Ölpreis:Venezuela zapft die Autofahrer an

Venezuelan soldiers collect containers with gasoline abandoned by smugglers near the Colombian border in San Antonio

Wertvolle Schmuggelware: Soldaten sichern Benzinkanister an der Grenze zu Kolumbien.

(Foto: Carlos Ramirez/Reuters)
  • Venezuela ist eine Öl-Monokultur. Jetzt leidet das Land unter dem Absturz des Ölpreises.
  • Früher war Venezuela Motor für den Linksruck in ganz Lateinamerika: Der verstorbene Präsident Hugo Chávez sponserte befreundete Politiker wie die Castros in Kuba mit billigem Sprit.

Von Sebastian Schoepp

Eine Tankfüllung Benzin ist in Venezuela billiger als Mineralwasser, Limo oder eine Tasse Kaffee. Wie billig, das kann man sich angesichts der drastischen Erhöhung vergegenwärtigen, die Präsident Nicolás Maduro am Mittwoch in einer Fernsehansprache an sein Volk bekannt gab: Angesichts der Krise des Landes wird der Benzinpreis auf das bis zu 60-Fache angehoben, die Steigerung ist nach Sorten gestaffelt. Sechs Bolivares pro Liter Benzin mit 95 Oktan werden an der Tanksäule fällig - wenn man günstig tauscht, kann man weiterhin mit einem Dollar drei Tankfüllungen für einen Mittelklassewagen kaufen. Damit bleibt Venezuela das Land mit dem billigsten Benzin auf der Welt - und einer der höchsten Inflationsraten.

Benzin zum Spottpreis war bisher der Treibstoff für Venezuelas Wirtschaft und das Sedativ für eine zunehmend unruhige Bevölkerung. Wenn es schon sonst kaum etwas zu kaufen gab: wenigstens der Sprit war fast umsonst und leichter zu haben als manche Grundnahrungsmittel. Wegen seiner Zahlungsprobleme muss Venezuela nämlich auch seine Importe drosseln, was zu noch längeren Schlangen an den Geschäften führen wird. Mit der Preiserhöhung für Sprit - der ersten seit bald zwanzig Jahren - will Präsident Maduro 800 Millionen Dollar Subventionen einsparen, die der Staat bisher in den Treibstoff steckte. Bei seiner Ansprache appellierte er an die Solidarität seiner Landsleute: das gesparte Geld werde in Sozialprogramme fließen. Außerdem kündigte Maduro eine weitere Abwertung des Landeswährung an.

Extreme Zahlungsprobleme

Venezuela ist eine Öl-Monokultur. Einst war das Land Motor für den Linksruck in ganz Lateinamerika, Präsident Hugo Chávez, Maduros spätsozialistischer Vorgänger, sponserte befreundete Politiker wie die Castros in Kuba mit billigem Sprit. Zuhause garantierten ölfinanzierte Wohnungsbau- und Gesundheitsprogramme den Chavisten Wahlsiege. Der Preisverfall auf dem Weltmarkt hat nun zu extremen Zahlungsproblemen geführt. Wenn Venezuela weiterhin nur 25 Dollar für sein Barrell Öl bekomme, werde das Land in diesem Jahr 20 Milliarden Dollar für Öl einnehmen, hat der venezolanische Wirtschaftswissenschaftler Leonardo Vera ausgerechnet. 85 Prozent davon werde der Schuldendienst auffressen. "Für ein Land, das fast zur Gänze von seinen Ölexporten abhängt, ist das Katastrophenszenario", schreibt Vera auf dem Nachrichtenportal infolatam.com.

16 Prozent Wirtschaftskraft habe Venezuela in den beiden zurückliegenden Jahren verloren, führt Vera weiter aus. Setze sich das 2016 fort, wovon auszugehen sei, hätte das Land in drei Jahren fast ein Viertel seines Bruttoinlandsprodukts eingebüßt. Das hält nicht mal die größte Öllagerstätte der Welt aus. Die Nachrichtenagentur Reuters entwirft bereits das Szenario eines Staatsbankrotts.

Was Venezuela passiert, ist derzeit typisch für ölfördernde Länder. Die meisten sind mehr oder weniger staatskapitalistische Systeme, in denen die Regierungen ölfinanzierte Wohltaten verteilen. Bei südamerikanischen Ökonomen heißt dieses System Extraktivismus. Es bedeutet, dass ein Land nur von dem lebt, was in der Erde lagert oder an den Bäumen wächst.

Das Verdienst von Hugo Chávez war es, dass er große Teile der Bevölkerung überhaupt erst am Ölreichtum hat teilhaben lassen, vorher war fast alles in die Taschen postkolonialer Eliten geflossen. Doch den zweiten Schritt hat der 2013 verstorbene Chávez nicht vollzogen, nämlich den Umbau des Landes in eine Produktivwirtschaft. Dem schwachen Nachfolger Maduro fehlt dafür das Format - eine Folge des südamerikanischen Caudillismo, des Systems also, das auf eine paternalistische Führungsfigur zugeschnitten ist.

Venezuelas schwache Führung hat die Entwicklung verschlafen

Mexiko ist in Lateinamerika das einzige ölexportierende Land, das seine Wirtschaft in den letzten Jahren ausreichend diversifiziert hat. Insbesondere die Autoproduktion für den US-Markt ist ein Pfeiler der Wirtschaft. Ecuador und Bolivien versuchen es immerhin - nur Venezuela hat die Entwicklung komplett verschlafen.

Das dämmert auch der Bevölkerung. Erst im Dezember hatten die Wähler den Chavisten bei der Parlamentswahl eine massive Abfuhr erteilt, die Opposition gewann fast die Zweidrittel-Mehrheit. Maduro reagierte mit autokratischen Maßnahmen. Mitte Januar erließ er Notstandsgesetze und rechtfertigte diese mit der katastrophalen Wirtschaftslage, für die er allerdings eine Verschwörung aus örtlichen Unternehmern und Gringos verantwortlich macht. Der Oberste Gerichtshof hat die Notstandsdekrete vor wenigen Tagen für rechtens erklärt. Die Opposition schäumt, allerdings ist das Parlament im venezolanischen Präsidialsystem relativ schwach. Immerhin hat Maduro der Wirtschaft Entgegenkommen signalisiert, indem er den als Verschwörungstheoretiker besonders aktiven Wirtschaftsminister Luis Salas nach nur fünf Wochen abberief. An seine Stelle tritt der unternehmensfreundlichere Miguel Pérez.

Als eine der ersten Maßnahmen von Pérez gilt die Vereinfachung des Wechselkurssystems. In Zukunft soll es nur noch zwei statt bisher drei offizielle Tauschkurse geben. Der Bolivar wurde außerdem abgewertet, es gibt jetzt offiziell zehn statt 6,30 Bolivares für den Dollar. Der Schwarzmarktkurs beträgt hingegen bis zu tausend Bolivares pro Dollar. Noch so ein Superlativ aus Venezuela: Eine galoppierende Inflation, die bis zu 200 Prozent erreicht.

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