Ökonom Hans-Werner Sinn:"Dann gäbe es einen großen Knall"

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Das Bankensystem ist angeschlagen. Darum gehe es mit der Reform des Finanzmarkts auch nicht voran, sagt Wirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn. Er warnt vor weiteren EU-Hilfen für Schuldenländer.

Hans-Jürgen Jakobs

Hans-Werner Sinn, 62, einer der profilierten Ökonomen Deutschlands, lenkt seit 1999 das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München. Mit zahlreichen Büchern, etwa "Die Basarökonomie" (2005) oder "Kasino-Kapitalismus" (2009), hat er die gesellschaftlichen Debatten befeuert.

Hans-Werner Sinn: "Griechenland könnte endlich einmal seine reichen Staatsbürger besteuern, die ihre Geschäfte bislang großenteils schwarz abwickeln. Oder es könnte die maßlos überzogenen Gehälter in den staatseigenen Betrieben reduzieren." (Foto: Alessandra Schellnegger)

SZ: Herr Professor Sinn, für Sie ist die löchrige Regulierung der Banken ein Grund für die Finanzkrise 2008. Hat die Politik seitdem dazugelernt?

Hans-Werner Sinn: Noch immer ist das Rahmensystem für Banken nicht streng genug. Zwar haben sich die neuen Regularien bei "Basel III" verbessert: Es verlangt von den Geldinstituten mehr Eigenkapital. Vorher mussten Kredite an andere Banken kaum und an Staaten überhaupt nicht mit Eigenkapital unterfüttert sein. Die Banken müssen jetzt drei Prozent der gesamten Bilanzsumme durch ihr Eigenkapital abdecken. Doch das ist noch immer zu wenig.

SZ: Warum?

Sinn: Fünf Prozent sollte man mindestens ansetzen. Das US-Bankensystem hat in der Finanzkrise 4,7 Prozent der gesamten Bilanzsumme abschreiben müssen. Nach wie vor sind viele Banken unterkapitalisiert.

SZ: Was folgt daraus für Sie? Inwieweit erhöhen sich Krisengefahren?

Sinn: Nur wenn die Eigentümer einer Bank genug Kapital einsetzen, um damit haften zu können, hört das Glücksspiel auf. Sonst läuft es immer weiter. Die Gewinne gehören den eigenen Aktionären, Verluste aber trägt der Gläubiger oder auch der Steuerzahler, wenn als systemrelevant eingestufte Banken freigekauft werden müssen. Diese Asymmetrie hat zu übergroßer Risikofreude und exzessiven Gehältern der Manager geführt

SZ: . . . die man stark begrenzen wollte, als Lehre aus der Krise.

Sinn: Der Staat übernimmt sich, wenn er Gehälter vorschreiben will. Man verwechselt dabei im Marionettentheater den Strippenzieher mit der Marionette. Wenn die Eigentümer für die Risiken haften müssen, werden sie ihren Managern auch andere Entlohnungssysteme geben, die mehr Nachhaltigkeit im Geschäftsgebaren hervorrufen.

SZ: Ihr jüngstes Buch prangerte "Kasino-Kapitalismus" an. Hat sich durch politische Maßnahmen wirklich so viel geändert? Nach wie vor können Hedgefonds recht frei agieren, mit fast zwei Billionen Dollar Anlagevermögen.

Sinn: Künftig sollen auch sie verpflichtet werden, Eigenkapital zu unterlegen. Noch greifen diese Regeln nicht. Das ist eine große Industrie, die vom Glücksspiel lebt. Oft betreiben Hedgefonds Leerverkäufe, um irgendwelche Kurse nach unten zu drücken. Das destabilisiert die Märkte. Es entstehen verzerrte Preise, die es ohne Leerverkäufe nicht gäbe. Das muss begrenzt werden.

SZ: Dafür hat Finanzminister Wolfgang Schäuble rasch ein Gesetz erlassen.

Sinn: Ja, es bezieht sich auf sogenannte nackte Leerverkäufe, bei denen man sich nicht einmal die Papiere leiht, die im Zuge der Leerverkäufe auf den Markt geworfen werden. Man tut nur so, als besäße man, was man verkauft. Es macht aber keinen Sinn, wenn ein einzelnes Land Verbote erlässt, weil die Spekulanten dann einfach in ein anderes Land ausweichen. Statt im Mai 2010 auf die Spekulation gegen Griechenland zu reagieren, indem man die Maastrichter Verträge kippt, hätte Europa, am besten mit den USA zusammen, die Leerverkäufe griechischer Staatspapiere verbieten sollen. Das wäre für uns Deutsche billiger gekommen.

SZ: Also hat die Politik insgesamt nach dem Crash der Lehman-Bank im September 2008 nicht adäquat reagiert?

Sinn: Auf die akute Krise damals schon. Die Liquiditätshilfen für Griechenland im Mai 2010 waren aber in dieser Form nicht sinnvoll, weil die Banken nicht beteiligt wurden. Sie hätten gleich mit zur Kasse gebeten werden müssen, um sie in Zukunft zu größerer Vorsicht zu veranlassen. Der Rettungsschirm darf nicht zur Vollkaskoversicherung gegen die Staatsinsolvenz werden. Sonst verschulden sich die Staaten auch weiterhin hemmungslos, und zum Schluss wird Europa von einem Schuldenberg erdrückt.

SZ: Wie werten Sie den Rettungsschirm über insgesamt 750 Millionen Euro, den die Euroländer nach der Griechenland-Rettungsaktion schufen?

Sinn: Man muss strikt unterscheiden: Probleme der Liquidität verschwinden mit der Zeit, da kann man für zwei, drei Jahre mit EU-Krediten helfen. Wenn aber ein Land insolvent - also wirklich pleite - ist, hilft kein Schirm. Dann müssen die Banken auf einen Großteil ihrer Forderungen verzichten.

SZ: In Brüssel soll der Fonds EFSF eine große Rolle spielen - bei Finanzproblemen einzelner Länder. Die tatsächlich zur Verfügung stehende Summe von 250 Milliarden Euro soll erhöht werden.

Sinn: Zum Schutz vor einer Liquiditätskrise reicht der jetzige Rettungsschirm mehr als aus. Es gibt ja noch neben dem EFSF den Internationalen Währungsfonds (IWF) mit 250 Milliarden Euro sowie 60 Milliarden Euro, die von der EU kommen. In Wahrheit steht also mehr als das Doppelte der genannten Summe tatsächlich zur Verfügung - 85 Prozent mehr als der Refinanzierungsbedarf von Irland, Portugal und Spanien für die kommenden drei Jahre. Ich habe den Verdacht, es geht in Wahrheit um etwas ganz anderes. Die Krisenländer sollen ihre vielen Altschulden durch Schulden bei der Staatengemeinschaft ersetzt bekommen.

SZ: Ein Plan ist, dass der EFSF etwa Griechenland viel Geld leiht, damit dieser Staat anschließend seine eigenen Anleihen zurückkauft - auch wenn der Kurs deutlich unter dem Nennwert liegt.

Sinn: Ich weiß. Griechenland sollte die Umschuldung lieber mit seinen Banken vereinbaren. Die können ja die neuen Kredite zum Ersatz der Altschulden gewähren. Das Land könnte endlich einmal seine reichen Staatsbürger besteuern, die ihre Geschäfte bislang großenteils schwarz abwickeln. Oder es könnte die maßlos überzogenen Gehälter in den staatseigenen Betrieben reduzieren. Was Brüssel vorhat, ist eben doch wieder, unter neuem Namen und mit neuen Begründungen, Eurobonds einzuführen und die Altschulden zu vergemeinschaften. Die Luxemburger Zweckgesellschaft, die die Eurostaaten errichtet haben, leiht sich das Geld für diese Aktion ja in unserem Namen, und wir müssen haften, ja letzten Endes auch zahlen.

SZ: Die Staaten haben zur Rettung von Banken viel Geld ausgegeben. Milliarden stehen im Feuer. Hat sich das Problem von den privaten Geldhäusern auf die Staatshaushalte verlagert?

Sinn: Je mehr die öffentliche Hand übernimmt, desto mehr wird aus der Finanzkrise eine Staatenkrise. Und: Je mehr in Europa ein Land für ein anderes haftet, desto eher überträgt sich das Problem. Die Haftungsketten, die die EU errichten möchte, verbreitern die Ansteckungswege. Die Krise der Südländer kann zur Staatskrise in Deutschland werden, wenn wir die Haftungssummen nicht unter Kontrolle halten. Die immer wieder zu hörende Behauptung, diese Rettungspakete müssten möglichst groß sein, um die Märkte zu beruhigen, und in Wahrheit würden ja gar keine Zahlungen fällig, erfüllt mich mit großer Sorge, denn sie ist unwahr.

SZ: Tatsächlich muss sogar ein einst fitter Staat wie Irland an die Infusion.

Sinn: Welche Gefahren drohen, sieht man in Irland, wo der Staat vor zwei Jahren seinen Banken ein Schutzversprechen in Höhe des Zweieinhalbfachen seines Sozialprodukts gegeben hat, auch mit der Begründung, man müsse die Märkte beruhigen, und die Bürgschaften würden ja nie in Anspruch genommen. Nur zwei Jahre später waren die irischen Banken pleite und mussten gerettet werden. Nun hat Irland nicht nur eine Bankenkrise, sondern auch noch eine Staatskrise. Es wäre besser gewesen, zwischen Banken und Staat eine Brandmauer zu errichten. Das Beispiel sollte all diejenigen warnen, die meinen, es komme auf ein paar Nullen mehr oder weniger hinter den Zahlen nicht an. Wenn wir eines Tages neben Spanien auch noch Italien retten müssten, wären auch wir pleite, denn die italienischen Schulden sind genauso groß wie unsere. Dann bräche alles mit einem großen Knall auseinander.

SZ: Wäre eine europäische Wirtschaftsregierung die richtige Lösung?

Sinn: Ich habe diese Forderung nie verstanden.

SZ: Eine solche Wirtschaftsregierung könnte auf eine strenge Ausgabenpolitik in den einzelnen Ländern achten.

Sinn: Das wäre dann ein Schuldenpakt. Es stimmt, Europa braucht klare politische Schuldengrenzen. Das hatten wir schon mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt, es hat aber nicht funktioniert. Auch brauchen wir natürlich eine gemeinsame Aufsicht über das europäische Finanzsystem mit strengen Regeln. Nein, das Wort "Wirtschaftsregierung" vernebelt, um was es wirklich geht. Dahinter verbirgt sich der Wunsch nach einer Transferunion - die Defizite der Südländer würden durch die Nordländer bezahlt. Und es soll direkt in den Wirtschaftsablauf eingegriffen werden, wenn ein Land wie Deutschland zu stark wird und einen Exportüberschuss hat. Dann würden unter Strafandrohung höhere Löhne angeordnet. In Brüssel und Paris macht man um solche Wünsche kein Geheimnis.

SZ: Aber wie soll auf Dauer verbindlich Stabilität gewährleistet werden?

Sinn: Jedes Land muss für seine Schulden selbst aufkommen und darf erst gar nicht zu viele machen. Verletzungen der Regeln müssen automatisch bestraft werden - von einer nichtpolitischen Institution, zum Beispiel einer europäischen Staatsanwaltschaft. Vor allem brauchen wir die Kontrolle durch die Märkte. Sie üben aber ihre Kontrollfunktion nur aus, wenn die Banken auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen, bevor die Staatengemeinschaft Hilfen gewährt. Die Banken werden nur dann bei ihrer Kreditvergabe vorsichtig sein, wenn sie ein Risiko tragen.

SZ: Die Experten waren sich kurz nach Ausbruch der Finanzkrise einig, dass künftig eine einheitliche Politik auf Welt-Ebene nötig sei, etwa im Rahmen der G 20. Ist hier genügend geschehen?

Sinn: Nein, im globalen Maßstab passiert zu wenig. Die angelsächsischen Länder wollen nun mal keine große Bankenregulierung. Was aber gelungen ist, ist die Austrocknung der Steueroasen. Die OECD hat mit ihrer schwarzen Liste bestimmten Sünderländern die Pistole auf die Brust gesetzt. Sie mussten einem Berichtssystem zustimmen, wonach auch alle Steueroasen Herkunftsländer über Gelder informieren, die zu Zinserträgen führen. Das hat sogar bewirkt, dass in der Schweiz das Bankgeheimnis gelockert wurde. Es fließen heute weniger Schwarzgelder in die Schweiz als früher.

SZ: Von einer Börsenumsatzsteuer auf Finanzgeschäfte, die Spekulanten abhalten könnte, hat man dagegen nichts mehr gehört.

Sinn: Der IWF hat eine Steuer auf die Bilanzsumme von Finanzfirmen vorgesehen, mit Ausnahme der Eigenkapitalbestände. Es ist besser, auf solche Aggregate statt auf die Transaktionen zu gehen.

SZ: Aber das sind alles nur Pläne?

Sinn: Das Problem ist, dass die Banken derzeit selbst nicht genug Geld haben. Das Bankensystem ist angeschlagen. Es stecken viele noch nicht realisierte Verluste in den Bilanzen der europäischen Banken, wahrscheinlich noch schwindelerregende Summen.

SZ: In der Debatte um die Folgen der Finanzkrise taucht oft auf, dass die Weltwirtschaft eine neue Moral brauche. Da ist viel von Anstand die Rede.

Sinn: Es ist immer gut, solche Leitbilder zu entwickeln. Nur: Wer glaubt, er könne das Problem damit in den Griff bekommen, kapituliert vor der Komplexität der Materie. Wir brauchen mehr als Moralreden - nämlich harte Beschränkungen für das Verhalten der Institutionen im Markt. Den Finanzjongleur zum ehrbaren Kaufmann machen zu wollen, ist eine nette, aber naive Vorgehensweise. Das bleibt bloße Deklamation.

SZ: Ein zentraler Wert könnte die Einhaltung des freien Handels sein. Tatsächlich wirkt es, als ob wieder Protektionismus an Bedeutung gewinnen würde.

Sinn: Die USA haben ja schon mobil gemacht. Der Kongress hat den Präsidenten ermächtigt, Importzölle für China-Waren zu verhängen, falls China nicht spurt. Man will eine Aufwertung des Yuan erreichen, um den amerikanischen Firmen mehr Chancen im Wettbewerb zu geben.

SZ: Würden Zölle die Probleme verkleinern?

Sinn: Nein, sie würden den Handel verringern zum Schaden aller. Der Beschluss des Kongresses zeigt aber, dass in Amerika große Angst herrscht. Der US-amerikanische Baumarkt ist heute noch mehr kaputt als vor zwei Jahren. Er ist nach einer scheinbaren Erholung noch weiter abgestürzt. Den Amerikanern gelingt es halt nicht mehr, der Welt die strukturierten Wertpapiere anzudrehen, mit denen sie ihren Bauboom bislang finanziert haben. Ich erwarte, dass die USA durch ein ganz schwieriges Jahrzehnt gehen werden. Das Land hat es sich bequem gemacht und von Kapitalimporten gelebt. Das Geld kam ja von China, Deutschland und Japan. Der Geldfluss ist derzeit am Versiegen. Amerika versucht das auszugleichen, indem es die Notenpresse auf Hochtouren laufen lässt.

SZ: Hat zum aktuellen Aufschwung nicht großteils der Super-Boom in China beigetragen, der überzeichnet ist?

Sinn: Ja, sicherlich. Die Gewichte der Weltwirtschaft verlagern sich zunehmend nach Fernost und in andere Regionen. Auch Russland, Brasilien und Indien ziehen an. Allmählich verändert sich die Welt: Nicht mehr die erste und die zweite Welt stehen im Vordergrund, sondern das, was wir einst "dritte Welt" nannten. Der Dollar ist schon lange nicht mehr die größte Transaktionswährung der Welt: Es sind weitaus mehr Euros als Dollars in Umlauf. Und irgendwann wird es mehr Yuans als Euros geben.

© SZ vom 26.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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