Offshore-Leaks:Chinas reichster Häftling und die Briefkastenfirmen

Lesezeit: 5 min

Traum vom schnellen Reichtum: Chinas Glücksspiel-Metropole Macau - ehemals portugiesische Kolonie und heute wie Hongkong eine Sonderwirtschaftszone (Foto: Getty Images)

Mit 16 brach er die Schule ab und verkaufte Radios. Er war gnadenlos billig und bekam den Spitznamen "Preismetzger". Dann wurde der Milliardär verhaftet.

Von Christoph Giesen, Hongkong

Der einst reichste Chinese sitzt seit fünf Jahren im Gefängnis. Huang Guangyu hat kein Handy und keinen Internetzugang - er kann bloß Briefe schreiben, die die Gefängnisleitung mitliest. Offenbar belastet ihn die Situation aber nicht sonderlich: "Das ist kein Gefängnis", habe er immer wieder gesagt, wurde einer seiner Wärter von der chinesischen Presse zitiert, "ich bin nur in ein etwas kleineres Büro umgezogen." Aus diesem Büro steuert er weiterhin sein Imperium, aus seiner Zelle in Peking dirigiert er die Geschäfte, die weiterlaufen wie eh und je: Mal geht Huang Guangyu mit einem seiner Unternehmen an die Börse, mal versucht er, einen gebrauchten Flugzeugträger zu erwerben, um daraus ein schwimmendes Hotel zu machen.

Der 44-Jährige ist noch immer ein sehr reicher Mann, mit Sicherheit ist er der reichste Häftling des Landes: Sein Vermögen wird auf 2,4 Milliarden Euro geschätzt. Vor fünf Jahren, bei seiner Verhaftung im November 2008, wurden all die Werte, die er zusammengerafft hatte, sogar noch auf fünf Milliarden Euro taxiert.

Die Behörden warfen ihm damals vor, er habe Insiderhandel betrieben. Und natürlich wurde auch einiges an Geld sichergestellt, etliches konfisziert. Aber große Teile seines Vermögens kann er weiterhin nahezu ungestört kontrollieren. Dass dies möglich ist, hat Huang einem weitverzweigten Netzwerk aus Offshore-Firmen zu verdanken. Mithilfe dieser Briefkastenfirmen hat er sein Vermögen dem Einfluss der Pekinger Bürokraten entzogen.

In den Offshore-Leaks-Daten finden sich über 20 Firmen, die Huang gegründet hat: ein undurchschaubares Imperium, das augenscheinlich nicht bloß dazu dient, Häuser und Wohnungen zu verwalten, sondern offenbar auch dazu, Geldflüsse zu verschleiern.

Laut Hurun Report, Chinas Reichenliste, gibt es 315 Menschen in der Volksrepublik, die ein Vermögen von mindestens einer Milliarde Dollar besitzen. In keiner der großen Wirtschaftsnationen klaffen Arm und Reich derart weit auseinander wie in China: Der Gini-Koeffizient, der die Kluft misst zwischen jenen, die nichts besitzen, und jenen, die gewaltige Reichtümer angehäuft haben, ist sogar noch höher als in den Vereinigen Staaten. Und oft ruht das Geld der Superreichen nicht auf chinesischen Konten. Wer in der Volksrepublik sehr viel besitzt, leistet sich nicht nur Sportwagen und teure Schweizer Uhren - sondern auch eine Firma in einer der Steueroasen, wie die Offshore-Leaks-Dateien zeigen.

Mehr als 21.000 Briefkastenfirmen können mithilfe dieses gewaltigen Datensatzes, der von zwei Finanzdienstleistern auf den Britischen Jungferninseln stammt, erstmals Tausenden Unternehmern aus China zugeordnet werden. Die Süddeutsche Zeitung hat mehr als 25 Superreiche aus China, die in den Offshore-Leaks-Daten auftauchen, zu ihren Karibik-Aktivitäten angefragt; niemand wollte sich detailliert äußern.

Archivbild von Huang Guangyu aus dem Jahr 2006 (Foto: REUTERS)

Geboren wurde Huang 1969 während der Kulturrevolution. Seine Eltern lebten damals in einem Reisbauerndorf der südchinesischen Provinz Guangdong. Mit 16 brach er die Schule ab und ging mit seinem älteren Bruder nach Peking, um Radios zu verkaufen. In der Hauptstadt eröffnete er sein erstes Geschäft, er nannte es Gome, bald kamen mehrere Filialen hinzu.

In den Parteizeitungen schaltete Huang Anzeigen und bewarb seine billigen Elektronikprodukte. Vor ihm hatte das niemand gemacht, nur wenn es irgendwo einen Räumungsverkauf gab, waren Anzeigen damals in China üblich. Schon bald nannten sie ihn in Peking den "Preismetzger", denn niemand verkaufte Radios so billig wie er.

In den Neunzigerjahren kam die Volksrepublik nach den wirtschaftlichen Reformen langsam zu Wohlstand - und den verkaufte Huang: erst Radios, dann Kühlschränke, schließlich Fernseher. Huang stattete den chinesischen Mittelstand aus. So verdiente er seine Milliarden.

Zu dieser Zeit traf Huang Guangyu seine spätere Frau Du Juan. Sie arbeitete in einer Pekinger Filiale der Bank of China und wurde bald zur wohl entscheidenden Architektin seiner Offshore-Welt. 2003 gründeten die beiden von Hongkong aus ihre Offshore-Keimzelle: Gome Holdings Limited.

Ein anderer bekannter Unternehmer aus China, der in den Offshore-Datensätzen auftaucht, ist der Internetmilliardär Ma Huateng. Gemeinsam mit seinem Studienfreund Zhang Zhidong hatte er 1998 die Firma Tencent gegründet. Mit ihrem Instant-Messenger QQ chatten jeden Tag Millionen Chinesen. Ma ist derzeit der drittreichste Chinese, sein Vermögen wird auf 7,6 Milliarden Euro geschätzt. Sein Kompagnon Zhang soll bei etwa 2,6 Milliarden Euro liegen. Gemeinsam sind die beiden ehemaligen Kommilitonen Geschäftsführer einer Offshore-Firma.

Doch wozu brauchen Ma und Zhang ein Unternehmen in der Karibik? Äußern wollen sie sich dazu nicht. Eine Sprecherin ihres Unternehmens teilt lediglich mit, dass die Offshore-Gesellschaft eine Tochterfirma von Tencent sei. Eine Tochterfirma? In den Geschäftsberichten taucht die Firma jedenfalls nicht auf.

Offshore - das ist ein sensibles Thema in China. Nicht nur für die Politik, wo sich für nahezu jeden Machthaber seit Deng Xiaoping ein Verwandter finden lässt, der in den Offshore-Daten steht. Sondern auch für die reiche Wirtschaftselite des Milliardenvolks.

Selbst diejenigen, die sonst redselig sind, geben sich bei diesem Thema plötzlich wortkarg - wie zum Beispiel der Bauunternehmer Dai Zhikang. Eigentlich trifft sich Dai gerne mit Journalisten, um zu plaudern, beispielsweise über seine Kunstsammlung. Diesmal lässt er über eine PR-Agentur antworten, aber er hat wenig mitzuteilen zu seinen zwei Offshore-Firmen. An der einen, behauptet er, sei er nicht mehr beteiligt. Und bei der anderen handle es sich um eine Gesellschaft für familiäre Stiftungszwecke. Derzeit ruhe die Firma mit dem Namen Dorsing Star Limited aber. Mehr sei dazu nicht zu sagen.

Andere Milliardäre wählten für ihre Briefkastenfirmen Namen, die manches über ihren Zweck aussagen könnten. Eine heißt zum Beispiel Profit Catch Investment. Die "Fang-den-Gewinn"-Firma gehörte dem Solarunternehmer Wu Jianlong. Bis vergangenen Februar war er der Chef von Sunflower, einem der größten Photovoltaikhersteller der Welt. Die Krise in der Solarbranche setzte ihm zwar enorm zu, knapp eine halbe Milliarde Euro sollen ihm aber dennoch geblieben sein. Growing Property Technology heißt eine andere Offshore-Firma. Sie gehört Jia Yueting; er hat seine Milliarden mit Leshi TV verdient. Weil Youtube in China gesperrt ist, schauen sich die Chinesen auf seiner Webseite die süßesten Katzenvideos oder die neuesten Musikclips an.

Auch Wu Jianlongs und Jia Yuetings Firmen haben, wie die von so vielen Superreichen, ihren Sitz auf den Britischen Jungferninseln. Die abgelegenen Karibikinseln haben zwar nur etwa 180 Kilometer geteerte Straßen, und doch sind sie Geschäftszentren der chinesischen Welt. Von mehr als 470.000 Briefkastenfirmen gehören 40 Prozent asiatischen Geschäftsleuten, die meisten davon stammen wiederum aus China, Hongkong und Taiwan.

In vielen der Offshore-Firmen auf den Jungferninseln lagert Schmiergeld. Korrupte Beamte aus der Volksrepublik schaffen jedes Jahr Milliarden außer Landes. Und doch sind es nicht immer kriminelle Gründe, die dazu führen, dass Offshore-Firmen aufgesetzt werden. Viele Unternehmer in China haben einfach kein Vertrauen in die chinesischen Gerichte, sie schützen ihr reales Geschäft mit einer Offshore-Struktur.

Oder sie gehen mithilfe einer solchen Firma an die Börse in Hongkong oder New York. Denn die Führung in Peking hat es chinesischen Unternehmen lange Zeit verboten, sich direkt im Ausland Kapital zu besorgen. Also wählten viele, die außerhalb Chinas an die Börse wollten, einen Umweg und gründeten eine Offshore-Firma, die anschließend das Kapital einsammelte. Gegen ein Unternehmen auf den Britischen Jungferninseln konnten die Beamten in Peking schließlich nicht vorgehen.

Auch Huang Guangyu fädelte den Börsengang seiner chinesischen Elektronikkette über eine Briefkastenfirma in einer Steueroase ein. 2004 hatte Gome sein Debüt auf dem Hongkonger Parkett. Der schärfste Wettbewerber hatte kurz zuvor ankündigt, Aktien auszuteilen, doch Huang kam dem Konkurrenten zuvor. Einen eigenen Börsengang in die Wege zu leiten, das hätte Monate gedauert. Über seine Offshore-Verbindungen verkaufte Huang 65 Prozent seiner Elektronikkette an seine eigene, in Hongkong gehandelte Immobiliengesellschaft China Eagle Group - eine Börsennotierung durch die Hintertür. Das brachte Milliarden ein.

Bis November 2008 lief alles glatt für Huang, dann wurde er verhaftet. Im Prozess vor dem Zweiten Mittleren Volksgericht in Peking wurde ihm zur Last gelegt, Aktienkurse manipuliert zu haben. Im Mai 2010 wurde Huang zu 14 Jahren Haft und 600 Millionen Yuan Geldstrafe, fast 70 Millionen Euro, verurteilt. Außerdem froren die chinesischen Behörden mehrere Hundert Millionen Yuan seines Vermögens ein. An seine Offshore-Firmen kommen die Behörden jedoch nicht heran. Mehr als 30 Prozent hält Huang noch immer an Gome, er steuert sie über zwei Briefkastenfirmen mit den schillernden Namen Shining Crown Holdings und Shine Group.

Ein paar Jahre wird Huang wohl noch absitzen müssen, aber er trägt es ja offenbar mit Fassung, dass er sein Büro ein wenig verkleinern musste.

© SZ vom 23.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: