Wenn sich zwei Partner zusammentun, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, ist meist etwas im Busch. Erst recht, wenn es Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind, die für gewöhnlich unterschiedliche, gar diametrale Interessen verfolgen. In diesem Fall aber sind sich die Gewerkschaft Verdi und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) einig: Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) steckt in der Krise.
„Wir sind in sehr ernsthaften Zeiten“, mahnt VDV-Präsident Ingo Wortmann am Montag. „Es geht um die Existenz des ÖPNV.“ Zurzeit fehle es in allen Bereichen der Infrastruktur an Investitionen, der Ausbau oder immerhin die Modernisierung des Systems sei so nicht möglich. „Wir gucken mit großer Sorge auf die Situation“, sagt auch die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle. Ihr sei derzeit keine einzige Kommune in Deutschland bekannt, die in der Lage sei, den aktuellen Verkehr problemlos aufrechtzuerhalten.
Die Hälfte des Landes sei „abgekoppelt“
Den ÖPNV sehen Behle und Wortmann als „essentiellen Bestandteil einer stabilen Daseinsvorsorge und einer funktionierenden Gesellschaft“. Dafür brauche es jedoch ein „leistungsfähiges“ und „zukunftsfähiges“ System – und das sei derzeit schlicht nicht der Fall. So sei das Deutschlandticket ein wichtiger Schritt, der die ÖPNV-Nutzung deutlich vereinfacht habe. Es laufe jedoch ins Leere, „weil die Hälfte des Landes abgekoppelt ist vom ÖPNV“, so Behle. Es brauche dringend eine Ausweitung des Angebots, sodass „ein verlässliches Grundangebot in ländlichen Räumen“ garantiert werden könne.
Ziel müsse es demnach sein, bundesweite und verbindliche Standards sowohl beim Angebot als auch bei Infrastruktur und Betrieb zu etablieren. „ÖPNV folgt nicht den Grenzen von Kommunen und Bundesländern“, halten die Gewerkschaft und der Branchenverband in einem gemeinsamen Papier fest. Tatsache ist jedoch: Bislang tut er in Deutschland genau das. Für den Nahverkehr sind hierzulande die Länder zuständig. Sie schreiben die Verkehre aus und sind so gesehen Auftraggeber der jeweiligen Verkehrsunternehmen.
In ihrem Papier fordern Verdi und VDV nun eine Reform des sogenannten Regionalisierungsgesetzes. Es war in den Neunzigerjahren Teil der großen Bahnreform in Deutschland und regelt unter anderem, wie viel Geld die Länder vom Bund bekommen, um die Versorgung mit Nahverkehr sicherzustellen. Ziel müsse es sein, das Gesetz „höher zu dotieren“, so Wortmann. Teil dieser Reform müsse demnach auch „eine Entscheidung über die künftige Verteilung der Finanzierungsverantwortung von Bund und Ländern“ sein, befinden Gewerkschaft und Branchenverband. Sprich: Wer zahlt wie viel. Diese Frage stellt sich etwa bei der Zukunft des Deutschlandtickets: Derzeit subventionieren Bund und Länder das Ticket mit 1,5 Milliarden Euro. Die CSU ist jedoch der Auffassung, der Bund müsse sich aus der Finanzierung ganz zurückziehen. Da die Union nach aktuellen Umfragen sehr wahrscheinlich Teil einer neuen Regierung sein dürfte, steht in diesem Punkt eine Grundsatzdiskussion an.
Auch „Fridays for Future“ streikte bereits mit Verdi für den ÖPNV
Um sowohl ein besseres Angebot als auch mehr Mittel für die Länder zu finanzieren, sprechen sich Verdi und VDV für eine Reform der Schuldenbremse aus. Sie müsse „finanzpolitisches Ziel einer neuen Bundesregierung“ sein. SPD und Grüne sehen das genauso, Union und FDP hingegen wollen an den bestehenden Verschuldungsregeln festhalten. „Ich halte es für falsch, die großen Herausforderungen unserer Gegenwart in diesem Kontext zu finanzieren“, sagt Wortmann. Darüber hinaus regen Verdi und VDV an, „die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen“ zu diskutieren – eine klassische klimapolitische Forderung, die für gewöhnlich eher von Umweltverbänden oder „Fridays for Future“ kommt.

Christian Bernreiter:„Ein Grünen-Verkehrsminister ist für mich unvorstellbar"
Christian Bernreiter ist seit Januar der oberste Verkehrsminister der Länder. Was er als solcher vorhat, warum das Deutschlandticket so nicht bleiben kann und warum der nächste Bundesverkehrsminister nicht aus der CSU kommt.
Kein volles Jahr ist es her, dass sich Verdi mit den Klimaaktivisten zusammentat und gemeinsam mit ihnen für bessere Arbeitsbedingungen für Busfahrer streikte – auch dies war eine überraschende Allianz. Damals stand die Tarifrunde für 90 000 Beschäftigte in den Nahverkehrsbetrieben an. Mehr noch als für mehr Geld streikten Gewerkschaft und Aktivisten für bessere Arbeitsbedingungen, etwa kürzere Schichten oder mehr Urlaub.
Die Tarifrunde ist längst abgeschlossen, die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen findet sich jedoch auch im Papier von Verdi und VDV wieder. Grundvoraussetzungen dafür sei – wenig überraschend – eine „angemessene und attraktive Vergütung im Rahmen von Tarifverträgen“, aber auch ein modernes Arbeitsumfeld in Betriebshöfen, Werkstätten und Fahrzeugen. Dabei setzt die Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Allianz auch auf mehr Automatisierung – eine Forderung, mit der sich insbesondere die Gewerkschaften lange schwergetan haben, da sie um Arbeitsplätze fürchteten. „Automatisierung und neue Technologien schaffen neue Berufsbilder und verändern bestehende Berufe“, heißt es nun in dem gemeinsamen Reformpapier. Die Personalentwicklung der Zukunft müsse sich daran orientieren.