Süddeutsche Zeitung

Wissenschaftsjournalismus:Wer kommt in die Zeitung?

Manche ökonomischen Studien bekommen in US-Medien mehr Aufmerksamkeit als andere. Welche Faktoren eine Rolle spielen.

Gastbeitrag von Lennart Ziegler

Erfolg wird in der Wissenschaft maßgebend durch Publikationen in hochrangigen Fachzeitschriften gemessen. Für Forschende bestehen oft wenig Anreize, ihre Ergebnisse auch außerhalb der akademischen Welt zu verbreiten. Doch um ihren Bildungsauftrag zu erfüllen, sollten Hochschulen mehr Wert auf die Wissenschaftsvermittlung legen. Diese Woche findet die jährliche Tagung des Vereins für Socialpolitik statt. Die Konferenz gilt als größte Plattform für deutschsprachige Ökonominnen und Ökonomen hierzulande. Journalistinnen und Journalisten können hier nach Studien Ausschau halten, die auch für die breite Öffentlichkeit relevant und interessant sind. Aber welche Forschung wird besonderes Interesse wecken?

Bisher ist wenig bekannt, in welchem Ausmaß der wissenschaftliche Output von den Medien rezipiert wird. Während die akademische Resonanz für Forschende ein zentraler Erfolgsindikator ist und durch verschiedene zitatbasierte Rankings einfach quantifiziert werden kann, findet der Einfluss auf den öffentlichen Diskurs weit weniger Beachtung. Nicht jede Studie, die im Akademischen erfolgreich ist, muss auf ähnliches Interesse in den Medien stoßen. In einer aktuellen Analyse habe ich deshalb untersucht, in welchem Ausmaß aktuelle ökonomische Studienergebnisse in sechs reichweitenstarken internationalen Medien erwähnt werden. Untersucht wurden die Webseiten von New York Times, Washington Post, Wall Street Journal, Financial Times, The Economist und CNN.

Die Analyse bezieht sich auf knapp 10 000 Studien, die in den vergangenen zehn Jahren beim US-amerikanischen National Bureau of Economic Research (NBER), einer bekannten Publikationsreihe für Diskussionspapiere, erstmals erschienen sind. Diese Diskussionspapiere sind noch nicht durch wissenschaftliche Fachzeitschriften final begutachtet worden, sondern erlauben eine frühere Debatte in der Fachwelt. Sie sind auch bekannt unter den Namen Working Paper oder Preprint (diese Formulierung wurde durch den Drosten-Podcast relativ bekannt).

Um eine Auswertung der großen Datenmengen möglich zu machen, wurde automatisiert nach online verfügbaren Beiträgen gesucht, die eine oder mehrere der Forschenden einer Studie namentlich benennen. Zu den Onlineinhalten zählen neben den regulären Artikeln auch Blogbeiträge, die spezifisch Studien besprechen oder im Rahmen einer Diskussion darauf Bezug nehmen.

Die statistische Analyse zeigt: Das Medieninteresse an neuen Forschungsergebnissen ist groß. Von den circa 20 Diskussionspapieren pro Woche wird im ersten Monat nach Erscheinung jede elfte Studie in zumindest einem der sechs Medienformate erwähnt. Dabei gibt es jedoch große Unterschiede zwischen den untersuchten Medien. Während manche Formate in regelmäßigen Artikeln Neuerscheinungen besprechen, wird in anderen Medien weit selektiver berichtet. Das Wall Street Journal schrieb am meisten Beiträge, auf der Onlinepräsenz des Nachrichtensenders CNN finden sich hingegen kaum Verweise auf die untersuchten Forschungspapiere.

Was in der Wissenschaft populär ist, zitieren auch Medien häufiger

Im Vergleich zur volkswirtschaftlichen Theorie werden empirische Studien, die Daten zu einem konkreten Sachverhalt analysieren und oft direkte Implikationen für Wirtschaft und Politik haben, weit öfters aufgegriffen. Vor allem Studien mit US-amerikanischem Bezug stoßen bei den untersuchten Medien, die größtenteils in den USA beheimatet sind, auf besonderes Interesse.

Zwischen den verschiedenen Forschungsfeldern innerhalb der Volkswirtschaftslehre lassen sich zudem gewisse Unterschiede in der Medienpopularität erkennen. Studien über den Arbeitsmarkt sowie makroökonomische Forschung werden am häufigsten erwähnt. Methodische Forschung hingegen eher selten, wohl auch weil der Erkenntnisgewinn für ein breites Publikum begrenzt ist.

Die Analyse der Beiträge zeigt außerdem, dass sich das Interesse von Medien und Forschenden oft überschneidet. Studien mit hoher Medienpopularität werden im Durchschnitt auch in wissenschaftlichen Fachzeitschriften häufiger zitiert. Ein ähnlicher Zusammenhang zeigt sich zwischen der Medienpräsenz der Studien und dem wissenschaftlichen Erfolg der jeweiligen Autorinnen und Autoren. Auch wenn die Berichterstattung selbst einen positiven Einfluss auf den akademischen Erfolg haben kann, lässt der starke Zusammenhang vermuten, dass die wissenschaftliche Resonanz ein guter Indikator für die mediale Verbreitung der Inhalte ist.

Wenn Medien über neue Studien berichten, werden in den Artikeln nicht immer alle beteiligten Forschenden namentlich erwähnt. Der Ökonom Justin Wolfers wies etwa in einem Artikel darauf hin, dass Wissenschaftlerinnen in den Medien oft weniger Aufmerksamkeit bekommen und im Schatten ihrer männlichen Mitautoren stehen. Zumindest für die untersuchten Studien finden sich jedoch keine Hinweise dafür, dass der Hintergrund der Autorinnen und Autoren für die Medienpräsenz eine bedeutende Rolle spielt. Weder akademischer Erfolg noch Geschlecht beeinflussen die selektive Nennung einzelner Forschender maßgebend.

Zeitungen und Zeitschriften dienen als wichtiges Bindeglied zwischen der akademischen Welt und der breiten Öffentlichkeit. Sie finden für die Leserschaft relevante Studien und beschreiben diese so, dass sie auch ohne Vorwissen verstanden werden können. Zudem wird oft auf wissenschaftliche Studien Bezug genommen, wenn über aktuelle politische Entscheidungen berichtet wird. Forschungsergebnisse sind nicht nur für Entscheidungsträgerinnen und -träger interessant, sondern helfen auch der Allgemeinheit gesellschaftliche und politische Entwicklungen besser bewerten zu können. Dies dient auch der Gefahr entgegenzuwirken, dass sich der wissenschaftliche und der gesellschaftliche Diskurs voneinander entfernen.

In Deutschland existiert keine Plattform, die eine vergleichbar starke Reichweite hat wie das NBER in den USA. Jedoch gibt es andere Kanäle, um neueste Forschungsergebnisse sichtbar zu machen, etwa die Publikationsreihen der großen Wirtschaftsforschungsinstitute. Zudem ist die Volkswirtschaftslehre längst eine weltweit vernetzte Forschungsgemeinschaft. Internationale Forschung wird zunehmend auch in nationalen Medien rezipiert, vor allem wenn das Forschungsthema einen direkten Bezug zum jeweiligen Land hat. Deshalb ist anzunehmen, dass die Ergebnisse der Analyse zumindest im ähnlichen Ausmaß auch für deutschsprachige Medien gelten könnten.

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