Ölmarkt:Die neue Nummer eins

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Shell kauft für 64 Milliarden Euro den kleinen britischen Rivalen BG und wird damit zum weltweit größten Flüssiggas-Produzenten. Der Preisverfall setzt die Konzerne unter Druck.

Von Björn Finke, London

So sieht es also aus, wenn Ben van Beurden spart. Der Niederländer ist Chef des Öl- und Gaskonzerns Shell, und bei der Bilanzvorstellung im Januar redete er ganz viel darüber, dass er wegen des Verfalls des Ölpreises Investitionen kappen und das Geld zusammenhalten müsse. Doch nun schob er diese hehren Vorsätze zur Seite: Royal Dutch Shell kauft den kleineren britischen Rivalen BG für 64 Milliarden Euro und zahlt so einen happigen Aufpreis von 50 Prozent auf den Schlusskurs der BG-Aktien vom Vortag. Am Mittwoch verkündete das Management der beiden Firmen, sich geeinigt zu haben. Die Anteilseigner müssen noch zustimmen - und die Wettbewerbshüter, was viel Überzeugungsarbeit erfordern wird. Denn mit der Fusion entsteht ein neuer Gigant; Shell verringert so den Abstand zum Marktführer Exxon-Mobil aus den Vereinigten Staaten deutlich. "Kühne strategische Züge sind es, die unsere Industrie formen", sagt van Beurden ein wenig schwelgerisch. Der Gasförderer BG mit seinen gut 5000 Beschäftigten und Shell mit 92 000 passten großartig zusammen. Die weltweite Nummer eins Exxon-Mobil entstand ebenfalls durch einen Zusammenschluss. 1999 war das, bei der letzten großen Übernahmewelle in der Industrie. Auslöser waren auch damals gesunkene Ölpreise. Chevron fusionierte 2001 mit Texaco, BP schluckte die US-Konkurrenten Amoco und Arco. Jetzt sind die Öl- und Gas-Notierungen wieder im Keller - und Shells Kauf von BG, das teuerste Geschäft in der Branche seit dieser Welle, könnte einen neuen Fusionsreigen anstoßen.

Seit vergangenen Sommer halbierte sich der Ölpreis. Das setzt viele Öl- und Gasförderer unter Druck, zumal hohe Investitionen nötig sind, um neue Quellen zu erschließen. Der Aktienkurs von BG sank seit Beginn des Preisverfalls um mehr als ein Viertel. Zuletzt wurde sogar spekuliert, Shell könnte BP übernehmen. Das Thema ist nun vom Tisch. Die Ölkonzerne reagieren auf die niedrigen Preise, indem sie Randgeschäfte verkaufen, Stellen streichen und Ausgaben kappen, etwa für die Erforschung neuer Lagerstätten. 2014 wurden so wenig Öl- und Gasreserven entdeckt wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Shell-Tankstelle in England: Der Konzern mischt mit seinem Zukauf die Branche auf. Weitere Fusionen werden sicher folgen. (Foto: Jason Alden/Bloomberg)

Oder die Konzerne schließen sich zusammen, um Kräfte zu bündeln. So kaufte im Dezember Repsol aus Spanien Talisman Energy aus Kanada, und der Branchen-Dienstleister Halliburton übernahm im November den Rivalen Baker Hughes. Im Vergleich zur Fusion von Shell und BG waren das aber kleine Deals.

Doch nicht nur die niedrigen Preise sind ein Problem. Zugleich wird das Geschäft kostspieliger. Die am einfachsten zugänglichen Lagerstätten werden schon lange ausgebeutet und werfen immer weniger ab. Dafür warten in der Tiefsee oder in der Arktis große Reservoirs darauf, angezapft zu werden. Das ist allerdings technisch aufwendig, teuer - und riskant, wie 2010 die Ölpest im Golf von Mexiko zeigte.

Shell-Chef van Beurden setzt große Hoffnungen auf die Arktis und die hohe See und will noch in diesem Jahr mit Bohrungen vor der Küste Alaskas beginnen. Umweltschützer befürchten das Schlimmste für einen der letzten unberührten Flecken des Planeten; Aktivisten von Greenpeace enterten nun eine Shell-Plattform auf dem Weg gen Norden.

Außerdem will der niederländisch-britische Konzern im Geschäft mit Flüssiggas wachsen. Dabei wird Gas nach der Förderung in flüssige Form gebracht und kann dann günstig mit dem Schiff transportiert werden. BG - die Firma ging aus dem Unternehmen British Gas hervor - ist ein wichtiger Anbieter, und nach der Übernahme wird Shell der weltweit größte Produzent von Flüssiggas sein.

SZ-Grafik, Quelle: Bloomberg (Foto: SZ-Grafik)

Sollte die Fusion den Fortschritt bei Flüssiggas-Projekten beschleunigen, wäre das sehr im Sinne europäischer Regierungen. Denn flüssiges Gas, das per Tankschiff etwa aus Brasilien kommt, würde die unangenehm große Abhängigkeit von russischen Lieferungen über Pipelines verringern.

Van Beurden hofft, dass der Zusammenschluss Einsparungen von 2,3 Milliarden Euro vor Steuern ermöglicht. Die Aktionäre von BG bekommen Bares und Shell-Aktien - dadurch halten sie am Ende 19 Prozent der Anteilsscheine am fusionierten Unternehmen. Um Geld für das Geschäft hereinzubekommen, will der Niederländer bis 2018 Konzernteile im Wert von 28 Milliarden Euro verkaufen. Allein deshalb schon wird es weitere Übernahmen geben. Passenderweise verkündete Rex Tillerson, Chef des US-Rivalen Exxon-Mobil, bereits im März, er habe Appetit auf Zukäufe.

Ursache für den Verfall der Preise von Öl und Gas ist zum einen, dass die maue Weltkonjunktur die Nachfrage dämpft. Zum anderen erhöht der Boom bei Schiefergas in den USA das Angebot. Shell-Chef van Beurden schätzt aber, dass Nachfrage und Preise früher oder später wieder anziehen.

Für die Aktionäre von BG war die Ankündigung der Fusion ein Geschenk. Der Aktienkurs stieg am Mittwoch zwischenzeitlich um mehr als 40 Prozent. Die Papiere von Shell verloren dagegen leicht. Die eigenen Aktionäre muss van Beurden offenbar noch von den Segnungen der Fusion überzeugen.

© SZ vom 09.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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