Es sind zwei der Zahlen, die Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) alarmiert haben: Durchschnittlich 15 Werbespots für Produkte mit hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehalt sähen Kinder in Deutschland pro Tag. Das hätten Medienanalysen ergeben. Und mehr als 90 Prozent der Werbung, die Kinder im Internet oder im Fernsehen wahrnähmen, preise Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten an.
Özdemir will Kinder unter 14 Jahren besser schützen vor "Zuckerbomben", wie er das nennt, genauer: Er will die Kinder vor Werbung für diese Produkte schützen. Dazu hat er einen Gesetzentwurf formuliert, der allerdings noch durch die Abstimmung mit den Bundesländern, den anderen Ressorts und vor allem mit den Koalitionspartnern muss. Die FDP dürfte ob der Pläne von Özdemir auf Habachtstellung sein, wie immer, wenn es um mehr Regulierung für Unternehmen geht.
So betont Özdemir deshalb am Montag, als er die Pläne vorstellt, was er nicht vorhat: "Wir machen kein allgemeines Werbeverbot. Und schon gar nicht verbieten wir irgendwelche Lebensmittel". Auch die Fußball-Europameisterschaft 2024, die in Deutschland stattfindet, "muss jetzt nicht in ein anderes Land vergeben werden", sagt der Minister. Es werde Übergangsfristen geben und man werde nicht in bestehende Sponsoring-Verträge eingreifen. Für Schokolade und Chips werben dürfe man auch weiterhin werben, aber nur wenn sich diese Werbung nicht mehr explizit an Kinder richtet.
Was heißt das nun genau? Özdemirs Pläne sind im Detail widersprüchlich. Klar ist die Lage zum Beispiel bei Werbespots, die mit Kindern als Darsteller arbeiten und bei denen extrem zucker- fett- oder salzhaltige Snacks angepriesen werden. Diese wären künftig verboten. Genauso verboten wäre eine gezielt kindliche Produktaufmachung für diese Produkte, etwa in bunten Farben oder mit Comic-Figuren. Zudem soll jede Fernsehwerbung für ungesunde Süßigkeiten zwischen 6 Uhr und 23 Uhr verboten werden.
Das neue Gesetz deckt alle für Kinder relevanten Medien ab, von klassischem Fernsehen bis zur Werbung in Influencer-Videos auf Youtube - und hier wird es nun kompliziert. Denn im TV gilt nach der Lesart des Ernährungsministeriums: Jede Sendung, die in der Zeit von 6 bis 23 Uhr gezeigt wird, richtet sich potenziell an Kinder. Für Netzvideos gibt es eine solche Uhrzeitgrenze aus nachvollziehbaren Gründen nicht. Ein TV-Spot in der Halbzeitpause eines live übertragenen Bundesligaspiels um 20.30 Uhr, in dem ein Fußballer beherzt einen Schokoriegel beißt, wäre also künftig verboten. Beißt aber eine Influencerin in denselben Schokoriegel und bemüht sich darum, in ihrem Video Kinder nicht explizit anzusprechen, dann ist das erlaubt.
Eine Selbstverpflichtung der Industrie zeigt zu wenig Wirkung
Trotz solcher Unklarheiten glaubt Özdemir, mit seinem Gesetz gute Argumente auf seiner Seite zu haben, und das nicht nur, weil sein Vorhaben Teil des Koalitionsvertrages ist. Eine Selbstverpflichtung der Industrie zeige zu wenig Wirkung. Außerdem hätten Länder wie Großbritannien und Österreich bereits ähnliche Gesetze beschlossen.
Als Grundlage für die Einschätzung, ob ein Lebensmittel zu viel Zucker, Fett oder Salz enthält, dient das sogenannte Nährwertprofil-Modell der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die EU habe explizit erklärt, dass die dort festgelegten Werte Grundlage möglicher Regulierungsmaßnahmen sein könnten, so Özdemir. Die WHO empfehle etwa für Frühstückszerealien pro 100 Gramm höchstens zehn Gramm Fett, 15 Gramm Zucker und 1,6 Gramm Salz.
Ihn besorge es, wenn Ernährungsfachleute sagten, dass Kinder doppelt so viel Süßwaren und Snacks essen wie empfohlen, aber nur halb so viel Obst und Gemüse, wie für eine gesunde Ernährung nötig sei, sagt Özdemir. "Kinder essen aber nicht absichtlich ungesund, daher müssen wir sie schützen".
Den Kampf für mehr Kinderrechte in der Werbung vergleicht der grüne Minister mit dem Kampf für das Rauchverbot in Innenräumen. Das sei auch einst hochumstritten gewesen und inzwischen von fast allen akzeptiert. "In 20 oder 30 Jahren werden wir fragen: War die Debatte damals wirklich ernst gemeint?"