Ökonom Straubhaar im Gespräch:"Klumpenrisiko China"

Warum China den Titel "Exportweltmeister" braucht und sich Kunden von Plüschkrokodilen keinen Bären aufbinden lassen sollten, erklärt Ökonom Thomas Straubhaar.

Melanie Ahlemeier

Sechs Jahre lang war Deutschland "Exportweltmeister" - ein Titel, mit dem sich die Republik gerne schmückte. Doch mit dem brutalen Absturz des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um fünf Prozent und einem Rückgang der Exporte um fast 15 Prozent scheitert die Republik im verflixten siebten Jahr, China wird Deutschland wohl überholen. Die Volksrepublik reklamiert den Titel "Exportweltmeister" seit kurzem für sich - warum, erklärt der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Thomas Straubhaar. Der Schweizer, zugleich Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, zählt zu den profiliertesten Ökonomen der Republik.

Thomas Straubhaar; Grafik: sueddeutsche.de; Fotos: dpa, ddp, AP, HWWI

Professor Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts: "Eigentlich ist es egal, ob man die Nummer eins oder die Nummer zwei ist."

(Foto: Grafik: sueddeutsche.de; Fotos: dpa, ddp, AP, HWWI)

sueddeutsche.de: Herr Professor Straubhaar, China überholt Deutschland - wie sehr schmerzt der Verlust des Titels "Exportweltmeister" die deutsche Seele?

Straubhaar: Eigentlich überhaupt nicht. Dieser Titel ist hierzulande vielleicht prestigeträchtig, weltweit ist er aber völlig belanglos. Der Titel suggeriert einen Streit zwischen Nationen, ähnlich wie bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Es befinden sich aber nicht Länder im Wettbewerb, sondern Unternehmen.

sueddeutsche.de: Was genau macht diesen Titel für die deutsche Wirtschaft so bedeutend? Kaufen kann sich davon ja niemand etwas.

Straubhaar: Es ist ein sehr spezifisch-deutsches Phänomen. Eigentlich ist es egal, ob man die Nummer eins oder die Nummer zwei ist. Die Betreiber des Exportgeschäfts sind die großen multinationalen Player. Aus der Stärke im Export wird geschlossen, dass die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig ist - und dadurch Wachstum und Beschäftigung gesichert werden kann. Aber entscheidend ist nicht die absolute Höhe, sondern sind die relativen Marktanteile. Außerdem zählt Rendite mehr als Umsatz.

sueddeutsche.de: Der Spielzeugwarenhersteller Steiff holte beispielsweise die Produktion von China nach Deutschland zurück, weil die Qualität einfach nicht stimmte. Wann erreicht Asien europäisches Produktionsniveau?

Straubhaar: Steiff ist bei weitem nicht das einzige Beispiel. Sehr viele kleine mittelständische Betriebe haben gemerkt, dass zwei Dinge bei der Auslagerung der Produktion nach China ein großes Problem sind, wenn man von dort aus die Produkte unter deutschem Markennamen wieder in die ganze Welt weiterverkauft. Erstens wird die Reputation aufs Spiel gesetzt - die hängt mit der Qualität zusammen.

sueddeutsche.de: Und das zweite Problem?

Straubhaar: Mit der Produktion in China steigen auch die Transaktionskosten enorm. Auf Trends kann nicht schnell genug reagiert werden, Lieferfristen werden nicht eingehalten, statt Plüschbären werden Plüschkrokodile gefertigt, obwohl es inzwischen einen neuen Trend der Nachfragewünsche gab. Änderungen gelingen hier nur, wenn deutsche Fach- und Führungskräfte nach China geschickt werden. Das ist dann wiederum für das Unternehmen sehr teuer.

sueddeutsche.de: Die chinesische Wirtschaft profitiert maßgeblich von einem staatlich verordneten Konjunkturprogramm und der völlig unterbewerteten eigenen Währung Yuan. Seit einiger Zeit gibt es aus China gesteuerte Meldungen, der Exportweltmeister Deutschland sei überholt. Welchen Imagegewinn erhofft sich die Volksrepublik?

Straubhaar: In China herrscht eine Einheitspartei - das Regime ist weit weg von dem, was wir in Deutschland als Demokratie bezeichnen würden. Solche parteigebundenen Regierungen, die auch mit entsprechendem politischen Druck agieren, brauchen symbolträchtige Erfolgsmeldungen.

sueddeutsche.de: Um die enormen Anstrengungen, Opfer und Entbehrungen, die den eigenen Landsleuten zugemutet werden, rechtfertigen zu können?

Straubhaar: Ja. Der Lebensstandard Chinas ist im Vergleich zu Europa gering. Das Land hat zwar aufgeholt, hängt aber für die Massen immer noch Meilen hinterher. Die Arbeits- und Umweltstandards sind auf einem Stand, wie sie es hierzulande vor 100 Jahren gab - um Exportgüter herzustellen. Den Kunden in Amerika werden dann gleich noch die Kredite mitgeliefert, um damit die billigen chinesischen Waren importieren und finanzieren zu können. Jetzt muss China auch noch mitansehen, wie aufgrund der Dollarschwäche ein Teil der Devisenbestände entwertet wird. Zu Hause muss das verkauft werden - deshalb sind prestige- und symbolträchtige Titel so wichtig.

"Klumpenrisiko der Abhängigkeit"

sueddeutsche.de: Welche Gefahr geht von China aus? Auf was muss sich die deutsche Industrie einstellen?

Straubhaar: Ich sehe ein Klumpenrisiko, das nicht unterschätzt werden sollte.

sueddeutsche.de: Was genau meinen Sie damit?

Straubhaar: Die europäische und damit die deutsche Industrie geht ein großes Risiko ein. Es ist zwar absolut richtig, den Blick nach Osten zu werfen, denn dort liegen die dynamischen Zukunftsmärkte und das Wachstum. Aber es ist nicht risikolos. Gerade in China wird ein Klumpenrisiko der Abhängigkeit etabliert. Folge könnte eine Blase sein, deren Platzen niemand möchte. Und man darf nicht vergessen: Ein Teil der chinesischen Dynamik wurde mit einem großen Staatseinfluss erkauft!

sueddeutsche.de: Welchen Rat geben Sie der deutschen Wirtschaft mit auf den Weg?

Straubhaar: China sollte immer im Kontext mit anderen ähnlich dynamischen asiatischen Märkten gesehen werden, die ebenfalls sehr schnell wachsen, also Indien, Indonesien, die Philippinen und Korea bis hin zur Türkei. Die Gefahren lassen sich eher bändigen, wenn es auch im chinesischen Interesse liegt, dass internationale Wirtschaftsbeziehungen nach einem multilateralen Regelwerk ablaufen. Das ist dann der Fall, wenn wir unsere Märkte für chinesische Exporte offen halten.

sueddeutsche.de: Damit die Chinesen deutsche Produkte noch schneller kopieren können?

Straubhaar: Geistige Eigentumsrechte werden dann eher respektiert. Die Chinesen werden nicht so schnell illegal kopieren, wenn ihr Land exportiert und chinesische Unternehmen ein eigenes Interesse an Patenten, dem Schutz geistigen Eigentums und ordentlichen multilateralen Zahlungsbedingungen haben.

sueddeutsche.de: Das war jetzt ein Plädoyer wider den Protektionismus.

Straubhaar: Das war der Aufruf zur Freude darüber, dass China Exportweltmeister ist. Das mindert die Gefahr, dass China einen Abbruch internationaler Wirtschaftsbeziehungen provozieren kann. Je stärker China auf den Export setzt, umso stärker wird das Land von funktionierenden internationalen Wirtschaftsbeziehungen abhängig.

sueddeutsche.de: Was müssen deutsche Unternehmer beachten, wenn sie in China Geschäfte machen wollen? Ein bisschen Feng-Shui, und alles wird gut?

Straubhaar: Ich habe fernöstliche Management- oder Wohlfühltheorien auch lange Zeit schmunzelnd zur Kenntnis genommen - aber Unternehmen sind gut beraten, sich schleunigst mit diesen Gewohnheiten, Kulturen und Werten stärker vertraut zu machen. Außerdem sollte man sich rechtzeitig um spezifischen Rechtsbeistand kümmern.

sueddeutsche.de: Sie trauen den Chinesen als Geschäftspartner nicht über den Weg?

Straubhaar: Das chinesische Rechtsverständnis ist ein völlig anderes als das Angelsächsische. Wir verhandeln, schließen einen Vertrag ab - und der gilt. In China wird relativ rasch ein Vertrag geschlossen und danach wird verhandelt, wie der Vertrag zu interpretieren ist. Das muss man wissen. Ansonsten gilt: China wird sehr schnell lernen und in Sachen Qualität sehr schnell aufholen.

sueddeutsche.de: Schnell wieder aufholen möchte auch das deutsche Bruttoinlandsprodukt. Für 2010 prognostiziert das HWWI schon wieder ein Wachstum von 1,5 Prozent. Ganz schön optimistisch nach minus fünf Prozent für das Schreckensjahr 2009.

Straubhaar: Es kommt auf die Perspektive an. Nach einem Rückgang von fünf Prozent bedeutet ein Anstieg von anderthalb Prozent gerade mal ein Drittel des Weges auf dem Weg zurück. Das halte ich nicht für stark positiv. Das ist eher ein erstes Wiederaufrappeln.

Wurzelzeichen statt "Double-Dip"

sueddeutsche.de: Schwarzseher rechnen mit einem "Double-Dip" - die Konjunktur werde nach einem kurzen Anstieg noch einmal gewaltig einbrechen.

Straubhaar: Wir haben keine Anzeichen dafür. Ich sehe eher so eine Art Wurzelzeichen. Stellen Sie sich ein "V" vor, bei dem der linke Ast viel länger als der rechte ist. Das Wachstum auf dem rechten Ast wird auf halber Strecke ins Stocken geraten, da gibt es einen Bruch. Danach verläuft das Wachstum viel flacher. Wir werden uns längerfristig irgendwo zwischen einem und anderthalb Prozent bewegen. Es wird einige Jahre dauern, bis wir das Niveau von 2008 wieder erreicht haben.

sueddeutsche.de: Vor fast genau einem Jahr haben Sie gesagt: Deutschland bleibt Exportweltmeister - vor China. Wie kamen Sie zu dieser Fehlprognose?

Straubhaar: Ich bleibe dabei, selbst wenn es sich jetzt um einige Prozentpunkte verschoben hat. Man muss Deutschlands Exportleistung an der gesamten hiesigen Wirtschaftskraft messen und relativieren sowie die damit verbundenen, relativ hohen Renditen betrachten. Und: Der größte Teil der Exporte Chinas sind letztlich Re-Importe beziehungsweise Re-Exporte für ausländische Firmen aus China heraus. Deshalb steht Deutschland für mich weiterhin ganz oben und ist der wahre Weltmeister.

sueddeutsche.de: Den Titel Exportweltmeister können wir getrost verlieren - schlimmer wäre es aber, wenn wir nicht Fußballweltmeister würden?

Straubhaar: (lacht) Wenn ich zwischen zwei Titeln die freie Wahl hätte, würde ich jedes Mal sofort den Fußballweltmeistertitel nehmen. Den gibt es nur alle vier Jahre und es macht im Sport wirklich einen Unterschied, ob eine Mannschaft Erster oder Zweiter ist. Das ist das Schöne an der Ökonomie: Sie ist kein Nullsummenspiel. In der Ökonomie gewinnt auch der Zweite.

sueddeutsche.de: Müssten Sie als Schweizer zur Fußballweltmeisterschaft nicht eigentlich der Schweiz die Daumen halten?

Straubhaar: Ich bin Realist. Ich lege nicht meine ganze Empathie und Zuneigung in ein Team, das bestenfalls Chancen für ein ehrenvolles Abschneiden unter "ferner liefen" hat. Aber ich will natürlich beim Finale mitfiebern, deshalb schlägt mein Fußballherz für Deutschland!

sueddeutsche.de: Also Deutschland auf Platz eins, die Schweiz Platz zwei?

Straubhaar: (lacht laut) Bei ökonomischen Prognosen habe ich gelernt, dass man sehr vorsichtig sein muss, weil man sich schnell irren kann. Aber beim Fußball muss ich doch sagen: Es gibt viele andere Mannschaften, die einfach besser spielen als die Schweiz.

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