Offshore-Leaks:So funktionieren Steueroasen

Betrüger und Scheindirektoren, Banken und Anwälte, große Namen und schwarzes Geld: Etwa 50 Staaten weltweit gelten als Steueroasen. Ein Streifzug durch die Heimat von Gier und Geiz zeigt, welche Menschen Offshore-Geschäfte machen und wie sie geheime Briefkastenfirmen aufsetzen.

Von Bastian Brinkmann,Christoph Giesen, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer

Der Senator trägt dick auf, keine Frage. Er sei, schreibt er in holprigem Englisch, Träger des vatikanischen "Commendatore". Ein "heiliger Orden", verliehen "vom katholischen Papst". Außerdem habe er das Bundesverdienstkreuz erhalten, den ,,Nobelpreis Deutschlands", den außer ihm auch "Bill Gates, Wolfgang von Goethe und Mutter Theresa" bekommen hätten.

Der Mann ist gerade 80 Jahre geworden, als er unter Verweis auf das angebliche Dekor darum bittet, in eine geheime Welt aufgenommen zu werden: Er will bei einem Finanzdienstleister eine Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln gründen. Für alle Fälle teilt er den Leuten mit, mit wem sie es zu tun haben.

Mutter Teresa schreibt sich zwar ohne "h" und weder sie noch Gates und auch nicht Geheimrat Goethe wurden mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet - aber der Senator, der einmal der "Klinik-König" einer großen deutschen Stadt genannt wurde, ist großzügig mit Details aus seinem Lebenslauf. So erwähnt er auch nicht, dass er ein paar Jahre zuvor eine dreistellige Millionenpleite hingelegt hat.

Wenige Wochen später ist er alleiniger Besitzer und Geschäftsführer einer Firma namens Arfino S.A. Heute behauptet der Senator, inzwischen 88, dass die Firma nie in seinem Namen hätte gegründet werden sollen; seine Erklärung ist fast so kompliziert wie die Geschichte mit Goethe. Ein Bekannter aus der Schweiz, sagt er, habe ihn gefragt, ob er den Namen des Senators mitnutzen dürfe, und er habe zugestimmt. "Ich selbst habe da kein Geld reingesteckt, ich habe ja seit meiner Insolvenz gar kein Geld mehr", sagt er.

Es kommt, allgemein betrachtet, gar nicht selten vor, dass Pleitiers vor der Insolvenz Geld ins Ausland schaffen. In Steueroasen wie den Britischen Jungferninseln stecken viele Billionen Euro, nur ein Bruchteil davon taucht in Steuererklärungen auf: "Vermögen erschaffen, bewahren, vererben", so bewirbt ein Offshore-Dienstleister seine Ware.

Briefkastenfirmen von der Stange, nur ein paar hundert Dollar pro Stück.

Für reiche Privatleute sind solche Firmen geheime Schatztruhen, eingerichtet von Maklern, die versprechen, dass ein Geheimnis ein Geheimnis bleibt - von dem Gläubiger, Ex-Frauen und Steuerfahnder nie erfahren. Für Konzerne sind die Firmen Vehikel, mit denen sie ihre Gewinne kleinrechnen und Steuern sparen können. Für Kriminelle sind sie perfekt, um anonym ihrer Beschäftigung nachzugehen.

Opfer gibt es auch. Den Schaden trägt die Allgemeinheit. Die Europäische Union schätzt, dass in der EU pro Jahr eine Billion Euro durch Steuerhinterziehung und Steuerumgehung verloren gehen. Das Geschäft boomt, verborgen hinter dem blickdichten Vorhang der Anonymität.

Die bislang geheimen Dokumente des Offshore-Leaks ermöglichen es jetzt zum ersten Mal, diesen Vorhang ein wenig aufzuziehen und die Mechanismen der dahinterliegenden Welt freizulegen. In einer weltweiten Kooperation hat die Süddeutsche Zeitung gemeinsam mit dem NDR, der Washington Post, dem britischen Guardian, der französischen Le Monde und zahlreichen weiteren Partnern viele hunderttausend Datenbankeinträge, Verträge, Urkunden und E-Mails aus dem Innenleben mehrerer Steueroasen gesichtet. Die Auswertung des gesamten Stoffs kann weltweit noch viele Monate dauern.

Die Informationen stammen von den Servern zweier Firmen, die davon leben, anonyme Briefkastenfirmen zu gründen und an Kunden wie den Insolvenz gegangenen Klinik-König zu verkaufen. In diesen Unterlagen finden sich die wahren Eigentümer von mehr als 120.000 Firmen und Trusts. Die Daten erklären das Zusammenwirken von Scheinfirmen, Strohmännern und geheimen Verträgen. Sie weisen auf eine Heerschar von Helfershelfern, auf Anwälte, Vermögensberater und Banken. Sie identifizieren Zehntausende Kunden, darunter Staatsoberhäupter und Waffenschmuggler, Steuerflüchtlinge und Mittelständler, Prominente und Betrüger.

Die Daten verraten aber auch, warum Menschen die Anonymität so schätzen und machen deutlich, wie weit verbreitet Geschäfte mit Steueroasen sind.

Die Inseln: Steueroasen aus Geldnot

Es waren ausgerechnet dramatisch fallende Steuereinnahmen, die die Bewohner der Cook-Inseln Anfang der Achtzigerjahre auf die Idee für ein besonderes Geschäftsmodell brachten. Der Staat hatte kaum mehr zu bieten als weiße Sandstrände und türkisblaues Meer - beides keine Seltenheit in der Südsee. Die britischen Kolonialherren hatten nur Linksverkehr, Kricketfelder und das englische Frühstück dagelassen; auch damit ließ sich wenig anfangen. Die Bewohnerzahl sank unter 20.000, es gab nur anderswo Arbeit und Zukunft. Also trat das Parlament der Cook-Inseln zur Krisensitzung zusammen. Weil es noch kein Parlamentsgebäude gab, trafen sich die Abgeordneten in Wohnbaracken auf der Hauptinsel Rarotonga. Hier verabschiedeten die Abgeordneten 1981 den International Companies Act. In fünf Kapiteln verspricht er internationalen Investoren: Bringt uns euer Geld - und wir halten den Mund. Die Cook-Inseln wurden zur Steueroase. Aus einem Staat, in dem zuvor schon ein Fahrraddiebstahl ein großes Ding war, wurde ein Hafen für Steuerflüchtlinge und Kriminelle.

Cook Islands

Schöner Strand: die Cook-Inseln

(Foto: iStockphoto / Topher McGrillis)

Etwa 50 Staaten weltweit gelten als Steueroasen. Sie alle eint, dass sie wenig oder gar keine Steuern erheben, das Bankgeheimnis konsequent einhalten, weitreichende Anonymität gewähren und sich über die Gebühren der Briefkastenfirmen finanzieren.

Die Bedeutung von Steueroasen lässt sich an drei Beispielen gut erklären: Das Land, aus dem das meiste Kapital nach China fließt, ist die Steueroase Britische Jungferninseln. Indiens größter Geschäftspartner ist: der Inselstaat Mauritius. Und Deutschlands größter Investor? Viele Jahre die Schweiz.

Einer der Mitverfasser des International Companies Act auf den Cook-Inseln war ein gewisser Mike Mitchell. Der Neuseeländer, lange Jahre britischer Generalkonsul, gründete 1987 einen Finanzdienstleister, der hauptsächlich Briefkastenfirmen anbot. Diese Dienstleister sind bei der Aufsicht der Steueroasen registriert und erledigen den Papierkram vor Ort. Ein einfacher, aber lukrativer Geschäftszweig.

Der 68-jährige Mitchell nannte seine eigene Firma Portcullis, auf Deutsch: Fallgitter. Wie hinter den Mauern einer mittelalterlichen Burg, so sollten die Kunden glauben, werde ihre wahre Identität geschützt. 2004 verkaufte er die Firma, die heute Portcullis Trustnet (PTN) heißt, etliche Niederlassungen besitzt und Hunderte Angestellte beschäftigt.

Portcullis ist die eine der beiden Firmen, deren Datenleck gerade weltweit für Aufregung sorgt. Die andere ist der Portcullis-Konkurrent Commonwealth Trust Limited (CTL) mit Sitz in der Karibik, auf den Britischen Jungferninseln. Hier leben 32.000 Einwohner - auf jeden von ihnen kommen mehr als 15 registrierte Firmen. Die Inseln sind britisches Überseegebiet, das sehen Investoren gern. So können sie im ärgsten Fall vor dem High Court of Justice in London klagen, dem höchsten englischen Gericht, und müssen sich nicht auf ein willkürliches Rechtssystem verlassen.

Zusammengenommen meldeten CTL und PTN insgesamt 120.000 Firmen in neun Steueroasen an. Das ist der Stoff.

Der Kanadier Thomas Ward hat CTL mitgegründet. Bis 2008 war er Geschäftsführer, heute berät er das Unternehmen. Zu seiner Zeit habe CTL 3000 bis 5000 Unternehmen pro Jahr registriert, schätzt er. Im Schnelldurchgang: E-Mail, Namen eintragen, abheften. Darunter seien natürlich auch ein paar schwarze Schafe gewesen. Wie so viele aus der Offshore-Branche verweist Thomas Ward auf die vorgeschriebenen Sorgfältigkeitsprüfungen, die "due diligence", wie es im Branchenjargon heißt. Nur: Wenn man nicht gerade Osama bin Laden heißt, kommt man mit praktisch jedem dieser Dienstleister ins Geschäft.

Die Kunden: große Namen und kleine Fische

"Anbei finden sie die Korrespondenz von Sotheby's, vor allem jene betreffend den Kauf von der "Wassermühle bei Gennep" von Vincent van Gogh." Dieses Memo in den Kundendaten von Portcullis wurde 1996 verfasst, nur ein paar Tage nach einer Auktion bei Sotheby's in London, bei der die "Wassermühle bei Gennep" versteigert worden war - ein Werk Vincent van Goghs von 1884. Den Zuschlag erhielt für 751 550 Dollar eine Firma namens Nautilus Trustees Limited mit Sitz auf den Cook-Inseln. Erst Monate nach der Auktion taucht das Gemälde wieder auf: im Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid, als Leihgabe der Nautilus Trustees Limited.

Dank des Datenlecks weiß man nun: Die Besitzerin der Firma trägt denselben Namen wie das Museum. Nautilus gehört Baroness Carmen Thyssen-Bornemisza, der fünften Frau von Hans Heinrich von Thyssen-Bornemisza, eine der wichtigsten Kunstsammlerinnen der Welt.

Die Namensliste hinter den mehr als 100.000 Briefkastenfirmen und Trusts ist so lang wie heterogen. Klingende Namen wie der von Gunter Sachs, Elie de Rothschild, der 2007 verstorbene Gründer der Züricher Rothschild-Bank, oder eben Baroness Carmen Thyssen-Bornemisza stehen neben Mittelständlern und Kleinkriminellen. Griechische Steuerflüchtlinge und indonesische Milliardäre, Waffenschmuggler und Diamantenhändler, Hedgefondsmanager, Zahnärzte und Sängerinnen sind ebenso vertreten wie unspektakuläre Kleinkunden mit Adressen in Bad Langensalza, Rosenheim oder Mönchengladbach.

Diese breite Mittelschicht dominiert das Bild der deutschen Kunden, die zahlenmäßig weit hinter den Kunden aus Großbritannien zurückstehen - deutsche Steueroptimierer nutzen eher andere, nähergelegene Schlupflöcher, Luxemburg, Liechtenstein oder die Schweiz zum Beispiel.

Egal wer sich in Steueroasen betätigt, es gilt die Regel: Ein paar Millionen sollten es schon sein, damit sich eine Offshore-Konstruktion lohnt. Die Finanzdienstleister in Übersee verlangen jährliche Gebühren von ein paar tausend Dollar, dazu kommen Honorare für Anwälte, die sich um die Details kümmern, vielleicht noch ein Konto in der Schweiz; das Ganze oft über viele Jahre. Dazu muss das Vermögen oft umständlich dorthin geschafft werden, über ein paar Umwege. Diese - in der Regel legalen - Tricks zahlen sich nur aus, wenn die Steuerersparnis höher ist als die Kosten.

Bestes Beispiel: der Fall Thyssen-Bornemisza. Der Anwalt der Kunstsammlerin räumte ein, dass die Nautilus für den Kunsthandel genutzt werde. Der Hintergrund dürfte sein: Spanien erhebt eine Vermögensteuer auf Kunstwerke. Wären die Werke seiner Klientin in Madrid gemeldet, müsste sie jährlich rund 13,5 Millionen Euro zahlen, schätzt das spanische Medium El Confidential.

Der Scheindirektor: Amt ohne Macht

Der Rohstoff, von dem Steueroasen leben, ist die Verschwiegenheit. Sie ist in jedem Verwaltungsakt präsent, sie beherrscht den Alltag von Firmen wie Portcullis und Commonwealth, die ihre eigentlichen Kunden oft nicht einmal selbst kennen. Diese Verschwiegenheit wird in zwei Formen abgepackt und auf dem Weltmarkt angeboten: als Trust, wenn nur anonym Vermögen gelagert oder die Erbfolge geregelt werden soll, oder als Briefkastenfirma, wenn es um geheime Geschäfte geht.

Der Vorteil einer Briefkastenfirma gegenüber gewöhnlichen Firmen ist nicht nur die Meldeadresse auf einer Südseeinsel, die keine Gewerbesteuer verlangt. Viel interessanter ist oft die Möglichkeit, einen falschen Geschäftsführer einzusetzen.

Stella Port-Louis zum Beispiel, Mitte dreißig, dunkle Augen, braune Locken. Sie handelt regelmäßig für anonyme Firmen, tätigt Überweisungen an Geschäftspartner, die sie nicht kennt, im Auftrag von Hintermännern, von denen sie nichts weiß. Wie viele Firmen sie von den Seychellen aus leitet, lässt sich nicht sagen. Aber das: Für jeden neuen Posten bekommt sie etwa zehn Dollar und unterschreibt dafür, was man ihr vorlegt. Sogar ihre eigene Kündigung.

Offshore-Leaks: So funktionieren Trusts und Briefkastenfirmen

So funktionieren Trusts und Briefkastenfirmen

(Foto: SZ-Grafik)

Das System braucht nämlich nur drei Formulare, um zu funktionieren. Der Strohmann, der in der Offshore-Sprache ,,Nominee Director" heißt, sichert dem wahren Eigentümer zu, dass er seinen Anweisungen folgen wird und keine Ansprüche gegen ihn oder die Firma hat (,,Nominee Director Declaration"). Dann gibt er dem echten Chef, der offiziell nichts mit der Firma zu tun hat, eine Vollmacht ("Power of Attorney"), die diesen zum De-facto-Geschäftsführer macht. Im dritten Dokument schließlich bittet der falsche Direktor um seine Entlassung (,,Resignation Letter"). Er unterschreibt diesen Brief, trägt aber kein Datum ein - so kann der echte Chef den falschen jederzeit und sogar rückwirkend loswerden.

Der falsche Direktor ist also von Anfang an entmündigt, und hat meist auch keinen Einblick in die Firmengeschäfte.

Scheindirektoren kommen immer dann zum Einsatz, wenn es schmutzig wird. Die Öffentlichkeit erfährt davon nur, wenn etwas schiefgeht, so wie am 25. September 2008. Da kaperten somalische Piraten das Frachtschiff MV Faina, das auf dem Weg in den kenianischen Hafen Mombasa war. An Bord: 33 Sowjet-Panzer vom Typ T-72. Sie waren für Südsudan bestimmt, damals noch ein Krisenherd, inzwischen ein selbständiger Staat, den man wegen eines UN-Embargos aber nicht beliefern darf. Die Hintermänner sind bis heute unbekannt - weil sie ihr Geschäft über eine Briefkastenfirma in Panama abwickelten.

Auch westliche Geheimdienste nutzen das anonyme System: Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 registrierte die Star Group Finance and Holdings in Washington D.C. eine Firma namens Elite LLC. Diese wiederum kaufte eine ehemalige Reitschule außerhalb der litauischen Hauptstadt Vilnius. Hinter diesen Firmen steckte die CIA, die dort ein Ge-heimgefängnis betrieb. Die Schein-Direktoren sollten helfen zu verbergen, dass der US-Auslandsgeheimdienst dort Terrorverdächtige folterte.

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