Ölkatastrophe: Topjurist verklagt BP:Der Fall seines Lebens

Für Advokaten ist die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko eine Jahrhundertchance. Staranwalt Daniel Becnel aus Louisiana dürfte sie zum Leidwesen von BP nutzen.

Nikolaus Piper, New York

Zu seinen Trophäen gehören Unternehmen wie Reynolds, Philip Morris, Shell, Toyota, Merck und Pfizer. Jetzt dürfte BP dazukommen. Oberflächlich betrachtet ist David Becnel, 65, nur ein Kleinstadtanwalt, dessen Kanzlei in Reserve im Bundesstaat Louisiana ganze zwölf Kollegen beschäftigt. Tatsächlich jedoch ist er einer der erfolgreichsten Spezialisten für Schadenersatzklagen in den Vereinigten Staaten.

Becnel Marshals Lawyer Army Suing for Billions in BP's Gulf Spill

Auf Geld ist David Becnel - der hier am Ufer des Mississippi posiert - eigentlich nicht angewiesen. Er hat bereits ein Vermögen verdient.

(Foto: bildextern)

Die juristische Aufarbeitung der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko dürfte der Fall seines Lebens werden. Schon wenige Tage nach der Explosion auf der Ölplattform Deepwater Horizon am 20.April reichte er die ersten Klagen von Fischern gegen BP ein. Aber dies ist nur der Anfang. Der wirtschaftliche Schaden der Ölpest werde 20 bis 50 Milliarden Dollar erreichen, sagte Becnel dem Magazin Business Week. Für Anwälte ist dies eine Jahrhundertchance.

Die Geschichte von Daniel Becnel liest sich wie das Drehbuch zu einer Fernsehserie. Geboren wurde er 1944 unweit von New Orleans als Sohn eines US-Militärstaatsanwalts. Er studierte Recht in Los Angeles und gründete 1969 seine Praxis in Reserve, einem 9000-Einwohner-Ort am Mississippi.

Hilfe, die sich auszahlte

Seine erste Klientin war, so erzählte er die Geschichte Journalisten, eine junge Frau namens Paulette Trosclair, die kurz vor der Hochzeit ihr Auto ihrem künftigen Ehemann überschreiben wollte. Für den Rechtsakt hätte Becnel eine Gebühr von drei Dollar zugestanden; die erließ er der Braut aber mit der Bemerkung: "Wenn Sie einmal etwas Wichtiges haben, dann denken Sie an mich." Einige Jahre später hatte Trosclair einen schweren Verkehrsunfall. Becnel erstritt für sie Schadenersatz von mehr als einer Million Dollar - es war der Beginn seiner Karriere.

Mittlerweile hat er Justizgeschichte geschrieben. Er verklagte die Hersteller von Brustimplantaten und von Schlankheitspillen, er nahm es mit dem Pharmakonzern Merck auf, dessen Rheumamittel Vioxx im Verdacht stand, das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle zu erhöhen.

Vermögen mit Schadenersatzklagen

Er war in die Klagen gegen Toyota wegen eingeklemmter Gaspedale involviert. Für Hausbesitzer in der Kleinstadt St. Bernard an der Golfküste erstritt er 330 Millionen Schadenersatz von der Ölfirma Murphy Oil, deren Anlagen nach dem Hurrikan Katrina 2005 eine - nach heutigen Maßstäben - kleine Ölpest ausgelöst hatten. Die beteiligten Anwälte erhielten 36 Millionen Dollar.

Mit Schadenersatzklagen lässt sich in Amerika ein Vermögen verdienen. Becnel besitzt ein riesiges Anwesen in Reserve, das kürzlich von James Cutler umgebaut wurde, dem Stararchitekten, der auch die Villa von Bill Gates entworfen hat. Er betreibt eine kleine Hühnerfarm, besitzt eine Ranch in Colorado und 17 Mercedes-Limousinen.

Becnel verfügt auch über gute Drähte in die Demokratische Partei. Sein Sohn Bradley arbeitet im Weißen Haus; er gehört zu dem Team, das die Staatsbesuche von Präsident Barack Obama vorbereitet.

Phantastisches Einkommen lockt

Und jetzt also Deepwater Horizon. Die Ölkatastrophe dürfte ihn emotional berühren, da seine eigene Heimat betroffen ist; es lockt aber auch ein phantastisches Einkommen.

Ölkatastrophe im Golf von Mexiko - BP kann Ölpest nicht stoppen

"BP, wir wollen unseren Strand zurück" - in Grand Isle, sonst Urlaubsort und Heimat vieler Fischer, sind die Ufer verölt.

(Foto: dpa)

Zunächst einmal herrscht in dem Fall juristisches Chaos, was für Anwälte nicht unbedingt schlecht sein muss. Vor einer Woche veranstaltete die Louisiana State Bar Association, die Anwaltsvereinigung des Bundesstaates, ein Symposium mit über 300 Anwälten. "Es ist ein furchtbares Durcheinander", klagte Becnel auf der Konferenz. Insgesamt 130 Zivilklagen gibt es mittlerweile, darunter von Fischern, Austernfarmern und Restaurantbesitzern.

Ihnen stehen vier Beklagte gegenüber, neben BP der Betreiber der Plattform, Transocean, der Halliburton-Konzern, der für die Fassung des Bohrlochs verantwortlich ist, und Cameron Inc., der Hersteller des Sicherungssystems am Bohrloch. Zu den Klagen von Privatleuten dürfte ein Strafverfahren der Regierung in Washington kommen, dazu Klagen der Bundesstaaten Louisiana, Florida, Alabama, Mississippi und Texas.

Streit um den Verhandlungsort

Zu klären ist zunächst, wo das Verfahren überhaupt stattfinden soll. Becnel will es in den besonders betroffenen Staat Louisiana holen, Anwälte der Beklagten dagegen versuchen, nach Houston in Texas auszuweichen, wo sie einen günstigeren Prozess erwarten. Und dann die entscheidende Frage: Wie viel Schadenersatz ist denkbar? Das Gesetz sieht zwar eine Obergrenze von 75 Millionen Dollar vor, aber BP hat bereits auf die Anwendung dieser Klausel verzichtet.

Nach Meinung von Rechtsexperten ist die Grenze für Zivilklagen ohnehin irrelevant. Der entscheidende Begriff heißt "Punitive Damages" (Straf-Schadenersatz). Das US-Recht erlaubt es, zu Abschreckungszwecken in Zivilverfahren Strafen zu verhängen, die über den Schaden hinausgehen. "Diese Strafen könnten in die Milliarden gehen", sagt David Uhlman, Spezialist für Umweltrecht an der Universität von Michigan.

Exxon als Maßstab

Der Maßstab für den rechtlichen Umgang mit Umweltkatastrophen in Amerika ist bisher der Fall Exxon Valdez. Nach dem Untergang des Öltankers 1989 vor Alaska wurde der Konzern zu fünf Milliarden Dollar Schadenersatz verurteilt; ein Gericht reduzierte die Summe im vergangenen Jahr auf 509 Millionen Dollar.

Doch zu Deepwater Horizon gibt es einen wesentlichen Unterschied: Die Katastrophe vor Alaska hat ein betrunkener Kapitän ausgelöst, jetzt im Golf von Mexiko scheinen Managementfehler die Ursache zu sein.

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