Süddeutsche Zeitung

Öffentliche Verwaltung:Der digitale Staat

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Anträge für Kindergeld, Wohngeld oder den Personalausweis: In drei Jahren soll es Verwaltungsleistungen online geben.

Von Christiane Kaiser-Neubauer

Bereits 2022 sollen hierzulande alle Verwaltungsleistungen digital angeboten und fortan über Plattformen bundesweit verknüpft werden. Dazu haben sich Bund und Länder im Onlinezugangsgesetz verpflichtet. "Das Ziel ist sehr ambitioniert. Wir haben jetzt Halbzeit, und es gibt noch kaum eine Dienstleistung, die über das Pilotstadium hinaus entwickelt ist", sagt Mathias Oberndörfer, Bereichsvorstand Öffentlicher Sektor beim Beratungsunternehmen KPMG, der bei der Verwaltungstransformation tätig ist.

Bereits die Ausgangslage des Mammutprojekts digitaler Staat war schwierig. Um die bundesweite E-Verwaltung mit lückenloser elektronischer Kommunikation ins Rollen zu bringen, musste zunächst das Grundgesetz um Regelungen für Informationstechnik ergänzt werden. Heute, zwei Jahre später, mahnen Experten, das Umsetzungstempo zu erhöhen. "Aufgrund der großen Breite der Verwaltungsdienstleistungen sollte man sich zunächst auf solche Projekte konzentrieren, die eine breite Bevölkerungsschicht betreffen", sagt Oberndörfer. Beispielsweise sei die digitale Beantragung von Kindergeld doch relevanter als die eines Angelscheins.

Als eine der ersten Services soll die Umsetzung des digitalen Wohngeldantrags an den Start gehen. "Den größten Nutzen müssen jene Bevölkerungsgruppen ziehen, die hilfsbedürftig sind und etwa Sozialleistungen oder im Bildungsbereich Unterstützung brauchen. Ihnen müssen künftig bessere und einfach zu bedienende Services angeboten werden", sagt Peter Parycek, Leiter des Kompetenzzentrums Öffentliche IT des Fraunhofer-Institut FOKUS und Mitglied im Digitalrat der Bundesregierung. Insgesamt werden 575 zu digitalisierende Services nach Themenfeldern wie Familie & Kind und Arbeit & Soziales von Bundesressorts und Ländern bearbeitet und auf die Implementierung vorbereitet. "Man arbeitet in den Innovationslaboren nicht daran, Papierformulare in die digitale Welt zu bringen, sondern tatsächlich daran, an jeden Service ganz anwenderzentriert heranzugehen und zukunftsweisende Leistungen zu entwickeln", sagt Peter Parycek.

Bürger müssen ihre Daten nur einmal an eine staatliche Stelle geben

Als eine der größten Herausforderungen für digitale Verwaltungsprozesse erweist sich die Harmonisierung und Modernisierung der Datenregister sowie ein behördenübergreifendes Datenmanagement. Bislang werden die bestehenden Register dezentral und heterogen geführt, im laufenden Koordinierungsprojekt zur Transformation ist Bayern federführend. Zentrales Element von E-Government ist die Einführung des sogenannten "Once-Only-Prinzips", wonach Bürger ihre Daten nur einmal an eine staatliche Stelle geben müssen. Dem stehen allerdings bislang hierzulande auch gesetzliche Regelungen der Schriftformerfordernis entgegen. Demnach hängt die Rechtssicherheit von Verträgen an einer händischen Unterschrift oder ist für den Antrag persönliches Erscheinen auf der Behörde notwendig.

"Es gibt mehr als 2000 gesetzliche Bestimmungen, die ein direktes, voll automatisiertes Onlineverfahren verhindern. Eine antragslose Leistung mit vollautomatischer Prüfung und dem Vollzug durch die Auszahlung auf das jeweilige Bankkonto ist beim Kindergeld oder Familiengeld derzeit noch nicht möglich", sagt Parycek.

Im europäischen Ausland sind heute Online-Vertragsabschlüsse mit digitaler Signatur längst üblich. Vorreiter hierzulande ist Thüringen, wo Bürger noch vor Jahreswechsel Dokumente digital und rechtskräftig unterschreiben werden können. Dazu kooperiert das Land mit dem privaten Authentifizierungsanbieter Verimi. Über die Serviceplattform verwaltung.thueringen.de können sich Bürger des Freistaats bereits mit einem Account anmelden und Verwaltungsleistungen wahrnehmen. "Die Lebensrealität der Menschen ist das Smartphone, über das sie ihren Alltag organisieren. Darauf müssen die digitalen Inhalte zugeschnitten werden", sagt Parycek.

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SZ vom 28.10.2019
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