Ökonom Johnson:"Wir müssen die Macht der Wall Street brechen"

Der frühere IWF-Chefökonom Simon Johnson über das Schwellenland Amerika, zögerliche US-Politiker und ignorante Europäer.

Moritz Koch

Simon Johnson lehrt globale Ökonomie am Massachusetts Institute of Technology. 2007 und 2008 leitete er die Forschungsabteilung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Sein Spezialgebiet sind Finanzkrisen - und seine Thesen ebenso einleuchtend wie provokativ. So unterschiedlich Probleme in einzelnen Ländern sind, gibt es doch gemeinsames Muster: Wirtschaftsoligarchen haben die politische Macht an sich gerissen. Die SZ sprach mit ihm darüber.

Ökonom Johnson: Simon Johnson: "Alle Finanzkrisen der jüngeren Geschichte wurden dadurch ausgelöst, dass eine wirtschaftliche Elite zu viel Macht bekam." Für eine Übersicht, welche früheren Wall-Street-Berater im Weißen Haus sind, oder waren, klicken Sie auf das Foto Simon Johnsons.

Simon Johnson: "Alle Finanzkrisen der jüngeren Geschichte wurden dadurch ausgelöst, dass eine wirtschaftliche Elite zu viel Macht bekam." Für eine Übersicht, welche früheren Wall-Street-Berater im Weißen Haus sind, oder waren, klicken Sie auf das Foto Simon Johnsons.

(Foto: Foto: MIT Sloan School of Management)

SZ: Professor Johnson, sie behaupten, in den USA habe sich ein stiller Coup ereignet. Die Wall Street habe Washington gekapert. Das klingt eher nach einer Verschwörungstheorie als nach ökonomischer Analyse.

Simon Johnson: Überhaupt nicht. Alle Finanzkrisen der jüngeren Geschichte wurden dadurch ausgelöst, dass eine wirtschaftliche Elite zu viel Macht bekam. Die USA unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht von Schwellenländern wie Südkorea oder Indonesien. Lesen Sie das Wall Street Journal?

SZ: Wieso fragen Sie?

Johnson: Da gab es kürzlich eine interessante Grafik. Sie zeigte den massiven Anstieg der Gehälter in der Finanzbranche. Der Grund dafür ist die Deregulierung. Es ist ein Fakt, dass die Wall Street mit Millionensummen Wahlkämpfer unterstützt hat, während sich Politiker für den Abbau gesetzlicher Vorschriften stark machten.

SZ: Sie meinen, die Großbanken hätten sich politischen Einfluss gekauft, um immer größere Profite einzufahren?

Johnson: Nun ja, ich würde es so ausdrücken: Der Wall Street ist es gelungen, Washington weiszumachen, dass alles, was gut für den Finanzsektor ist, auch gut fürs Land ist. Viele Beamte im Finanzministerium haben ja zunächst an der Wall Street Karriere gemacht. Die Großbanken bilden einen wichtigen Teil der politischen Klasse aus. So brauchen sie sich des Instruments der Bestechung gar nicht zu bedienen.

SZ: Angenommen, Sie haben recht, die Wall Street hat Washington in der Tasche. Warum holen sich Banken vom Staat dann nicht das Geld, das sie brauchen, um wieder solvent zu werden?

Johnson: Sie verschweigen das Ausmaß ihrer Not, um nicht verstaatlicht zu werden. Sie wollen gerade so viel Geld, wie sie zum Überleben benötigen. Das Problem ist, dass ihre Anlagen ihre Verbindlichkeiten nicht mehr decken, sie praktisch insolvent sind und sie daher kaum noch Kredite vergeben. Sie hoffen, dass ein Aufschwung sie rettet. Nur wird es keinen Aufschwung geben, wenn nicht zuerst der Kreditstrom wieder in Gang kommt.

SZ: Präsident Obama will neue Regeln für Gehälter im Finanzsektor und die Aufsicht über den Handel mit Derivaten verschärfen. Es scheint, als befreie sich Washington aus dem Klammergriff der Wall Street.

Johnson: Zumindest wird sich Washington seiner Verwicklung bewusst. Doch die Verbindung zu trennen, wird schwer. Nach meiner Meinung geht das, was die Regierung tut, nicht weit genug. Wir müssten schärfer regulieren, als es die bisherigen Pläne vorsehen. Wir müssten Banken, die zu groß zum Scheitern sind, mit Kartellgesetzen zerschlagen. Und wir müssten mehr tun, um die mit Schrottkrediten verseuchten Bilanzen zu säubern.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum Simon Johnson die Verstaatlichung der insolventen Banken für den besten Weg aus der Krise hält.

Der beste Weg aus der Krise

SZ: Was fordern Sie? Die Verstaatlichung des Finanzsystems?

Johnson: Nicht des gesamten Systems, nur der insolventen Banken. Das wäre der beste Weg aus der Krise. Wir hätten die Pleiteinstitute über- und ihnen ihre faulen Kredite abnehmen sollen. Den gesunden Rest hätten wir dann reprivatisieren können. Leider hat sich die Regierung diesen Weg verbaut.

SZ: Erklären Sie das.

Johnson: Mit den Stresstests hat sie den Märkten signalisiert: Dem Finanzsystem geht es den Umständen entsprechend gut, wir brauchen keine Verstaatlichung. Nun kann sie nicht auf einmal das Gegenteil behaupten, um eine Übernahme zu rechtfertigen. Sie würde all ihre Glaubwürdigkeit zerstören - mit schlimmen Folgen. Also bleibt uns nichts anderes übrig als zu hoffen, dass die Annahme der Regierung stimmt, die Banken könnten ihre alten Verluste mit neuen Gewinnen ausgleichen. Ich habe meine Zweifel.

SZ: Immerhin: In Asien und Amerika gibt es erste Anzeichen einer Stabilisierung, in Europa kaum. Was machen die Europäer falsch?

Johnson: Sie verhalten sich arrogant, fast ignorant. Sie behaupten, die Amerikaner hätten die Krise ausgelöst, daher müssten sie sie auch bereinigen. Abgesehen davon, dass diese These falsch ist, weil die europäischen Banken begeistert mitgemischt haben bei den Kreditexzessen der Wall Street, begründet die These eine gefährliche Passivität. Die Rezession hat Europa mit voller Wucht getroffen. Europa braucht eine entschlossene Krisenpolitik. Davon fehlt jede Spur. Dabei sind Bankkredite für europäische Firmen viel wichtiger als für amerikanische Unternehmen, die viel stärker auch auf andere Kapitalquellen zurückgreifen können.

SZ: Deutschland will eine Bad Bank einrichten, bei der Kreditinstitute faule Papiere deponieren. Eine gute Idee?

Johnson: Ich kenne die Details nicht. Aber nach allem, was der deutschen Regierung bisher zur Krise eingefallen ist, glaube ich nicht, dass sie zu einer vernünftigen Lösung in der Lage ist.

SZ: Welche Lehren sollte der Westen aus dem Finanznotstand ziehen? Teilen sie die Auffassung ihres Kollegen Paul Krugman, dass Bankgeschäfte wieder langweilig werden müssen?

Johnson: Das ist ein richtiger Ansatz. Die Zockerei auf fremde Kosten muss ein Ende haben. Die wichtigste Lehre der Krise sollte aber sein, dass wir Banken keinen großen politischen Einfluss mehr geben dürfen. Wir müssen die Macht der Wall Street brechen.

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