Süddeutsche Zeitung

Klaus Töpfer:"Es geht darum, mehr zu verkaufen"

Keine Atomkraft und weniger Autos: Ex-Umweltminister Klaus Töpfer prophezeit der Welt einen radikalen Umbau - aber nicht mit dem Energiekonzept der Bundesregierung.

Markus Balser

Als Ex-Bundesumweltminister und früherer Chef des UN-Umweltprogramms UNEP zählt Klaus Töpfer, 72, zu den profiliertesten deutschen Umweltpolitikern. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung übt der Ökonom harte Kritik am Atomkurs der Bundesregierung und fordert einen schnelleren Umbau der Energiewirtschaft. Noch immer unterschätzten die Deutschen die Größenordnung des nötigen Wandels zur nachhaltigen Gesellschaft, so Töpfer: "Vor uns liegen gewaltige Herausforderungen."

SZ: Herr Töpfer, die Bundesregierung hat dem Land gerade einen gewaltigen ökologischen Umbau verordnet. Sie feiert ihr Energiekonzept als großen Wurf. Zu Recht?

Töpfer: Die Politik ist ein solches Energiekonzept ja lange schuldig geblieben. Es ist gut, dass es die Bundesregierung auf den Tisch gelegt hat. Aus meiner Sicht ist das noch nicht der große Wurf, den Wirtschaft und Gesellschaft erwartet haben und den das Land jetzt braucht.

SZ: Die Ziele sind ambitioniert: 2050 soll das Land 80 Prozent weniger Treibhausemissionen ausstoßen. Das klingt nach Revolution. Sie bleiben skeptisch?

Töpfer: Ich bin grundsätzlich skeptisch, wenn die Politik derart langfristige Ziele setzt. Ein so langer Zeithorizont ist mir zu schnell entlastend für die Verpflichtung zum direkten, entschlossenen Handeln. Entscheidend ist ein stringentes, konkretes Handlungsprogramm mit verbindlichen Zwischenzielen. Es ist zwingend erforderlich, sofort einzugreifen. Ich habe zu lange in Afrika gelebt und war zu lange in politischer Verantwortung in Deutschland, um zu glauben, dass schon eine Vision reicht.

SZ: Ihnen fehlen konkrete Schritte?

Töpfer: Die Regierung hätte viel mehr Augenmerk auf den aktuellen Umbau der Infrastruktur, auf die Steigerung der Energieeffizienz, auf die verbindliche Nutzung erneuerbarer Energien legen müssen. Der Ausbau der Netze, die Energiespeicherung, die Öffnung zu dezentralen Konzepten - das bedarf politischer Unterstützung und Akzeptanz. Dafür muss mehr Verantwortung übernommen und Druck erzeugt, muss die Erforschung neuer Technologien forciert und ihre Nutzung gefordert werden. Neue Technologien fallen ja nicht wie Manna vom Himmel. Fortschritt schlägt sich da nieder, wo Knappheiten zu überwinden sind. Die Politik muss diese Knappheiten, wenn nötig, ordnungspolitisch erzwingen. So entstehen Märkte und Wettbewerb um die besten Lösungen.

SZ: Kurz nach Ihrem Amtsantritt als Bundesumweltminister sagten Sie noch unter dem Eindruck der Katastrophe von Tschernobyl: "Wir müssen eine Zukunft ohne Kernenergie erfinden." Jetzt, 23 Jahre später, hebt die Regierung den raschen Atomausstieg auf. Erleben wir eine Renaissance der Kernenergie?

Töpfer: Nein, damit rechne ich nicht. Und ich bleibe im Übrigen dabei: Die Atomkraft wird unser globales Energieproblem nicht lösen. Selbst wenn es weltweit Tausende Kernkraftwerke gäbe, würden sie kaum mehr als zehn Prozent des globalen Energiebedarfs decken. Der übergroße Anteil der globalen Energieerzeugung muss auf anderen Wegen erfolgen. Aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist das auch industriepolitisch immer sinnvoller und zwingender. Hinzu kommt, dass der Gesellschaft durch Kernenergie erhebliche Risiken drohen.

SZ: Was meinen Sie?

Töpfer: Die Atomkraft ist keine Kreislaufwirtschaft. Es wird Müll produziert, von dem wir heute noch immer nicht wissen, wo wir ihn langfristig sicher lagern sollen. Und auch das Risiko, dass nukleares Material in falsche Hände geraten könnte, wird mit zunehmendem Einsatz der Kernenergie größer. Das ist mein Hauptargument gegen diese Technik.

SZ: Gegen die Bedrohung durch nukleare Waffen sollte der Atomwaffensperrvertrag helfen. Sie glauben nicht an eine effektive Kontrolle?

Töpfer: Starke Zweifel sind jedenfalls angebracht. Und sie werden ständig stärker. Denken Sie daran, dass wir in eine globalisierte Welt gehen, in der das staatliche Machtmonopol zunehmend schwindet. Wir erleben doch schon jetzt, dass viele Länder ein Proliferationsrisiko darstellen - das Risiko der Verbreitung waffenfähigen Nuklearmaterials. Mir ist wichtig, dass die Debatte über den Umbau der Wirtschaft nicht immer in der Atomdebatte endet. Das greift entschieden zu kurz. Wir müssen weit darüber hinaus denken, um den Anforderungen einer Welt mit bald neun Milliarden Menschen gerecht zu werden.

SZ: Was meinen Sie?

Töpfer: Dass wir uns beeilen müssen, Alternativen zu entwickeln und umzusetzen und beim Umbau des Energieangebots und der Energienachfrage weltweit führend zu sein. Das wird auch die Gesellschaft verändern. Ob Atomkraftwerke in Deutschland abgestellt werden oder acht oder sogar zwölf Jahre länger laufen, ist innenpolitisch außerordentlich bedeutend. Parteien haben damit ihre Glaubwürdigkeit verbunden. Global geht die Diskussion weit darüber hinaus. In Deutschland ist zu beachten, dass längere Laufzeiten den Ausbau einer auf erneuerbare Energien ausgerichteten Infrastruktur behindern. Wir sollten jetzt über die wirklichen Aufgaben reden, die vor uns liegen: Den Wandel des Wirtschaftens in einer immer bevölkerungsreicheren Welt. Das wird das Produzieren und Konsumieren stark verändern.

SZ: Wie genau?

Töpfer: Nehmen Sie als wichtigstes Beispiel das Leben in Städten. Wir stehen weltweit am Anfang eines urbanen Jahrhunderts. In den sogenannten Aufbruchsstädten der Schwellenländer leben heute 2,6 Milliarden Menschen - ein Drittel der gesamten Weltbevölkerung. In zwei Jahrzehnten werden weitere 1,3 Milliarden hinzukommen. Vor allem in China, Indien und in vielen Ländern Afrikas werden wir ein massives Wachstum urbaner Zentren erleben. Es wird eine Vielzahl neuer Millionenstädte entstehen. Die Stabilität ganzer Gesellschaften wird davon abhängen, ob Städte dieser Entwicklung standhalten. Gleichzeitig verbindet sich mit der Urbanisierung die drängende Frage einer nachhaltigen Gestaltung ländlicher Räume. Ganz neue Fragen stellen sich: Welche Aufgaben müssen in der Energieversorgung netzgebundene, welche dezentrale Insellösungen übernehmen? Am herkömmlichen Autoverkehr werden diese Städte ersticken. Und wir müssen das Abfallproblem mit neuen Methoden in den Griff bekommen. Schon heute ist klar: Städte bekommen ein neues Gesicht.

SZ: Mit dem heutigen Lebensstil scheint das kaum vereinbar.

Töpfer: Unsere Konsummuster müssen sich ändern. Immer noch geht es in der Ökonomie darum, immer mehr zu verkaufen. Werbung, PR - wir haben uns viel einfallen lassen, um Bedürfnisse zu wecken und Nachfrage nach Produkten zu verstärken. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass Antworten heute oft mit "weniger" beginnen.

SZ: Brauchen wir einen neuen Wohlstandsbegriff?

Töpfer: Ich will nichts verklären, aber ich mag die Geschichte von dem Bauern in Bhutan. Das UN-Entwicklungsprogramm ermöglichte ihm mit neuem Saatgut doppelte Erträge. Als die UN-Leute im nächsten Jahr zurückkamen, war der Bauer verschwunden. Zum Meditieren im Kloster. Er hatte ja schon für zwei Jahre geerntet. Über Wohlstand sollten wir sehr bald eine breite gesellschaftliche Diskussion vorantreiben.

SZ: Sehen Sie schon ein Umdenken in der Wirtschaft?

Töpfer: Viele Firmen wissen längst, dass nicht Finanz- und Humankapital das Wachstum begrenzen, sondern das Naturkapital. Nehmen Sie das Beispiel Siemens. Ein ganzer Konzern richtet sich darauf aus, Produkte für den Umbau der Weltwirtschaft anzubieten.

SZ: Wie wird der grüne Umbau Deutschland verändern?

Töpfer: Etwa bei der Mobilität. Wir müssen uns fragen, wie wir die durch vielfältige Strukturentscheidungen erzwungene Mobilität reduzieren können. Wie können Wohnen und Arbeiten näher zusammengebracht werden? Nur ein Beispiel: Wir müssen mit neuen Ideen öffentliche Verkehrssysteme anbieten. Ebenso werden angesichts der zunehmenden Verstädterung und des Bevölkerungsrückgangs in Deutschland neue Lösungen für die immer dünner besiedelten ländlichen Gebiete gebraucht. Kraftwerke, Kläranlagen, Kanalisation: Das sind unglaublich kapital- und energieintensive Strukturen. Die werden wir uns so vielerorts nicht mehr leisten können.

SZ: Haben unsere zentralen Versorgungsstrukturen - wie Großkraftwerke und landesweite Netze - überhaupt noch eine Zukunft?

Töpfer: Mit zentralen Leitungsnetzen werden wir auf dem Land, wo immer weniger Menschen wohnen, nicht mehr weiterkommen. Wenn wir die Kosten auf die einzelnen Bürger umlegen, zeigt sich: Das ist nicht mehr tragbar. Wir müssen dezentralere Strukturen aufbauen.

SZ: Auf internationaler Ebene stocken die Klimaverhandlungen. In zwei Monaten trifft sich die Welt in Cancun zum nächsten Klimagipfel. Sehen Sie die Chance für eine rasche Einigung?

Töpfer: Nein, soweit es sich um die Einigung auf ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen mit anspruchsvollen Zielen und Zeitplänen handelt. Zunächst muss wieder Vertrauen unter den Staaten in der Frage des Kampfes gegen den Klimawandel erreicht werden. In der Atmosphäre des Misstrauens käme es - wenn überhaupt - nur zu einem schwachen Abkommen, das den Problemen der Welt in keiner Weise gerecht würde. Jedes völkerrechtlich verbindliche Abkommen müsste zum Beispiel den US-Senat passieren, was - wenn überhaupt - nur bei einem sehr kleinen Nenner denkbar wäre. Aber wir dürfen nicht locker lassen. Zur Ratifizierung von Kyoto wurden acht Jahre gebraucht. Klimaverhandlungen sind nun mal ein Geduldsspiel.

Der Nachhaltige: Klaus Töpfer war von 1987 bis 1994 Bundesumweltminister - und damit erst der zweite Minister in diesem neu geschaffenen Amt. Töpfer brachte in Deutschland die Einführung des Recyclings und der Kreislaufwirtschaft in Gang. Von 1998 bis 2006 leitete er als Exekutiv-Direktor in Nairobi/Kenia das Uno-Umweltprogramm. Es gelang ihm, das finanzschwache Programm zu einer bedeutenden Institution der Vereinten Nationen auszubauen. Seither lehrt Töpfer, einer der weltweit profiliertesten Umweltexperten, in Shanghai. Seit diesem Jahr ist er zudem Botschafter des Wüstenstrom-Projekts Desertec, dessen Gesellschaft vor genau einem Jahr an den Start ging. Seit Herbst 2009 leitet er zudem mit dem IASS ein neues Institut zur Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2010/bbr/mel
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