Offener Streit:Schutzreflexe

Die Handelskonflikte zwischen China und der EU zeigen, wie die Welt schleichend vom Prinzip des freien Warenverkehrs abrückt.

Von Jan Willmroth

Xi Jinping überraschte nicht nur seine Zuhörer im Publikum, als er kürzlich in Davos als Fürsprecher des Welthandels auftrat. Ausgerechnet der Präsident eines Landes, das unbeirrt seine wirtschaftlichen Interessen durchsetzt und seine gestiegene Wirtschaftsmacht auch ausspielt. Xi konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Europa und China in Sachen Handel auf eine Konfrontation zusteuern. Am Beispiel der offenen Handelsstreitigkeiten zwischen China und der EU zeigt sich, wie die Welt seit Jahren schleichend von den Prinzipien des freien Warenverkehrs abrückt.

Streit um Stahl

Warum sich Europa bislang so sehr dagegen wehrt, China bei der Welthandelsorganisation (WTO) den Status einer Marktwirtschaft zu verleihen, hat einen wichtigen Grund. Es würde Schutzmaßnahmen gegen chinesische Produkte nach WTO-Recht deutlich erschweren. Vor allem auf die chinesischen Stahlexporte hat es die EU-Kommission abgesehen, sie wirft den Chinesen vor, heimische Stahlfirmen unfair zu begünstigen. Derzeit sind 39 Anti-Dumping-Maßnahmen der EU in Kraft, 17 davon richten sich gegen China und vor allem gegen chinesische Stahlimporte. Erst Ende Januar verabschiedete die EU-Kommission Aufschläge von 64,9 Prozent des Preises auf Rohre aus rostfreiem Stahl sowie Formstücke zum Einschweißen aus der Volksrepublik. Derzeit wird die EU-Handelspolitik modernisiert, neue Gesetze erleichtern es der EU-Kommission künftig, solche Maßnahmen zu verhängen. Derweil wehrt sich China mit WTO-Beschwerden gegen die EU und die USA.

Sonderzoll für Solarmodule

Etwas älter ist der Streit um Solarmodule. Auf Betreiben des letzten deutschen Photovoltaik-Konzerns Solarworld hatte die EU seinerzeit bei chinesischen Solarimporten Preisdumping vermutet und sie mit einem Strafzoll belegt. Seither gilt in Europa ein Mindestpreis von 56 Cent pro Watt Leistung für Sonnenkraft und damit erheblich mehr, als Importeure auf anderen Kontinenten zahlen. Die Strafzölle sind längst auch in der Industrie umstritten. Eine Reihe von Unternehmen aus der Branche hat sich zu einer Allianz zusammengeschlossen und kritisiert die Schutzzölle. Die seit Jahren fallenden Preise für Solartechnik kämen bei Investoren und Verbrauchern in Europa dadurch längst nicht mehr an.

Strenge Amerikaner

Wenn die Vereinigten Staaten andere Länder unfairer Subventionen oder Exporthilfen verdächtigen, reagieren sie streng. Strafzölle auf Einfuhren in die USA betragen oftmals mehrere Hundert Prozent. Im Jahr 2015 verhängte die Obama-Regierung einen Anti-Dumping-Zoll von 266 Prozent auf alle kaltgewalzten Stahlprodukte aus China; die EU erhob nur einen Aufschlag von etwa 21 Prozent. Chinesische Stahlbewehrungen belegten die USA vor gut vier Jahren mit 133 Prozent Einfuhrzoll, die EU im vergangenen Jahr mit 22,5 Prozent. Ökonomen wiesen zudem nach, dass die USA in und nach Rezessionen eher dazu neigen, ihre Agrarindustrie vor Exporten zu bewahren. Selbst wenn die WTO später die Zölle kassiert: Eine Zeit lang wirken sie immer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: