Öffentlicher Nahverkehr:Länder wehren sich gegen Zwangsprivatisierung von Busnetzen

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Öffentlicher Nahverkehr wie diese Buslinie im München könnte zwangsprivatisiert werden. (Foto: Florian Peljak)
  • Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein wollen gegen die Zwangsprivatisierung von Busnetzen vorgehen.
  • Damit wollen sie öffentliche Verkehrsbetriebe besser schützen und mögliches Lohndumping verhindern.
  • Der Streit um die Busnetze entzündete sich am Fall Pforzheim. Die Bahntochter DB Regio übernimmt dort in diesen Tagen das Stadtbusnetz.

Von Markus Balser, Berlin

Mehrere Bundesländer wollen gegen die umstrittene Zwangsprivatisierung des Nahverkehrs vorgehen. Nachdem die Deutsche Bahn in einem Präzedenzfall erstmals die Übernahme eines gesamten Stadtbusnetzes gegen den Willen einer Stadt durchgesetzt hat, planen Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein nach Informationen der Süddeutschen Zeitung über den Bundesrat eine Gesetzesänderung. Sie soll öffentliche Verkehrsbetriebe künftig besser schützen, möglichem Lohndumping einen Riegel vorschieben und Qualitäts- und Sozialstandards setzen. Bereits an diesem Freitag soll sich der Bundesrat den Angaben zufolge mit dem Thema befassen.

Der Streit entzündete sich am Fall Pforzheim, den Bürgermeister bundesweit als mögliche Blaupause einer kommunalen Privatisierungswelle sehen. Die Bahntochter DB Regio übernimmt hier in diesen Tagen das Stadtbusnetz. Der kommunale Verkehrsbetrieb Stadtverkehr Pforzheim, seit 1911 mindestens teilweise in städtischer Hand, wird abgewickelt. Mehr als 200 Mitarbeiter - Busfahrer, Bürokräfte, Servicepersonal - verlieren ihre Jobs.

Die Strategie der Bahn: Sie wartete nicht die turnusmäßige Ausschreibung ab, sondern nutzte eine Sonderregelung im Personenbeförderungsgesetz, die bei der Novelle 2013 in Kraft trat, bisher aber kaum Beachtung fand. Demnach können private Firmen vor Beginn der Ausschreibung die Übernahme von Netzen beantragen, wenn sie diese ohne öffentliche Zuschüsse betreiben. Diese Regelung nutzte in Pforzheim erstmals in Deutschland ein Unternehmen. Aus Sicht des Städtetags ist das erst der Anfang. Es habe bereits mehrere ähnliche Versuche privater Anbieter gegeben.

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Eine kaum bekannte Gesetzesänderung erleichtert es privaten Unternehmen, kommunale Nahverkehrsbetriebe zu übernehmen - mit gravierenden Folgen.

Von Markus Balser

Der Antrag der Länder würde Zwangsprivatisierungen künftig deutlich erschweren. Er sieht vor, dass Städte künftig auch für zuschussfreie Angebote "verkehrliche, soziale und umweltbezogene Anforderungen" definieren können. Es gehe dabei auch darum, "Wettbewerbsverzerrungen und Lohndumping zu verhindern". Für private Unternehmen ist der Betrieb vor allem dann interessant, wenn Mitarbeiter zu niedrigeren Löhnen beschäftigen können. Schreiben die Städte künftig etwa eine Mindestbezahlung vor, könnte die Direktvergabe praktisch unmöglich werden. In deutschen Städten sind die Angriffe privater Anbieter wie der Bahn oder von Busunternehmen derzeit Tagesgespräch. Sie haben ein regelrechtes Beben ausgelöst. Denn beim Betrieb des Nahverkehrs geht es aus ihrer Sicht um Daseinsvorsorge und um Wirtschaftspolitik - die Grundaufgaben einer Stadt.

Alarmiert auf die erste Liquidierung eines Nahverkehrsbetriebs in Pforzheim reagieren auch Arbeitnehmervertreter. Betriebs- und Personalratsvorsitzende von 193 privaten und öffentlichen ÖPNV-Unternehmen warnen in einem Brandbrief an Bundestagsabgeordnete vor den Folgen des Vorrangs für eigenwirtschaftliche Verkehre, also für den Betrieb ohne Zuschüsse. Er habe sich "zu einer bundesweiten Bedrohung kommunaler wie privater Verkehrsunternehmen entwickelt", heißt es in dem Papier, das der SZ vorliegt. "Als Arbeitnehmervertreter betrachten wir diese Entwicklung mit großer Sorge um die 130 000 Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs in Städten und Landkreisen." Das Personenbeförderungsgesetz dürfe nicht dazu genutzt werden, Arbeitnehmerschutzrechte zu umgehen.

SPD und Union sind in der Frage zerstritten

Die Betriebsräte wünschen sich gar "die Streichung des Vorrangs eigenwirtschaftlicher Verkehre". So weit wollen die Bundesländer zwar nicht gehen. Doch ihr Vorschlag dürfte viele Übernahmeversuche ausbremsen. Ob der Vorstoß der Länder Erfolg hat, hängt auch davon ab, ob sich die große Koalition noch auf eine gemeinsame Linie einigen kann. SPD und Union sind in der Frage zerstritten. "Wir hätten gern im Bundestag gemeinsam mit der Union für die nötige soziale und finanzielle Sicherheit für die Beschäftigten gesorgt", sagt SPD-Vize-Fraktionschef Sören Bartol. "Leider konnten wir unseren Koalitionspartner bisher nicht davon überzeugen", schreibt Bartol in einer Antwort an die Betriebsräte. "Jetzt setzen wir auf die Bundesländer und die Kommunalpolitik, eine möglichst breite Unterstützung für diese Initiative zu organisieren". Auch Unions-Bürgermeister zählen zu den Befürwortern einer Gesetzesänderung.

Dass private Anbieter die Leistungen ohne Zuschüsse aus kommunalen Kassen anbieten, wäre eigentlich eine gute Nachricht für die Städte - angesichts defizitärer Verkehrsbetriebe. Doch beim Deutschen Städtetag kann man nicht an ein Erfolgsmodell glauben. Dies sei ein Einfallstor für Unternehmen, die behaupten, ohne Zuschüsse klarzukommen, sagt Städtetags-Hauptgeschäftsführer Hartmut Dedy. "In der Praxis erwarten auch sie öffentliche Zuschüsse, etwa für die Beförderung von Schülern und für Tickets im Verkehrsverbund."

© SZ vom 13.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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