Im Jahr 2008 fliegt Klaus Stieglitz mit acht Wasserproben im Koffer und einem unguten Gefühl im Bauch nach Deutschland. Die Proben stammen aus Sümpfen und Brunnen in der Stadt Koch im Unity State, einer ölreichen Gegend im heutigen Südsudan. In der Stadt Koch erzählen sich die Menschen seit kurzem, dass viele Kühe sterben. Das Brunnenwasser, sagen sie, schmecke salzig, und kratze im Hals. Nur wenige Kilometer entfernt fördert ein Konsortium Öl. Die Menschen glauben, dass es da einen Zusammenhang gibt.
Acht Jahre ist das her. Heute sitzt Klaus Stieglitz, 46, im Konferenzraum der Organisation Hoffnungszeichen in Konstanz, den Laptop aufgeklappt, darin zig Mails, Videos und Fotos. Stieglitz weiß, dass er sich mit dem, was er der Süddeutschen Zeitung und Report München berichtet, drei mächtige Gegner aufhalst: Die südsudanesische Regierung, den malaysischen Mineralölkonzern Petronas und die Daimler AG. Aber er ist wütend. Zu lange hat er auf die Gefahren hingewiesen, zu lange hat sich nichts getan: 180 000 Menschen in und um Koch müssten Wasser trinken, das salzig und voller Blei sei, das hat er mittlerweile belegt durch mehrere Studien.
"Früher sind unsere Kühe nicht gestorben", sagt der Dorfvorsteher aus der Ortschaft Rier
Bereits in den ersten acht Wasserproben finden Wissenschaftler 2008 stark erhöhte Salzwerte. Um sicher zu gehen, dass die Werte stimmen, reist die Forscherin Hella Runge des Unternehmens African Water in den Südsudan und nimmt Dutzende weitere Proben: Aus den Bohrspülgruben, dem Prozesswasserbecken, aus Sümpfen und Brunnen. Ihr Ergebnis: Die Salzwerte in den Brunnen nahe der Produktionsanlagen sind bis zu vier mal so hoch wie im Trinkwasser erlaubt. Das verschmutzte Brunnenwasser und das Spülgrubenwasser haben eine vergleichbare Zusammensetzung - ganz anders als das Sumpfwasser. "Das Brunnenwasser ist so salzig, das würden sie nicht einmal zum Kochen verwenden", sagt Runge. Es könne zu schwerem Durchfall führen. Keine gute Nachricht für ein Land, in dem ein Großteil der Bevölkerung unterernährt ist. In der Ortschaft Rier findet Runge auch Blei, acht mal so hoch wie der erlaubte Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation.
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African Water veröffentlicht noch im selben Jahr die ersten Ergebnisse, Journalisten berichten. Stieglitz lässt ein Video auf seinem Laptop laufen. Man sieht Erdlöcher, in denen das Rohöl schwimmt. "Keine Plastikabdeckung, die Stoffe können einfach so in den Boden sickern", sagt Stieglitz. Der Dorfvorsteher aus Rier sagt: "Früher sind unsere Kühe nicht gestorben und unsere Kinder sind nicht gestorben, unser Wasser war gut". In einem anderen Beitrag beklagt der Landrat von Koch 27 Tote, 1000 sollen erkrankt sein.
Stieglitz schreibt Briefe an das Ölkonsortium White Nile Petroleum Operating Company (WNPOC) im Südsudan, das zu etwa 68 Prozent dem Konzern Petronas gehört. Er fragt, wie die Abwässer entsorgt werden. Eine Antwort bekommt er nicht. Unterdessen investiert seine Organisation etwa 270 000 Euro Spendengelder, um einen Brunnen zu bauen, der 200 Meter tief ist. Dort könnte das Wasser noch unbelastet sein. Stieglitz hofft.
Während Bohrgeräte per Schiff über Kenia in den Südsudan gebracht werden, schaltet Stieglitz daheim an einem Montag den Fernseher an, das Mercedes-Formel-1-Team präsentiert den neuen Silberpfeil. Die Kameras filmen den Rennwagen in Großaufnahme. Stieglitz liest den Namen des Titelsponsoren: Es ist Petronas.
Er verfasst einen Brief an Michael Schumacher und an den Daimler-Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche, in dem er von dem verseuchten Wasser berichtet. Die Bohrarbeiten im Südsudan laufen weiter. Am 18. April 2010 ruft Runge Stieglitz an: "Das Wasser, 200 Meter tief, ist sauber, ich freue mich wie ein Schnitzel!" Stieglitz atmet auf. Er beantragt Gelder beim Bundeswirtschaftsministerium. Fünf weitere Brunnen werden gebaut. Auch mit Daimler geht es voran. Ein Manager der Abteilung Corporate Social Responsibility bietet an, Kontakt zum Ölkonsortium zu vermitteln.
Daimler ist ein Konzern, der auf Compliance wert legt, wie sie es nennen: Auf das Einhalten von Regeln und Anstand. Seit 2000 ist der Global Compact der Vereinten Nationen die Richtschnur. Er schließt neben Umweltschutz auch die Achtung von Menschen- und Arbeitnehmerrechten ein. In dem aktuellen Nachhaltigkeitsbericht zitiert Zetsche zur Einleitung den Philosophen Hans Jonas und schreibt: Wer nach dem Prinzip "nach mir die Sintflut" handle, mache die Sintflut damit ein gutes Stück wahrscheinlicher. "Stattdessen gilt es so zu handeln, dass wir es auch gegenüber unseren Kindern und Enkeln verantworten können. Genau das tun wir bei Daimler." Und zwar nicht nur im eigenen Unternehmen, nein, Daimler setzt die Maßstäbe höher: Explizit erwarten sie diese Haltung auch von Sponsoringpartnern. Das sind stärkere Aussagen als sie viele andere Konzerne wagen.
Und was ist mit Petronas? Daimler scheint in einer Zwickmühle, damals wie jetzt. Daimler profitiert als Hauptbesitzer des Formel-1-Teams nicht nur von der Sponsoringsumme, die pro Saison bei etwa 30 bis 40 Millionen Euro liegt, sondern auch von der Forschung des Partners: Petronas entwickelt Öle und Kühlflüssigkeiten, die mithalfen, dass die Silberpfeile zweimal den Weltmeistertitel holten. Ändern die Ingenieure etwas am V6-Antrieb des Rennwagens, passt Petronas die Flüssigkeiten an. Sprit und Schmierstoffe spielen eine wichtige Rolle in der Formel 1, erst recht, weil Nachtanken während eines Rennens nicht erlaubt ist und manchmal Zehntelsekunden über den Sieg entscheiden.
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Von der Technologiepartnerschaft mit Petronas profitiert Daimler aber auch in seinem Kerngeschäft. Die Forschungskenntnisse aus der Formel 1 fließen in die Produktion der Mercedes-Serienautos, zum Beispiel in die Hybrid-Technologie. Drastisch formuliert kann man sagen: Baut Daimler Druck auf seinen Sponsor auf und verliert ihn, fällt auch die technologische Verzahnung mit Petronas flach. Daimler hat sich für folgende Strategie entschieden: den unbeteiligten Vermittler zu spielen. Auf Bitte von Hoffnungszeichen arrangiert der Autokonzern im April 2011 ein Treffen mit dem Ölkonsortium sowie William Garjang Gieng, dem Umweltminister von Unity State im Südsudan. Stieglitz projiziert sein Protokoll des zweitägigen Besuchs auf die Leinwand: 15 000 Barrel Prozesswasser mal 2,22 Gramm Salz, macht 5,3 Tonnen Salz pro Tag. "Ich wollte wissen, wie sie das entsorgen", sagt Stieglitz. "Aber für die ersten vier Jahre ihrer Produktion konnten sie keine Antwort geben." In den Jahren danach sei ein Teil der Stoffe in einer Lagune durch Schilf abgebaut worden, habe WNPOC erklärt. Das könne nicht funktionieren, sagt Stieglitz.
Aufgrund der Vorwürfe erstellt eine norwegische Analysefirma eine Gegenstudie. Die Gefahr für die Menschen in der Region sei "vernachlässigbar", heißt es darin. Dabei hätten die Wissenschaftler, sagt Stieglitz, außerhalb der Ölfelder nur wenige Proben genommen. Die Studie wurde im Namen der südsudanesischen Regierung durchgeführt - ein Staat, der sich überwiegend aus der Ölproduktion finanziert. Kann so eine Erhebung wirklich neutral sein? Doch selbst diese Studie fordert von den Ölproduzenten technische Verbesserungen: Es gelte Kontaminationen auszuschließen. "Daraus ist bis heute nichts geworden", sagt Stieglitz.
Während die zähe Diskussion über die Studienergebnisse läuft, bricht 2013 im Südsudan ein heftiger Konflikt zwischen Staatspräsident Salvar Kiir und seinem ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar aus, ein Krieg zwischen zwei Völkern, den Dinka und den Nuer, ein Krieg um wertvolle Rohstoffgebiete. Die Produktion in Thar Jath kommt zum Erliegen. Zehntausende Menschen sind seither schätzungsweise in dem Krieg gestorben, zwei Drittel der zwölf Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen.
Viele sind auch aus den Gebieten um die Produktionsanlage herum geflohen. Aber diejenigen, die dort noch leben, müssen wohl weiter belastetes Wasser trinken. Das belegen auch Haarproben, die ein Wissenschaftler von African Water im vergangenen Jahr genommen hat, als der Konflikt kurzzeitig ruhte. Seit Februar liegt dazu das Gutachten von Fritz Pragst vor, der viele Jahre lang die Toxikologie in der Berliner Charité geleitet hat. Er sagt: "Die hohen Bleiwerte zeigen eindeutig eine Gefährdung der Gesundheit der Menschen in Koch." Die Konzentration seien so hoch wie in stark belasteten Bergbaugebieten - zehn bis zwanzig Mal höher als bei einem normalbelasteten Menschen in Europa. Im etwa 220 Kilometer entfernten Rumbek sind die Bleiwerte im Schnitt nicht mal halb so hoch. "Das ist ein statistisch signifikanter Unterschied und beweist den Zusammenhang zur Erdölindustrie", sagt Pragst. Was genau das für die Menschen heißt? Eine chronische Bleivergiftung kann das Nervensystem schädigen und zu Kopfschmerzen, verminderter Intelligenz und Lähmung führen. "Wenn man so stark mit Blei belastetes Wasser über einen längeren Zeitraum trinkt, kann es lebensgefährlich sein", sagt Pragst.
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Stieglitz hat sich also wieder hingesetzt, hat wieder Briefe geschrieben an Petronas, an die Regierung, Daimler in Kopie, in der Hoffnung, die Ergebnisse der Haarproben, bewegen etwas. "Das war immer unser einziger Gradmesser, das endlich was passiert", sagt Stieglitz. Er klappt den Laptop zu, die Schultern eingesunken. Er hofft immer noch, dass irgendwer Verantwortung übernimmt, sobald sich die Unruhen im Land wieder gelegt haben.
Doch es sieht nach dem Gegenteil aus. In den vergangenen Wochen hat Stieglitz einen Arzt und Krankenschwestern aus den Buschkliniken abgezogen, die Hoffnungszeichen im Südsudan betreibt. Nicht wegen des Krieges, sondern, weil er sich bedroht fühlt. Bei einem Treffen in Stuttgart Ende 2015 mit Daimler und Vertretern der südsudanesischen Regierung hat ein Mitarbeiter des Ölministeriums per Powerpoint-Folie mitgeteilt: Man sehe es als "Akt gegen den südsudanesischen Staat" und als Gefährdung der Sicherheit an, sollte Hoffnungszeichen ohne Abstimmung mit dem Ministerium weitere Informationen veröffentlichen. Ein Daimler-Manager soll kommentarlos daneben gesessen haben. Das Auswärtige Amt hat Hoffnungszeichen geraten, diese Drohung ernst zu nehmen.
Das Ölkonsortium WNPOC, das mittlerweile SPOC heißt, hat auf Fragen zu der ganzen Sache nicht reagiert. Die südsudanesische Regierung und Petronas bestreiten die Ergebnisse der Wasserstudie. Die Gegend sei wegen des nahen Nils grundsätzlich salzig; genaueres könne man erst sagen, wenn der Konflikt vorüber sei.
Und Daimler? "Wir nehmen die Vorwürfe gegen die sich in Petronas-Beteiligung befindlichen Konsortien im Südsudan wegen Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzung sehr ernst", schreibt der Stuttgarter Konzern. Petronas habe zugesichert, "Schritte zur Verbesserung der Situation im Südsudan einzuleiten". Doch der Krieg habe diesen Prozess erschwert. Aber hätte Daimler nicht schon davor Druck machen müssen - anstatt 2011 das Sponsoring mit Petronas sogar noch zu erweitern? Und was sagt der Vorstand zu der Tatsache, dass sich die Hilfsorganisation vom Südsudan bedroht fühlt? Diese Fragen lässt Daimler unbeantwortet.