Ökonomen-Serie Teil 4:Umdenken? Aber ja doch

Die Finanzkrise hat die Welt der Ökonomen durcheinandergebracht. Vieles, was früher in der Theorie galt, wurde infrage gestellt. Nun wollen immer mehr die Lehre und Forschung ändern.

Von Thomas Fricke, Berlin

Es gibt mindestens zwei Berufszweige, denen durch die Jahrhundertfinanzkrise ein ordentlicher Imageschaden entstanden ist. Der eine, das sind die Banker, klar. Die anderen, das sind die Ökonomen - jene Experten, die von der schlimmsten wirtschaftlichen Krise seit der Großen Depression der Dreißiger Jahre weitgehend überrascht wurden. Und die seitdem dem Spott ausgesetzt sind, dass ihre Prognosen immer daneben liegen, sie zu naiv an die Märkte glauben - oder selbst immer nur streiten, was zu machen ist.

Auf solcherlei Häme reagierten die Gescholtenen in den ersten Jahren meist trotzig, und verteidigten die eigene Lehre. Mittlerweile, acht Jahre nach Krisenausbruch, scheint die Zunft ordentlich in Bewegung. Darauf lassen die Antworten auf die große Umfrage unter mehr als 1000 deutschsprachigen Ökonomen schließen, die das Internetportal WirtschaftsWunder für die Süddeutsche Zeitung erstellt und ausgewertet hat. Danach gibt sich ein wachsender Teil der Gelehrten offen für die Volkskritik. Und es zeichnet sich ab, dass mancher schon auf neuen Wegen ist.

Fast die Hälfte räumt mittlerweile ein, dass der eigene Berufsstand "in einer Legitimationskrise" steckt. Der Anteil der Selbstzweifler stieg gegenüber der letzten Umfrage aus dem Jahre 2010 von 42 auf 46 Prozent. Dagegen fiel der Anteil derer, die sich von der Krise recht unbekümmert zeigen, von 56,5 auf 51,5 Prozent. Für zunehmende Zweifel an der einst so tief empfundenen eigenen Unfehlbarkeit spricht ebenso, dass nur noch jeder achte Befragte ohne Vorbehalt behauptet, die Wirtschaftswissenschaftler seien sich (wenigstens) über fundamentale Fragen einig.

Beeindruckt scheint ein großer Teil der deutschen Volkswirte auch von der Kritik jener Studenten, die 2014 mit viel Wirbel eine globale Initiative starteten, um gegen die (gefühlte) Einseitigkeit der Lehre zu protestieren. Die Wissenschaft werde von einem Weltbild dominiert, in dem alles rational ablaufe und die Märkte immer funktionierten, so das Lamento der sogenannten Pluralisten. Eine knappe Mehrheit der Etablierten zeigt Sympathie dafür. Der Vorwurf sei berechtigt, findet jeder vierte deutsche Ökonom. Als "grundsätzlich richtig, aber übertrieben" stufen ihn weitere 32 Prozent der Befragten ein. Dass es überhaupt nicht an Pluralität mangelt, sagt dagegen nur etwa jeder Siebte.

Ökonomen-Serie Teil 4: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

73 Prozent stimmen auch der Kritik "stark" oder "etwas" zu, dass Ökonomen in der Vergangenheit zu sehr auf die Annahme setzten, Menschen würden alles in allem ziemlich rational handeln. Viele Exzesse und Crashs haben gezeigt, dass die Menschen eben nicht rational handeln. Nur ein Viertel sieht das anders. Knapp zwei Drittel der Fachleute räumen zudem ein, dass die Zunft das Wirtschaftsleben zu stark in formalisierte mathematische Modelle zwängt. Menschliches Verhalten, so Kritiker, lasse sich eben schwer in Formeln fassen. Wer hat beim Einkaufen schon seine mathematisch exakte Nachfragekurve im Kopf? Inzwischen gibt es ganz neue Forschungen, die sich damit beschäftigen, was tatsächlich im Gehirn passiert, wenn wir über Geld entscheiden - oft nicht das, was bisher in den Lehrbüchern steht.

Entsprechend offen gibt sich ein größerer Teil der deutschen Ökonomen mittlerweile für Neues. Rund 44 Prozent sagen, die Krise habe dazu geführt, die eigene Lehre und Forschung anzupassen. Das heißt zwar, dass die Mehrheit beim Alten geblieben ist, teils auch weil das eigene Spezialgebiet weit weg von den aktuellen Krisenthemen ist. Ein bemerkenswerter Sprung steckt trotzdem dahinter: Vor fünf Jahren hatte nur einer von drei Wirtschaftswissenschaftlern damit begonnen, das eigene Lehrmaterial anzupassen. Damals hatten ebenfalls mehr als 1000 Mitglieder der deutschen Ökonomenvereinigung, dem Verein für Socialpolitik, auf den großen Fragenkatalog geantwortet.

Vor der Krise war es unter Ökonomen gang und gäbe, alles im Leben ökonomisch zu erklären - egal, um was es ging. Und sei es das Heiraten. Alles galt als rational ableitbar. Heute stimmen fast 90 Prozent der Aussage "stark" oder "etwas" zu, die Wirtschaftswissenschaftler sollten stärker auf die Erkenntnisse von Psychologen, Soziologen und anderen Disziplinen zurückgreifen. Ohne das Erkennen von psychologischen Herdentrieben lässt sich kaum verstehen, wie immer wieder Finanzblasen entstehen und platzen. Gut 86 Prozent finden, ihre Zunft müsse ganz und gar unökonomische Einflüsse auf das menschliche Verhalten stärker einbeziehen, zum Beispiel Normen und Instinkte.

Auch aus der Geschichte sollten sie viel mehr Lehren ziehen, sagen 75 Prozent der Befragten. Wie außergewöhnliche Crashs entstehen, lässt sich eben nur schwer aus dem üblichen Tagesgeschäft der Finanzmärkte in Normalzeiten ableiten. Da hilft der Blick auf ähnliche Krisen in der Vergangenheit - so wie es Ben Bernanke, der Chef der US-Notenbank, in der Krise getan hat. Oder wie Kenneth Rogoff, der staatliche Schuldenkrisen über Jahrhunderte auswertete. Oder wie Thomas Piketty, der enorme Datensätze zusammenstellte, um historisch zu analysieren, wie sich das Reichtumsgefälle in wichtigen Industrieländern entwickelt hat.

Die Wirtschaftswissenschaft steckt im Umbruch - dafür spricht auch, was Deutschlands Ökonomen auf die Frage nach der eigenen Denkschule antworteten. Die lange vorherrschende neoklassische Lehre, deren Vertreter stark auf freie Märkte setzen, kommt unter den hiesigen Wirtschaftsexperten nur noch auf 33 Prozent Sympathisanten - vor fünf Jahren sagten noch 44 Prozent der Gelehrten, sie fühlten sich dieser Denkrichtung am nächsten. Bemerkenswert ist auch: Fast jeder Zweite will sich in keine der klassischen Schulen mehr einstufen lassen - weder Neoklassik, noch Monetarismus oder Keynesianismus. Die Kategorien seien veraltet, so der Tenor heute. Bei Nicht-Ökonomen sind die Schubladen immer noch beliebt.

Wie aber halten es Deutschlands Ökonomen mit dem Blick in die Zukunft? Was halten sie von Prognosen über Wachstum und Konjunktur? Rund 53 Prozent der Befragten wollen - obwohl ihre Vorhersagen immer wieder daneben liegen - den Anspruch nicht aufgeben, die Zukunft vorherzusagen. Motto: Wer einmal so krass daneben gelegen hat, muss ja nicht immer daneben liegen - und kann aus den Fehlern auch lernen. Nur einer von acht Wirtschaftswissenschaftlern wäre dafür, das Prognostizieren ganz aufzugeben.

Für den Willen, die eigene Arbeit nicht bloß als Theorie ohne jeden Praxisbezug zu sehen, spricht auch, dass 70 Prozent der deutschen Ökonomen gern einmal in die Politik gehen und einen Minister oder anderen Praktiker beraten würden. Das ist in Deutschland dienstrechtlich deutlich schwieriger als in den USA, wo renommierte Ökonomen viel öfter in die Politik wechseln - und dann wieder zurück an die Uni gehen, wie der frühere Finanzminister Larry Summers, der später Dekan an der Harvard University wurde. Allerdings gehört dazu auch die Bereitschaft, von Ideallösungen Abschied zu nehmen - was vielen deutsche Ökonomen immer noch schwer fällt.

Ist all das der Beginn einer neuen Lehre und eines neuen, bescheideneren Selbstverständnisses der Wirtschaftswissenschaftler? Oder setzen sich die alten Vordenker doch durch? Die Wette läuft noch. Derzeit stehen sich diejenigen, die die Ökonomie in einer Legitimationskrise sehen, und diejenigen, die das verneinen, in etwa gleicher Stärke gegenüber. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob sich die Kräfte weiter verschieben.

Mitarbeit: Sofia Velasco

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