Christoph Trebesch:Der Datenlieferant

New Democracy Leader Evangelos Meimarakis Speaks Ahead Of Greek Elections

Eine Szene aus Griechenland im Jahr 2015. Das Land hat schon mehrere Finanzkrisen durchlitten.

(Foto: Kostas Tsironis/Bloomberg)

Schuldenkrisen? Total langweilig, hieß es lange. Dann kam Griechenland - und Christoph Trebesch war plötzlich ein gefragter Ökonom.

Von Bastian Brinkmann

Es gibt keinen Ausweg mehr: Griechenland kann sich nur noch mit Notkrediten der Troika über Wasser halten. Ein großes Bankhaus kassiert mehr als zehn Prozent der Summe als Gebühr. Athen zahlt direkt wieder alte Schulden zurück, viel fließt auch ins Militär und in die Rüstungsindustrie. Nur bei den Griechen kommt kaum etwas an. Stattdessen erhöht die Regierung die Steuern auf einen Rekordwert und kürzt die staatlichen Leistungen drastisch, die Troika will es so. Das Volk rebelliert.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das, in Athen herrscht nicht Alexis Tsipras, sondern König Otto. Die Troika besteht damals aus Frankreich, Großbritannien und Russland. Die Länder vergeben 1830 das erste Kreditprogramm der öffentlichen Hand an den noch sehr jungen Staat Griechenland, weil sonst niemand Athen mehr Geld leihen will. Jahrzehntelang steckt der Staat in der Pleite, erst 1879 vertrauen private Kreditgeber dem Land wieder.

Ach Griechenland. 1893 ist Athen schon wieder pleite. Wieder gibt es ein Kreditprogramm von europäischen Ländern, wieder muss sich Athen einem Spardiktat unterwerfen. 1932 ist der Staat erneut insolvent, bekommt wieder ein Kreditpaket mit scharfen Auflagen. Und dann 2010, die europäische Schuldenkrise beginnt. Wie es weitergeht, ist bekannt.

Die historischen Parallelen hat Christoph Trebesch, 36, zusammengetragen, Juniorprofessur für Öffentliche Finanzen an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Die geschichtlichen Details stehen in seiner jüngsten Veröffentlichung, in einem Konferenzpapier für das amerikanische Brookings-Institut.

Geschrieben hat es Trebesch mit der bekannten US-Ökonomin Carmen Reinhart. Die beiden glauben, dass die Gesellschaft etwas aus der Vergangenheit lernen kann: Griechenland war bisher zu stark abhängig von ausländischen Geldquellen, viel mehr als große Industrieländer. Deswegen musste sich das Land wieder und wieder Spardiktaten von außen unterwerfen.

Das Problem: Athen ist chronisch abhängig von ausländischem Geld

Stattdessen mehr Geld im eigenen Land zu leihen, sei zwar kein "Allheilmittel für ökonomische Stabilität", schreiben die Ökonomen. "Aber wir haben Beweise aus 200 Jahren, um die Sicht zu unterstützen, dass die chronische Abhängigkeit von ausländischem Kapital wiederholt zum Ruin geführt hat." Ein Satz, der die ganze Misere der jetzigen Griechenland-Politik zusammenfasst, weil sie Fehler aus den bisherigen Schuldenkrisen wiederholt: Private Kreditgeber verzocken sich, ausländische Staaten und Steuerzahler springen für sie ein, das Ganze geht für die beteiligten Regierungen eher suboptimal aus. Es ist ein typischer Reinhart-Satz.

24 deutsche Ökonomen, auf die es ankommt

In der Volkswirtschaftslehre findet ein Generationswechsel statt. Die SZ stellt immer dienstags und donnerstags die neuen Köpfe vor: "24 deutsche Ökonomen, auf die es ankommt" - heute Teil 21. Bedingung: Die Porträtierten müssen unter 50 Jahre alt sein. Und die Besten ihres Fachs. Darunter sind in der Öffentlichkeit bekannte Namen, aber auch sehr kompetente Wissenschaftler, die vor allem in der Fachwelt einen Ruf haben. Alle Folgen: sz.de/deutsche-oekonomen

Die US-Ökonomin und Trebesch haben eine Gemeinsamkeit: Sie gehen gerne auf die Suche, in Archiven, in Bibliothekskellern. In alten Büchern finden sie Daten, die helfen, Krisen besser zu verstehen. Trebesch hat beispielsweise entdeckt, dass vom Kreditprogramm 1830 kaum etwas in Griechenland blieb und wohin das Geld stattdessen floss, etwa an die Bank Rothschild. "Christoph ist ein Detektiv", sagt Reinhart über ihren Co-Autor. Er hinterfrage alles, gehe den Dingen auf den Grund - und zwar außergewöhnlich tief.

Das hat er auch in der Arbeit getan, die ihn bekannt gemacht hat: "The Price of Haircuts", was auf Deutsch ein wenig kurios klingt: "Der Preis von Haarschnitten" (hier als PDF). Die Finanzfachwelt greift im Englischen zu einer Friseurmetapher, um zu beziffern, wie hoch der Abschlag auf Zinsen und Rückzahlungen ist, den ein Gläubiger hinnimmt, wenn der Schuldner nicht mehr zahlen kann oder will.

Trebesch stellte sich die Frage, warum manche Staaten aus Schuldenkrisen ganz okay herauskommen, wogegen andere in einem Teufelskreis hängen bleiben. Die Idee: eine Datenbank zusammenzustellen, die möglichst viele Fälle umfasst - um dann zu schauen, ob sich darin wiederkehrende Muster entdecken lassen. Das war 2006, Christoph Trebesch begann mit seiner Doktorarbeit.

Wie Schuldenkrisen möglicht gut ausgehen

Er fand einen Kollegen in Argentinien, Juan Cruces, und verbündete sich mit ihm. Via Skype arbeiteten sie kontinentübergreifend zusammen, sammelten Daten über 180 Krisen in 68 Ländern und werteten sie aus. Es entstand ein globaler, historischer Schuldenatlas. Dann waren vier Jahre rum.

Die Arbeit hat sich gelohnt. Trebesch und Juan Cruces fanden ein interessantes Muster: Wenn es gut läuft, einigen sich Schuldenstaaten und Gläubiger ziemlich zügig. Der Haircut fällt dann nicht so groß aus, vielleicht 30 oder 20 Prozent oder noch weniger. Der betroffene Staat kann schnell neu anfangen, die Wirtschaft wieder wachsen, die Menschen leiden weniger. So lief es etwa 2003 in Uruguay.

Wenn es schlecht läuft, ziehen sich die Verhandlungen zwischen Regierung und Kreditgebern ewig hin. Meist müssen die Kreditgeber am Ende trotzdem viel abschreiben, mehr als 50 oder auch mal 80 Prozent. Und die Dauerkrise zieht die Wirtschaft des Lands in den Abgrund. Oder in einem Wort: Griechenland.

"Volkswirtschaftslehre als Instrument, um die Gesellschaft zu verbessern"

Trebesch hat in Berlin studiert, erst BWL an der TU, dann VWL an der FU. Wenn er die Stadt besucht, bestellt er schon mal zwei Buletten, wie früher. Das Diplomatenkind wurde in Brüssel geboren, wuchs in Rom und Bonn auf. Nach dem Abitur interessierte ihn Entwicklungshilfe, Ende der 90er-Jahre machte er seinen Zivildienst bei einem Verein, der Hilfe für den Balkan organisierte.

Im BWL-Grundstudium fand er VWL schon interessanter. Denn die Ökonomie stelle die großen Fragen: Warum sind manche Länder arm - und andere reich? "Volkswirtschaftslehre ist ein Instrument, um die Gesellschaft zu verbessern", sagt er. Die Wissenschaftler sind für ihn Dienstleister, die Daten und die Ableitungen präsentieren, "in Zahlen gegossene Wirklichkeit".

Kurz vor der Finanzkrise steckt Trebesch mitten in seiner Doktorarbeit, wird als Entwicklungsökonom wahrgenommen, weil er sich mit Krisen in Argentinien oder Russland beschäftigt. Kein übermäßig beliebtes Genre, wenige Vorlesungen dazu an deutschen Universitäten. Manch älterer Kollege riet angehenden Entwicklungsökonomen: Macht lieber was Vernünftiges, was auch gefragt ist, Geldpolitik oder Arbeitsmarktforschung.

Doch dann kam die Schuldenkrise - und plötzlich interessierten sich alle für die Arbeiten von Trebesch. Nun ist er Mr. Haircut, der Experte für Schuldenschnitte. Die New York Times zitiert seine Forschung. Die Financial Times ruft an, wenn sie Daten für eine Grafik braucht. Das US-Finanzministerium lädt ihn in eine Expertenrunde.

Christoph Trebesch: Ökonom Christoph Trebesch

Ökonom Christoph Trebesch

(Foto: oh)

Trebesch ist einer dieser modernen Ökonomen, die durch und durch in Daten denken, empirisch arbeiten, wie es in der Fachwelt heißt. Natürlich weiß er, dass Zahlen nicht alles erklären. "Ohne Theorie lassen sich empirische Ergebnisse nur schwer interpretieren." Er arbeitet daher auch zunehmend mit Theoretikern zusammen. Denn die Daten erklären nicht, warum manche Staaten es schaffen, schnell einen Schuldenschnitt auszuhandeln, während andere scheitern. Haben sie ein besseres politisches System? Sind die Gläubiger mal so, mal so eingestellt - und warum?

Private Gläubiger kommen trotz Krediterlass gut weg

Und dann ist da noch diese offene Frage, die Trebesch verfolgt. Sie könnte die Diskussion über Schuldenkrisen wieder prägen: Wie hoch ist die gesamte Rendite für Investoren, wenn man nicht nur die Schuldenschnitte anschaut, sondern auch die Gewinne vor der Krise?

Die bisherigen Daten zeigen: Private Gläubiger kommen auch in Fällen gut weg, in denen es auf den ersten Blick anders aussieht. In Fällen, in denen sie jammern und nur unter großen Schmerzen auf Geld verzichten, um einem verschuldeten Land zu helfen. Doch mitunter ist das keine Mildtätigkeit, sondern es rechnet sich.

So war es beim ersten Griechenland-Paket 1830. Die privaten Kreditgeber, die Athen erst nicht bedienen konnte, mussten zwar viele Jahre warten. Aber dann bekamen sie ihr Geld - und eine ordentliche Rendite von bis zu fünf Prozent.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: