ÖPNV:Aus 9 mach 69

Millionen Deutsche nutzen aktuell das Neun-Euro-Ticket. Doch wie geht es weiter, wenn das Angebot ausläuft? Die Verkehrsunternehmen sagen: Es muss viel teurer werden.

Von Sophie Kobel und Christina Kunkel

Die Begeisterung für die ÖPNV-Flatrate von neun Euro ist ungetrübt, auch wenn man dadurch noch öfter also sonst dicht gedrängt in Bus und Bahn reisen muss. 31 Millionen Neun-Euro-Tickets wurden bisher gekauft, und erste Daten deuten darauf hin, dass seitdem auch der Autoverkehr in vielen Städten leicht zurückgeht. Stellt sich zur Halbzeit des Angebots die Frage: Wie geht es weiter im Herbst? Schließlich ist nicht abzusehen, dass die Bürger dann weniger Entlastung im Geldbeutel brauchen.

Ein neuer Vorschlag vom Verband der Verkehrsunternehmen (VDV): Statt neun Euro soll es monatlich 69 Euro kosten, wenn man bundesweit den ÖPNV nutzen möchte. Wen der Verband damit ansprechen möchte, wird schnell klar: "Zahlungswillige Autofahrerinnen und Autofahrer" nennt der VDV in einem Statement als "relevante Zielgruppe". Tatsächlich kann gerade für Menschen, die aus dem Speckgürtel in eine Großstadt pendeln, ein Monatsticket für 69 Euro deutlich günstiger sein als die Abo-Angebote regionaler Verkehrsbetriebe.

Als Bonus gäbe es die Möglichkeit obendrauf, mit dieser Karte auch Freizeitfahrten im Regionalverkehr quer durch die Republik zu unternehmen, wie jetzt auch mit dem Neun-Euro-Ticket. Doch selbst ein Preis von 69 Euro würde laut VDV nicht ausreichen, um die Kosten bei den Verkehrsunternehmen zu decken. "Das Klimaticket für 69 Euro wird Mehraufwendungen von etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr nach sich ziehen, die getragen werden müssen", so Verbandshauptgeschäftsführer Oliver Wolff. Zum Vergleich: Die Kosten für drei Monate 9-Euro-Ticket werden auf 2,5 Milliarden Euro geschätzt.

In den Ausbau des ÖPNV muss viel Geld fließen - auch das muss irgendwoher kommen

Wie könnte ein Anschlussangebot also finanziert werden? Und müsste es nicht günstiger sein, zum Beispiel ein 365-Euro-Jahresticket?

"Ein guter ÖPNV ist nicht zum Nulltarif zu haben", sagt Valentin Abel (FDP), Mitglied des Verkehrsausschusses. Man müsse nun kalkulieren, welcher Preis für die Verbände nachhaltig sei. Schließlich müsse man den Ausbau des Nahverkehrs angehen, während zugleich die Kosten für Personal und Energie steigen. Das alles kostet den Staat viel Geld, aber auch die Nutzer müssten sich an der Finanzierung beteiligen. Abel befürwortet ein Modell, bei dem Menschen je nach Einkommen unterschiedliche Preise zahlen. So könnte man gezielt jenen finanziell helfen, die es brauchen. "Wir sollten mit der Pipette und nicht mit der Gießkanne fördern", sagt der FDP-Mann. Die Idee des Verbundtickets begrüßt er, sie zeige: "Die Menschen nehmen den Nahverkehr an, wenn es kein Studium braucht, um ihn zu verstehen."

Auch die Grünen ziehen ihre Lehre aus dem günstigen Tarif des Sommers: "Das Neun-Euro-Ticket hat gezeigt, dass der Preis maßgebend ist", sagt Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Partei. Jetzt gebe es zwei Möglichkeiten weiterzumachen. Entweder man erhöhe die Fahrgeldeinnahmen, indem man auch künftig günstige Verbundtickets anbietet - und dadurch mehr Menschen sie kaufen. Oder das Geld komme aus dem Bundes- oder Landeshaushalt. Man habe in der Fraktion eine Studie in Auftrag gegeben, um auf der Basis von Zahlen argumentieren zu können. Die Grünen fänden auch ein dreistufiges Modell überlegenswert: Jeweils ein Tarif für Stadt-, Regional- und Bundesebene. So könnte man deutlich besser auf die jeweilige Lebenssituation der Fahrgäste eingehen. Für Stadtstaaten wie Berlin sei zudem das Wiener Modell, ein 365-Euro-Jahresticket, sehr attraktiv.

Dieses Konzept halten die Verkehrsunternehmen allerdings für unrealistisch - erst recht als Verbundticket. Das wäre nicht einmal die Hälfte der vom VDV berechneten 69 Euro, das sei "angesichts der Haushaltslage sicherlich kaum vorstellbar", heißt es vom Verband. Zudem wisse man vom Neun-Euro-Ticket, dass knapp ein Drittel der Fahrten ohne dieses Angebot gar nicht angetreten worden wären, also "Mehrverkehr" produziert wurde. Das sei nur in Maßen wünschenswert, angesichts der klimapolitischen Ziele von Verkehrsvermeidung und -verlagerung.

Ein Sprecher von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sagte am Freitag, es gebe ein verabredetes Verfahren, wonach im Herbst Ergebnisse einer Arbeitsgruppe von Bund und Ländern zur Zukunft und weiteren Finanzierung des ÖPNV vorliegen sollen. Nach einem direkten Anschlussangebot für das Neun-Euro-Ticket klingt das eher nicht.

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