Es ist nicht der erste Skandal der den Biomarkt erschüttert, aber einer, der mehr Aufsehen erregt als andere zuvor. Der Etikettenschwindel mit Biogeflügel, der im Januar publik wurde, rüttelt an den Grundfesten der Branche. Unter Verdacht steht mit Berthold Franzsander einer der Pioniere und Vorzeigeunternehmer im Ökogeschäft. Zu seinen Abnehmern gehörte auch eine Münchner Hendl-Braterei, die noch im vergangenen Herbst zum Oktoberfest einige tausend Hühnchen orderte. Festbesucher mussten für ein halbes vermeintliches Biohendl stolze 14,80 Euro bezahlen.
Umso größer war die Empörung, als die Behörden feststellten, dass etwas nicht stimmte auf dem Geflügelhof im ostwestfälischen Delbrück. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz wies einen "nicht zulässigen Einsatz konventioneller Futtermittel" nach, die in der Bioproduktion nicht zulässig sind. Ungesund ist das zwar nicht, aber Verbrauchertäuschung und ein klarer Verstoß gegen das Ökolandbaugesetz. Das Landesamt bezeichnete den Fall als den "bisher größten Bioschwindel Nordrhein-Westfalens".
Verbraucher getäuscht
Der Schock in der Branche sitzt tief. Dieser Fall habe eine ganz andere Qualität als etwa der Betrug mit pestizidverseuchten Biomöhren aus Italien, der 2008 aufgedeckt wurde, stellt ein Branchenkenner fest. "Produzenten und Handel müssen sich nun überlegen, wie sie ihre Kontrollsysteme verbessern können", fordert er. Das gelte auch für Lieferanten aus dem Ausland. Vor allem Produzenten aus China, Osteuropa oder Afrika stehen im Verdacht, dass sie es mit den strengen Auflagen der Bioproduktion nicht immer ganz so ernst nehmen.
Die Angst, dass so manchem Verbraucher angesichts von Betrügereien der Appetit auf Bioprodukte gründlich vergehen könnte, wächst. Denn die Branche lebt wie kaum eine andere von ihrer Glaubwürdigkeit. Zwar wuchs der deutsche Biomarkt, der weltweit mit einem Umsatz von 5,8 Milliarden Euro einer der größten ist, 2008 mit einem Plus von zehn Prozent nicht mehr so stark wie in den Vorjahren. Doch der Aufwärtstrend scheint ungebrochen, ganz im Gegensatz zum konventionellen Lebensmittelhandel, wo Umsätze und Gewinne seit Jahren stagnieren oder sogar zurückgehen.
Es ist der eigene Erfolg, der den Bioproduzenten und dem -handel zunehmend zu schaffen macht. Selbst Discounter wie Aldi und Lidl mischen seit einigen Jahren mit wachsendem Erfolg in diesem lukrativen Geschäft mit. Eine Entwicklung, die auch ihre Schattenseiten hat: "Die Branche, die Handelsbeziehung und Warenströme sind unübersichtlicher geworden", sagt Alexander Gerber, Geschäftsführer des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).
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Damit steigt auch der Kontrollaufwand, denn das Prüfsystem in der Bioproduktion ist strenger als in der konventionellen Lebensmittelerzeugung. So sind Pestizide, künstliche Düngemittel oder der Einsatz von Gentechnik nicht erlaubt.
Beim BÖLW geht man davon aus, dass der Geflügelskandal in Nordrhein-Westfalen ein Einzelfall ist, der den Aufschwung der Branche nicht bremsen wird. Auch die Wirtschaftskrise zeige bislang keine Auswirkungen, so Gerber. Er schätzt das Umsatzwachstum der Branche künftig auf zehn bis 18 Prozent jährlich. Nicht alle in der Branche sehen das so optimistisch.
Boomjahre erst einmal vorbei
Kai Kreuzer, Geschäftsführer des Online-Fachmagazins Bio-Markt.info, schätzt das Wachstumspotential höchstens auf fünf bis zehn Prozent pro Jahr. "Die Boomjahre mit Zuwächsen über zehn Prozent sind erst einmal vorbei", prognostiziert er. Aber auch er ist überzeugt, "dass Käufer von Bio-Produkten ihre Einstellung nicht wegen der Krise über Bord werfen werden".
Von einer Kaufzurückhaltung sei derzeit nichts zu spüren, bestätigt auch die Firmensprecherin der größten deutschen Biohandelskette Alnatura, die 45 Filialen betreibt. Das vor 25 Jahren gegründete Unternehmen wächst stetig und steigerte im vergangenen Jahr seinen Umsatz um 24 Prozent auf 304 Millionen Euro.
Firmengründer und Inhaber Götz Rehn gilt als einer der Wegbereiter der modernen Biosupermärkte, ebenso wie Thomas Greim, Geschäftsführer und Besitzer des Ökogroßhändlers Dennree im fränkischen Töpen. Ihm gehört die Ökokette Denn's Biomarkt, die zweitgrößte in Deutschland mit knapp 30 Filialen.
Familiäre Strukturen
Im Gegensatz zu vielen Auslandsmärkten ist der deutsche Biohandel Kreuzer zufolge nach wie vor stark von familiären Strukturen geprägt. "Viele der Biosupermärkte sind noch in Händen der Gründer", ergänzt er. Im Ausland, etwa in Frankreich, Holland, Großbritannien oder den USA, sei die Branche dagegen bereits stark kommerzialisiert, unter Beteiligung großer Lebensmittelkonzerne. Auch hierzulande strecken immer wieder Großinvestoren ihre Fühler aus, allerdings mit wenig Erfolg.
Die Beteiligung der Schwarz-Gruppe, zu der auch der Discounter Lidl gehört, endete für die Münchner Biokette Basic beinahe in einem Desaster. Die Kundschaft revoltierte und der Absatz brach dramatisch ein, schließlich zog sich der Lidl-Eigner wieder zurück. "Auch Vierlinden mit Rewe im Hintergrund kann kaum Boden gewinnen", sagt Kreuzer. "Das Biogeschäft lebt vom Vertrauen der Kunden in ihren Händler. Einem Betreiber wie Lidl oder Rewe nehmen die Verbraucher nicht so leicht ab, dass er wirklich hinter den Ökoprodukten steht, die er verkauft."