Süddeutsche Zeitung

Ölbohrungen:Weiter, immer weiter machen

Bloß kein Verbot: Die großen Energiekonzerne wollen schärfere Regeln zur Ölförderung in tiefen Gewässern um jeden Preis verhindern - das Geschäft ist noch immer lukrativ.

Andreas Oldag und Silvia Liebrich

Für Jack Gerard gibt es keinen Zweifel: Auf Tiefseebohrungen könne die Ölindustrie keinesfalls verzichten, meint der Präsident des American Petroleum Institute (API). Es ist die größte Lobby-Organisation der amerikanischen Ölindustrie, Gerard ist einer der mächtigsten Strippenzieher der Branche in Washington. Immerhin, Gerard räumt auch ein, dass mit der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko etwas schief gelaufen ist. Doch die Branche müsse nach vorne blicken. Der Auftrag des API: Alles verhindern, was Tiefseebohrungen in den USA einschränken könnte.

Doch auch Hardliner wie Gerard können nicht verhindern, dass weltweit über die Risiken von Tiefseebohrungen debattiert wird. Ist der enorme Druck in mehreren Tausend Metern Wassertiefe überhaupt beherrschbar? Wie zuverlässig sind die technischen Einrichtungen für Notabsperrungen? Gibt es ausreichende Notfallpläne im Falle einer Ölpest? Die Ölindustrie macht indes keinen Hehl daraus, dass ihr das von US-Präsident Barack Obama erneuerte Moratorium für Tiefseebohrungen nicht passt. Sie warnt vor einem "Übermaß" an Regulierung.

Unmittelbar nach der Explosion auf der vom britischen Ölkonzern BP betriebenen Bohrplattform Deepwater Horizon im April hatte sich die Branche noch kleinlaut gezeigt. Doch nun geben sich die Lobbyisten bei US-Politikern wieder die Klinke in die Hand. Im Kongress liegen mehrere Dutzend Gesetzesentwürfe, die sich alle mit den Konsequenzen aus der Ölkatastrophe beschäftigen.

Auf's Meer vertrieben

Die US-Regierung steckt in einem Dilemma. Einerseits hat sich Präsident Obama zum Anwalt der geschädigten Fischer gemacht. Eine Katastrophe wie Deepwater Horizon, die offenbar eine Folge von Schlamperei und technischen Pannen ist, solle nicht wieder passieren. Doch andererseits hängen Tausende Arbeitsplätze vom Ölgeschäft im Golf von Mexiko ab. Mehr noch: Mit ihren etwa 6000 Fördertürmen ist dies die wichtigste Region der Welt für Tiefseebohrungen. Sie steuert ein Viertel der amerikanischen Rohölversorgung bei.

BP-Vorstandsmitglied Iain Conn lässt keinen Zweifel daran, dass die Branche an Tiefseebohrungen festhalten will. "Es ist ähnlich wie bei der Nutzung der Nuklearenergie. Wir müssen die Risiken minimieren. Das ist eine ständiger Herausforderung, vor der die Industrie steht."

Hintergrund ist dabei ein Trend, der sich in den vergangenen Jahren bei den großen westlichen Ölkonzernen wie BP, Shell, ExxonMobil, Chevron und Total verstärkt hat. Weil die Unternehmen von nationalen Ölgesellschaften im Nahen Osten oder Südamerika immer mehr verdrängt werden, konzentriert sich "Big Oil" nun auf technologieintensive Fördergebiete. Vor allem Tiefseebohrungen sollen helfen, schwindende Reserven aufzubessern.

Hauptsache nicht schärfer reguliert werden

Der Boom der Tiefseebohrungen wird deshalb weiter gehen. Die Industrie muss allerdings wegen verschärfter Sicherheitsauflagen mit höheren Kosten rechnen. Die Versicherungskosten für Plattformen sind bereits deutlich gestiegen. Zudem werden die Regierungen die Unternehmen dazu anhalten, Notfallpläne zu entwickeln.

Vorbild könnte dabei die jetzt von den Konzernen ExxonMobil, Chevron, ConocoPhillips und Shell gegründete Organisation Marine Well Containment Company sein. Die Firmen stellen für diese Öl-Feuerwehr eine Milliarde Dollar (780 Millionen Euro) bereit. Spezialschiffe und Unterwassergeräte sollen künftig Öl aus lecken Bohrstellen rasch und effizient auffangen können.

Nach Meinung von Kritikern ist dies allerdings auch ein Versuch, einer schärferen Regulierung zuvorzukommen. So hat beispielsweise auch Norwegens Regierung die Vergabe neuer Bohrlizenzen erst einmal gestoppt. "Für mich kommt es nicht in Frage, neue Bohrlizenzen in Tiefseegebieten zu vergeben, bis wir genau wissen, was mit der Deepwater Horizon passiert ist", sagte Energieminister Terje Riis Johansen.

Neue Projekte werden sich deshalb vermutlich verzögern. Die norwegische Ölindustrie hat derzeit vor allem noch nicht erschlossene Vorkommen in der Nähe der Lofoten im Norden des Landes ins Visier genommen. Dort werden bis zu 1,3 Milliarden Barrel in der Tiefsee vermutet. Auch Norwegen muss neue Reserven erschließen, um die rückläufige Produktion seiner Ölfelder in der Nordsee auszugleichen. Seit dem vor zehn Jahren erreichten Produktionshoch ging die Gesamtförderung deutlich zurück. Doch Norwegens Regierung ist gespalten in der Frage, ob die Felder vor den Lofoten geöffnet werden sollen. Druck spürt sie vor allem von der Opposition und Umweltschützern.

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SZ vom 29.07.2010/stl/mel
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