nicolas Richter, Hamburg/Berlin

Vor gut einem Jahr verschickte die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) eine Mitteilung, die zunächst keine allzu große Aufregung verursachte: Man habe sich mit dem chinesischen Staatskonzern Cosco auf eine Beteiligung am Terminal Tollerort im Hamburger Hafen geeinigt, hieß es. Damals schien es nur eine Randnotiz zu sein, dass auch andere Stellen bei dem Deal noch ein Wörtchen mitzureden haben. Mittlerweile allerdings ist aus eben dieser Randnotiz etwas Großes geworden: ein Politikum, das sich immer weiter zuspitzt.

Denn nach SZ-Informationen gibt es innerhalb der Bundesregierung einen handfesten Streit über das Gesuch von Cosco, den Kanzler Olaf Scholz (SPD) nun offenbar zwar nicht mit seiner Richtlinienkompetenz, wohl aber mit der Brechstange beenden will: Obwohl ein halbes Dutzend Ministerien, der Bundesnachrichtendienst und auch die EU-Kommission dagegen sind, der Volksrepublik Zugriff auf einen weiteren Teil kritischer Infrastruktur in Deutschland zu gewähren, ist das Kanzleramt offenbar fest entschlossen, den Deal passieren zu lassen. Die Entscheidung soll in den kommenden Tagen fallen, wie zuvor auch NDR und WDR berichtet hatten.

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Das Interesse Chinas an einem HHLA-Einstieg wirft Fragen auf, die weit über den Einzelfall hinausgehen. So hat die Corona-Pandemie gezeigt, wie gefährlich es ist, wenn ein Staat wie Deutschland potenziell überlebenswichtige Produkte wie Masken oder Medikamente beinahe zu 100 Prozent aus einem einzigen Land bezieht. Das gilt umso mehr, wenn es sich um ein Land handelt, das offenbar auch vor Industriespionage und Nötigung nicht zurückschreckt. So berichten NDR und WDR unter Berufung auf deutsche Wirtschaftskreise, die chinesische Botschaft in Berlin habe hiesige Firmen aufgefordert, sich für Cosco in Hamburg einzusetzen - ansonsten drohten Folgen für das eigene Geschäft.

Scholz' Vorgehen dürfte auch mit seiner Vergangenheit zu tun haben

Offiziell zu dem Thema äußern will sich die Bundesregierung nicht. In Regierungskreisen hieß es nur, die Abstimmung laufe noch. Das Kanzleramt habe aber beim Wirtschaftsministerium kritisch nachgefragt, warum es dort Bedenken gebe.

Dass Scholz das Geschäft offenbar gegen alle Widerstände durchsetzen will, dürfte einerseits mit seiner Vergangenheit als Hamburgs Erster Bürgermeister zu tun haben. Geht es dem Hafen gut, geht es auch Hamburg gut, lautet ein geflügeltes Wort in der Hansestadt, schließlich hält die Kommune 69 Prozent der Anteile an der HHLA. 2015, noch als Erster Bürgermeister, war Scholz in China, auch in der Zentrale von Cosco. Es gab freundliche Gespräche mit Li Yunpeng, dem damaligen Firmenchef. Warum auch nicht? Vor 40 Jahren schon legte das erste Schiff der Reederei in Hamburg an, man pflegt eine lange Partnerschaft. Cosco ist ein Konzern, der aber mehr tut als Schiffe um den Globus zu schicken: Er mischt auch längst bei Europas größten Häfen mit, hält 35 Prozent an einem Terminal in Rotterdam, 20 Prozent an einem in Antwerpen. An jenen Konkurrenten also, die Hamburg im Containerumschlag enteilt sind.

Tollerort ist das kleinste von vier Terminals im Hamburger Hafen. Doch mit keinem anderen Land machen die Hamburger insgesamt so große Geschäfte wie mit China. Aus keinem anderen Land kommt so viel Ware an, in kein anderes wird so viel verschifft. Und gerade, weil man sich in harter Konkurrenz zu den europäischen Nachbarn befindet, dürfen es gerne noch ein paar Container mehr werden, sollte der Deal zustande kommen. Hamburg macht sich Hoffnungen, mit der Cosco-Beteiligung bevorzugter Umschlagplatz in Europa zu werden. "Eine Absage an die Chinesen wäre eine Katastrophe nicht nur für den Hafen, sondern für Deutschland", sagt Axel Mattern, Vorstand der Hafen Hamburg Marketing. Die HHLA selbst gibt zu Protokoll, sie habe in dem seit mehr als einem Jahr laufenden Verfahren keine sachlichen Gründe vernommen, die gegen eine Freigabe der Investition sprächen. Eine Zusammenarbeit mit Cosco "stärkt die Lieferketten, sichert Arbeitsplätze und fördert Wertschöpfung in Deutschland".

Kritik an dieser Sicht gibt es jedoch nicht nur innerhalb von Regierung und Koalition, sondern quer durch alle Parteien. Die Union kritisierte den Alleingang des Kanzlers als "sicherheits- und wirtschaftspolitisch fragwürdig", die Linksfraktion monierte, Scholz "sollte inzwischen bewusst sein, dass es niemals sinnvoll ist, kritische Infrastruktur zu verscherbeln". Bedeutsamer allerdings war eine andere Wortmeldung: Ein Cosco-Einstieg wäre "ein schwerer Fehler", weil Chinas Kommunistische Partei Einfluss auf alle großen EU-Häfen erhielte, twitterte FDP-Vizechef Johannes Vogel. Wichtiger noch: Vogels' Wortmeldung wurde vom Parteivorsitzenden Christian Lindner umgehend retweetet.

Die Befürworter des Deals setzen auf den Faktor Zeit

Dagegen verweisen die Befürworter des Cosco-Deals darauf, dass der Konzern ja nur mit 35 Prozent bei einem einzigen von vier Terminals einsteigen wolle. Eine strategische Einflussnahme auf die Anlagen sei damit ausgeschlossen. Wenn China Deutschland wirklich schaden wolle, könne es die Cosco-Containerschiffe bereits heute einfach von Hamburg weglenken, hin nach Antwerpen oder Rotterdam.

Die Befürworter setzen nun auf den Faktor Zeit. Das Außenwirtschaftsgesetz nämlich schreibt vor, dass die Regierung Bedenken gegen das Kaufangebot eines ausländischen Investors binnen vier Monaten geltend machen muss. Die letzte reguläre Möglichkeit, die Frist einzuhalten, hat das Kabinett kommenden Mittwoch - wenn sich Kanzleramt und alle Ministerien denn einig sind. Sind sie es nicht, kommt der Deal schlicht durch Fristablauf zustande.

Immerhin: Für Olaf Scholz könnte in diesem Fall die nächste große Auslandsreise deutlich angenehmer werden. Anfang November fliegt der Bundeskanzler nach Peking.

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