Ökonomenserie:Gimme Dope, Professor!

Lesezeit: 4 min

Michelle Sovinsky ist sicher keine Hippie-Kifferin - im Gegenteil: Bei Studenten und Kollegen gilt die gebürtige US-Amerikanerin als überaus organisiert und präzise. (Foto: N/A)

Die Ökonomin Michelle Sovinsky hat berechnet, was passierte, wenn Marihuana legal wäre. Ihre Erkenntnisse sind erstaunlich - und finden viel Beachtung.

Porträt von Guido Bohsem

Michelle Sovinsky erschafft Parallelwelten. Überall stehen die gleichen Häuser, das Wetter ist gleich. Es sieht so aus wie immer. Nur ein paar Kleinigkeiten in Sovinskys Parallelwelten sind anders, kontrafaktisch, wie sie das nennt. Meist ändert sie Gesetze und Regeln und damit auch das Verhalten der Menschen.

In einer der Welten Sovinskys darf man zum Beispiel ganz legal Marihuana kaufen und verkaufen. Und nein, es handelt sich nicht um eine suchtgesteuerte Wunschvorstellung der Kiffer-Bewegung. Im Gegenteil. Es geht um ernste Wissenschaft mit politischer Aussagekraft. Denn wie alle Parallelwelten der in Mannheim lehrenden Ökonomin ist auch die Marihuana-Welt in lange mathematische Gleichungen gepresst und von strengen ökonometrischen Annahmen geformt. Die meisten Studien beschäftigten sich lediglich mit einer Teilgruppe oder nur mit einer Lockerung des Marihuana-Verbots, sagt Sovinsky: "Wir wollten herausfinden, wie eine vollständige Legalisierung die Dinge ändert." Also entwarf sie zusammen mit Liana Jacobi von der Universität Melbourne ein Modell, um das zu zeigen.

Forschung auf der Schnittstelle zwischen Gesundheit und Industrie

Die Fragestellung und die Vorgehensweise kennzeichnen ziemlich präzise, wo die Schwerpunkte der 1970 geborenen Volkswirtin liegen. Sie ist keine Gesundheitsökonomin. Sie arbeitet vor allem im Bereich der Industrieökonomik, grob gesprochen ein Zweig der Volkswirtschaft, in dem das Verhalten von Unternehmen in verschiedenen, auch bislang unbekannten Marktsituationen untersucht wird. Sovinsky verbindet beide Disziplinen, die ökonomische Analyse von Gesundheitssystemen und die Industrieökonomik.

Gesellschaft und Geld
:Vier Gründe gegen das bedingungslose Grundeinkommen

In Zukunft könnte es nicht mehr genug Arbeit im traditionellen Sinne für alle geben. Deshalb wird heiß über ein Grundeinkommen diskutiert - doch es ist keine Zauberformel.

Analyse von Alexandra Borchardt

Sie macht sich die industrieökonomischen Erkenntnisse über die Verteilung von Marktteilnehmern, das Verhalten von Konsumenten und über die Barrieren in Märkten zu Nutze und wendet sie auf gesundheitsökonomische Fragestellungen an. Statt das Verhalten einer oder mehrerer großer Firmen in einem Markt zu untersuchen, beschäftigt sie sich sozusagen mit einem Gesundheitsmarkt, in dem Patienten oder Versicherte als Kunden auftreten. Eine ungewöhnliche Kombination.

Sovinsky ist auch eine außergewöhnliche Kandidatin für die SZ-Serie über junge deutsche Ökonomen. Alle anderen sind deutsche Wissenschaftler, die zumeist so einiges von der amerikanischen Art gelernt haben, Volkswirtschaften zu untersuchen, und diese nun in Deutschland anwenden. Sovinsky ist keine Deutsche, sondern eine Amerikanerin, die zunächst in Kalifornien und dann in der Schweiz an der Universität Zürich arbeitete und schließlich im vergangenen Sommer nach Mannheim gegangen ist. Warum ausgerechnet Mannheim? "Weil Mannheim in meinem Fachbereich die Nummer Eins im deutschsprachigen Raum ist."

Präzision ist ihr Markenzeichen

Seit Mitte 2015 ist sie nun in Baden-Württemberg tätig. Die Universität, sagt sie strahlend, habe alle ihre Erwartungen erfüllt. Um dort zu leben, war Mannheim ihr als Stadt jedoch ein bisschen zu klein. Sie wohnt lieber in Frankfurt.

Deutschland als Ort für erfolgreiche US-Ökonomen: Das kommt nicht so oft vor. "Noch nicht, aber vielleicht kommt das noch", sagt Sovinsky. Als Frau sei sie ohnehin eine Ausnahme in ihrem Fachbereich. Wer in ihr Büro kommt, kann sich vorstellen, dass hier jemand sitzt, der einen großen Sinn für Präzision und Ordnung hat. Und auch ihre Studenten in Kalifornien bescheinigen ihr: Sie sei totally organized, hervorragend organisiert. Ihre Notizen an der Tafel seien so gut, dass man das Lehrbuch gar nicht lesen müsse, rühmen gleich mehrere auf einer Webseite zu einem ihrer Kurse.

Die Marihuana-Studie wird im einflussreichen American Economic Review veröffentlicht, der Nummer eins aller ökonomischen Fachjournale. Kein schlechter Einstand. Und verdient. Sovinskys Studie fördert völlig neue Erkenntnisse zutage, in großer Präzision. Ihr Modell ermöglicht es zu untersuchen, wie sich der Wegfall von Marktbarrieren auf den Konsum auswirkt, ohne Zugangsschranken, die es vorher unmöglich oder eben doch sehr riskant machten, Marihuana zu kaufen.

Lateinamerika
:"Glück ist eben nicht das Gegenteil von Armut"

Als Präsident Uruguays wurde José Mujica zu einem Idol der lateinamerikanischen Linken. Im Interview spricht er darüber, was in Venezuela und Brasilien falsch läuft - und warum er die Deutschen für unglücklich hält.

Interview von Benedikt Peters

Da ist zum einen die Verfügbarkeit der Droge, sagt sie. So würden viele Menschen kein Marihuana konsumieren, weil sie schlicht nicht wüssten, wo man es kaufen könne. "Was wäre aber, wenn es so leicht zu kaufen ist wie Zigaretten und Alkohol?" Andere verzichteten auf einen Marihuana-Konsum mit dem Argument, dass es verboten sei. "Was aber, wenn dieses Stigma wegfällt?" Und schließlich: Wie würde sich der Konsum verändern, wenn der Staat eine Steuer auf die Droge verhängte und so den Preis beeinflusste?

Um derart komplexe Fragestellungen zu beantworten, braucht man gute Daten, und die fanden Sovinsky und Jacobi in Australien. Der Australian National Drug Strategy Household Survey beinhalte sowohl Angaben über das Verhalten der Konsumenten als auch über den Zugang zu der Droge. Die Ergebnisse sind erstaunlich. "Manches davon ähnelt einer Detektivarbeit", sagt Sovinsky.

Vor allem Ältere würden häufiger kiffen

Sollte Marihuana legal und zudem überall erhältlich sein, würde die Wahrscheinlichkeit eines Konsums um insgesamt 48 Prozent von derzeit 13,1 auf 19,4 Prozent zunehmen. Mit einer Marihuana-Steuer von 25 Prozent reduziert sich die Konsum-Wahrscheinlichkeit wieder, und zwar auf 18,3 Prozent. Der Großteil des Anstiegs in dem Modell rührt dabei davon her, dass vor allem Menschen Marihuana konsumieren würden, die bislang keinen Zugang dazu haben.

Das kann man daran ablesen, wie sich der Konsum der verschiedenen Altersgruppen ändert. Mit generell freiem Zugang zu legalem Marihuana würde die Wahrscheinlichkeit eines Konsums bei Teenagern von 25,1 auf 30,4 Prozent steigen (wobei der Verkauf an Jugendliche wie bei Alkohol verboten wäre). Weitaus deutlicher würde jedoch die Konsumwahrscheinlichkeit der Menschen über 30 Jahren ansteigen, nämlich im Schnitt um 67 Prozent. Mit einer 25-prozentigen Steuer wäre der durchschnittliche Anstieg der Konsumneigung nicht mehr ganz so hoch, er läge dann bei etwa 28 Prozent. Marihuana müsste vier mal teurer sein, damit sich trotz der Freigabe nichts ändert. "Wir würden dann aber erwarten, dass die Leute wieder alle auf dem Schwarzmarkt kaufen", urteilt Sovinsky über ihr Forschungsergebnis.

Suchtpolitik
:Wie das Drogenverbot Dealer zu Millionären macht

Mehr als ein halbes Jahrhundert haben die Vereinten Nationen im Kampf gegen Heroin, Kokain und Crystal Meth auf scharfe Verbote gesetzt. Nun wächst die Einsicht: Sie bringen nichts - im Gegenteil.

Von Kathrin Zinkant

Staaten könnten Milliarden einnehmen - und zugleich sparen

Bei einer effizienten Besteuerungspolitik allerdings verspräche eine Legalisierung dem Staat hohe Einnahmen. Angewendet auf Australien ließen sich Sovinskys Berechnungen zufolge dadurch Mehreinnahmen von rund einer Milliarde Dollar erzielen. Übertragen auf ein Land von der Größe Amerikas lägen die Einnahmen aus der Marihuana-Steuer bei etwa zwölf Milliarden Dollar. Außerdem sparten sich Staaten natürlich hohe Kosten bei der Strafverfolgung von Dealern und Konsumenten.

Welchen Ratschlag an die Politik würde Sovinsky aus ihren Forschungsergebnissen ableiten? Das sei nicht ihre Sache, meint die Professorin. Ihr komme es darauf an, die Politik ausreichend gut zu informieren. Denn nur so sei eine fundierte Entscheidung überhaupt möglich, egal wie sie ausfalle. Das große Sendungsbewusstsein der Wirtschaftsprofessoren à la Hans-Werner Sinn geht ihr offenkundig ab.

Doch hat ihre Forschung durchaus politische Wirkung. Zum Beispiel beim Thema Magersucht. Sovinsky schaffte es, eine zentrale Annahme über Bulimie zu widerlegen, die in den USA vor allem als Krankheit weißer Mittelschichttöchter gilt. Sovinskys Arbeiten eröffneten allerdings eine ganz andere Sicht. Sie fand heraus, dass schwarze Mädchen einen deutlich höheren Prozentsatz unter den Magersüchtigen ausmachten. Bei der Thematisierung der Bulimie wird zumeist also die falsche Gruppe in der Bevölkerung angesprochen. "Die Behandlungsangebote sind aber nicht danach ausgerichtet, und da sage ich sehr klar: Das sollten wir ändern."

© SZ vom 26.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: