Ökonomie:"Märkte sind nicht klüger als jeder Einzelne von uns"

Shiller, one of three American scientists who won the 2013 economics Nobel prize, poses at his home in New Haven, Connecticut

Er ist Anhänger eines Kapitalismus, der den Menschen dient: Yale-Professor Robert Shiller.

(Foto: Michelle McLoughlin/Reuters)
  • Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller schreibt in seinem Buch "Irrationaler Überschwang" über Finanzmärkte. Kurz nach der ersten Auflage platzte die Internet-Blase, nach der zweiten brach die Finanzkrise aus.
  • Shiller analysiert Finanzmärkte nicht nur, sondern macht konkrete Vorschläge. Zum Beispiel: der Case-Shiller-Index, um die Immobilienpreise zu messen, oder ein angepasstes Kurs-Gewinn-Verhältnis.
  • Nicht rationale Überlegungen bestimmen seiner Ansicht nach die Kurse von Vermögenswerten, sondern die "animal spirits".
  • Die Lösung für die Probleme auf den Finanzmärkten liegt für Shiller darin, sie zu demokratisieren. Auch Normalverdiener sollten sie nutzen können.

Von Nikolaus Piper

Es begann damit, dass Alan Greenspan in der Badewanne saß und über eine Rede nachdachte, die er demnächst halten sollte. Dabei fiel ihm, so berichtet der frühere Chef der US-Notenbank Fed in seiner Autobiografie, ein treffender Begriff für die damalige Lage der Finanzmärkten ein: "irrational exuberance" - "irrationaler Überschwang". Greenspan hielt die Rede am 5. Dezember 1996 vor dem konservativen American Enterprise Institute (AEI) in Washington. Etwas schwurbelig, wie es seine Art war, meinte er: "Aber wie wollen wir wissen, ob irrationaler Überschwang die Vermögenswerte nicht unangemessen erhöht hat?" Eine Frage nur, aber die Finanzmärkte bekamen einen Schreck.

In Tokio fiel der Nikkei-Index um 3,2 Prozent, der Dax ging um vier Prozent zurück, der Dow Jones um 2,9 Prozent. Doch die Furcht währte nur kurz. Als die Märkte realisierten, dass den Worten keine Taten Greenspans folgten, ging der Aktienboom weiter. In der Rückschau nennt man ihn heute die "Dotcom-Blase", die große Internet-Spekulation.

Im März 2000 nahm Robert Shiller, Wirtschaftsprofessor an der Universität Yale, den Begriff auf. Er veröffentlichte sein erstes populärwissenschaftliches Buch unter dem Titel "Irrationaler Überschwang". Darin wollte er "die Dinge zurechtrücken" und zeigen, wie irrational Finanzmärkte sind. Kurz darauf platzte die Internet-Blase, und die Aktienkurse stürzten ab. Das Buch wurde zum Bestseller.

Im Jahr 2005 erschien eine erweiterte und revidierte Neuausgabe, in der der Autor vor einer Blase auf dem amerikanischen Immobilienmarkt warnte. Zwei Jahre danach brach die Finanzkrise aus. 2013 schließlich wurde Shiller mit dem Wirtschafts-Nobelpreis ausgezeichnet.

"Spekulations-Epidemien" statt Blasen

Jetzt ist die dritte erweiterte und revidierte Auflage auf Deutsch erschienen (Robert Shiller: "Irrationaler Überschwang", Plassen-Verlag Kulmbach). Sie enthält neu, neben der Nobel-Preisrede Shillers, vor allem ein Kapitel über Anleihen - und auch diesmal die Warnung vor neuem "irrationalem Überschwang" an den Finanzmärkten. Man hätte vielleicht meinen können, so Shiller, "dass die Leute ihre Lektion gelernt haben", doch tatsächlich nähmen die Indizien für neue Blasen zu. Wobei er den Begriff "Blasen" relativiert. Eigentlich sei es besser, von "Spekulations-Epidemien" zu reden, die unvermittelt kommen und gehen. Die Kurse an den Aktien- und Anleihemärkten jedenfalls stiegen trotz eines enttäuschenden Aufschwungs der Weltwirtschaft. Die Lage gebe Anlass zur Sorge, auch wenn sie noch nicht so ernst sei wie 2000 und 2005.

"Da Blasen im Prinzip subtile sozialpsychologische Phänomene sind, lassen sie sich gerade aufgrund ihres Charakter nur schwer kontrollieren. Die seit der Finanzkrise getroffenen regulatorischen Maßnahmen könnten zwar zukünftige Blasen abschwächen, doch ob diese Maßnahmen ausreichen, muss sich noch zeigen", schreibt Shiller.

Der Amerikaner bekam den Nobelpreis 2013 für seine Forschungen zur Irrationalität der Finanzmärkte, interessanterweise zusammen mit seinem wissenschaftlichen Kontrahenten Eugene Fama, dem Begründer der Theorie der effizienten (also rationalen) Finanzmärkte. Er ist aber nicht nur Analytiker, sondern versucht auch Lösungen zu entwickeln. In Kooperation mit dem Ökonomen Karl Case erfand er den Case-Shiller-Index, heute ein Standardinstrument für die Messung der Immobilienpreise in den Metropolen Amerikas.

Die Börsen sind irrational und von "animal spirits" getrieben

Eine noch nicht verwirklichte Idee Shillers ist ein Finanzinstrument, mit dem Normalanleger leicht auf sinkende Immobilienpreise wetten können. Das wäre, so glaubt er, das beste Instrument gegen Immobilienblasen. Außerdem schlug er vor, einen Ungleichheitsfaktor in das Steuerrecht einzuführen: Wenn eine bestimmte Messzahl für die Einkommensdifferenz zwischen oben und unten steigt, sollten automatisch die Steuersätze für die Wohlhabenden steigen.

Schließlich entwickelte er auf der Basis älterer Modelle ein neues "Zyklisch angepasstes Kurs-Gewinn-Verhältnis" (CAPE) als Maßstab dafür, ob eine Aktie teuer oder billig ist. CAPE setzt den Gewinn pro Aktie ins Verhältnis zum Gewinn im Durchschnitt der vergangenen Jahre. Das ist aussagekräftiger als das normale Kurs-Gewinn-Verhältnis, bei dem einfach der Gewinn des letzten Jahres zum Kurs in Relation gesetzt wird. Ein CAPE von 20 bedeutet, dass ein Anleger 20 Jahre brauchen würde, um eine Aktie aus dem Durchschnittsgewinn pro Aktie zu kaufen. In Amerika, so Shiller, liegt der CAPE heute bei 26, was ziemlich teuer ist. Dieser wurde bisher nur übertroffen in den Jahren 1929, 2000 und 2007. Jedes Mal gab es hinterher einen Crash.

Shiller rät den Anlegern, sich auf schlechte Zeiten einzustellen. "Verwenden Sie nicht Ihre üblichen Annahmen, nach denen die Erträge immer weiter nach oben gehen", sagte er dem Wirtschaftssender CNBC. Es könne aber genauso noch lange dauern, bis die fällige Korrektur auf den Märkten kommt. Amerikaner sollten sich darauf einstellen, dass sie weder mit Aktien noch mit Anleihen auf absehbare Zeit viel Geld verdienen werden können.

Leseprobe

Einen Auszug aus "Irrationaler Überschwang" stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Der Ökonom möchte die Finanzmärkte konsequent demokratisieren

Der Kern von Shillers Theorie ist die Erkenntnis, dass Finanzmärkte nicht effektiv sind in dem Sinne, dass sie alle vorliegenden Informationen sinnvoll verarbeiten würden. "Märkte sind nicht klüger als jeder Einzelne von uns", sagte er 2009, am Ende der Finanzkrise, im Interview der Süddeutschen Zeitung. "Die meisten Kursbewegungen sind bedeutungslos, sie haben nichts mit relevanten Informationen zu tun, sondern nur mit Moden und Verrücktheiten." Nicht rationale Überlegungen bestimmten die Kurse von Vermögenswerten, sondern die "animal spirits", ein Begriff, der auf John Maynard Keynes zurückgeht und mit "animalische Instinkte" nur sehr unzureichend übersetzt wird. Auch die Rekordkurse an den Anleihemärkten und die historisch niedrigen Renditen sind für ihn nicht rational zu erklären. "Es muss schwer festzumachende kulturelle Faktoren geben, die Menschen dazu bringen, in Anleihen zu investieren, wenn deren Renditen sehr niedrig oder negativ sind und die Aktienmärkte boomen", schreibt er.

Die Lösung für die Probleme der Finanzmärkte liegt für Shiller nicht darin, die Märkte zu strangulieren, sondern sie auszubauen. Er will das Finanzwesen "demokratisieren". Seine Instrumente sollen so verändert werden, dass sie auch Normalverdiener nutzen können. Das mache die Märkte besser, weil mehr Teilnehmer ihre Meinung durch Kauf- oder Verkaufsentscheidungen unterlegen können. Im jüngsten SZ-Interview schlug der Ökonom eine Versicherung für Arbeitnehmer vor, die durch die Digitalisierung ihre Jobs verlieren. Das Modell würde weit über eine normale Arbeitslosenversicherung hinausgehen und eher einer Versicherung gegen Berufsunfähigkeit ähneln. Der Kapitalismus, so sieht das Shiller, ist nicht für die Reichen da. Er soll allen dienen.

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