Ölkonzerne:Auf der Suche nach Zukunft

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Die Macht schrumpft: In den 1960er Jahren beherrschten Öl-Multis wie Exxon Mobil, Shell und BP noch 85 Prozent der Welterdölreserven, heute haben sie nur noch Zugriff auf 16 Prozent. Das zeigt: Der Reichtum der Multis ist vergänglich, die Konzerne müssen umdenken.

Andreas Oldag

Robert Dudley gilt als umsichtiger Manager mit diplomatischem Führungsstil. Doch jetzt machte der Chef des britisch-russischen Gemeinschaftsunternehmens TNK-BP seinem Ärger Luft. "Es ist klar, dass uns nun die Zeit wegrennt", schrieb Dudley in einer E-Mail an seine Mitarbeiter. Das einst gefeierte Joint Venture steht auf der Kippe. Hintergrund ist ein bizarrer Streit mit den russischen Anteilseignern, drei schwerreichen Milliardären. Sie wollen Dudley absetzen und ersinnen dabei immer neue Finten: Nun sollen die ausländischen TNK-BP-Mitarbeiter, auch Dudley, ihre Arbeitsvisa für Russland verlieren.

Shell, Texas: Der Einfluss der Ölmultis sinkt. (Foto: Foto: AP)

Noch ist unklar, inwieweit es sich dabei um ein Komplott des Kremls gegen den britischen Weltkonzern handelt. Muss BP tatsächlich Russland verlassen, wäre dies ein Desaster für den Konzern: Etwa 22 Prozent der Produktion des Öl- und Energiekonzerns und 19 Prozent der Erdöl- und Erdgasreserven entfallen auf das Joint Venture. Der Streit ist eine Facette eines weltweiten Trends: Die westlichen Ölkonzerne verlieren immer mehr an Einfluss in wichtigen Förderstaaten. Nationalistische Regierungen jagen sie von den Öl- und Gasfeldern.

Für die Multis wie Exxon Mobil, Shell und BP hat dies dramatische Folgen. In den 1960er Jahren beherrschten sie 85 Prozent der Welterdölreserven. Heute haben sie direkt gerade noch Zugriff auf 16 Prozent der Reserven. Mindestens 65 Prozent kontrollieren staatliche Unternehmen der Förderländer. Dies macht die weltweite Ölversorgung nicht sicherer. Im Gegenteil: Viele Staatsfirmen sind marode, ineffizient und korrupt.

Was BP vielleicht in Russland blüht, hat Exxon in Venezuela bereits erfahren: Per Dekret ordnete der rote Präsident Hugo Chavez an, dass der weltgrößte Ölkonzern seine Mehrheit an großen Ölfeldern im Orinoco-Gebiet abgeben musste. Während sich die französische Total und die norwegische Statoil Hydro dem Autokraten fügten und einen Minderheitsanteil akzeptierten, schalteten die Amerikaner auf stur. Auch der US-Konzern Conoco Phillips fordert wie Exxon eine Entschädigung. Beide Firmen zogen sich aus Venezuela zurück. Nun spricht Chavez von einem Krieg gegen sein Land, er drohte den USA bereits mit Lieferboykott.

Nur noch ein Nischenanbieter

Zwar scheffeln die westlichen Ölkonzerne dank des in schwindelnde Höhe gestiegenen Ölpreises derzeit Rekordgewinne und gehören deshalb zu den reichsten Unternehmen der Welt. Dennoch ist den Vorstandschefs nicht zum Feiern zumute. Im Gegenteil: Sie alle wissen, dass die Luft dünner wird. In fünf bis zehn Jahren würden ihre Firmen geopolitisch nicht mehr viel zu melden haben, so der harsche Befund des kanadischen Ölanalysten Jeff Rubin. "Dann haben die Staatsfirmen auf dem Ölmarkt das Sagen", meint der Experte.

"Wir werden bald nur noch Nischenanbieter sein", schwant einem Manager eines europäischen Konzerns. Um zu überleben, müssten sie sich dringend etwas einfallen lassen, meint er. Eine Lösung könnte darin liegen, dass sich die Konzerne künftig stärker auf die Erschließung schwer zugänglicher Reserven konzentrieren und ihr technisches Wissen einsetzen. Dabei geht es zum Beispiel um Lagerstätten in der Tiefsee, aber auch um Ölsande in Kanada. Nach Schätzung der US-Beratungsgesellschaft Wood Mackenzie gibt es weltweit 3600 Milliarden Barrel (1 Barrel = 159 Liter) solcher Reserven. Diese Mengen könnten sogar den Neid der Saudis erwecken.

Die Jagd nach Geld

Aber wo sind die Investitionsprogramme der Ölkonzerne? Zwar haben Shell, Exxon Mobil in Kanada und die italienische ENI-Gruppe in Nigeria Ölsandprojekte gestartet. Doch die Branche ist auf einen Paradigmenwechsel schlecht vorbereitet. Anstatt konsequent neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, schwanken die Manager zwischen alten Großmachtsträumen und zaghaften Investitionsansätzen. Auch alternative Energien spielen bei der Strategie immer noch eine untergeordnete Rolle.

Hinzu kommt, dass die Erdölkonzerne an den Börsen nach Geld gejagt haben statt ihr Kerngeschäft der Ölförderung und Erschließung neuer Ressourcen bestmöglich zu gestalten. Tatsächlich war es für die Firmenvorstände lange Zeit schwierig, ihren Anteilseignern zu erklären, warum bei einem Ölpreis von kaum mehr als zehn Dollar pro Barrel wie Ende der 1990er Jahre risikoreiche Investitionen notwendig seien. Stattdessen sahen die Manager ihre Aufgabe darin, durch milliardenschwere Aktienrückkaufprogramme den Unternehmenswert zu steigern.

Ein Blick in die Bilanzen zeigt, dass die Konzerne ihre Finanzkraft einseitig einsetzten: Laut einer Studie des US-Instituts James A. Baker Institute for Public Policy steckten Exxon Mobil, Shell, BP, Chevron und Conoco von 1998 bis 2006 etwa 56 Prozent ihrer liquiden Mittel in den Rückkauf von Aktien und in Dividenden. Modellfall ist Exxon Mobil: 2007 stellte der Konzern 31,8 Milliarden Dollar für eigene Aktien bereit.

Nur langsam setzt bei den Konzernen das Umdenken ein. Sie stehen unter öffentlichem Druck, zukunftsweisende Ideen für die Energieversorgung zu finden. Vor allem im US-Kongress stehen die Ölmultis am Pranger. Politiker fordern Sondersteuern, um die Gewinne abzuschöpfen. Nur: Auch wenn die Ölmanager heute milliardenschwere Investitionsprojekte ankurbeln, dauert es im Schnitt sieben Jahre bis zur Produktionsaufnahme. Zudem ist der Markt für hochqualifizierte Ingenieure und Geologen leergefegt. Die Branche muss erst lernen, ihren Pioniergeist wiederzubeleben, der sie einst groß gemacht hat.

© SZ vom 04.07.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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