OECD und G 20:Weg mit den Scheinfirmen

OECD und G 20: Ein Briefkasten, viele Namen: Unternehmen nutzen alle Möglichkeiten, um das Finanzamt zu umgehen. Damit soll jetzt Schluss sein.

Ein Briefkasten, viele Namen: Unternehmen nutzen alle Möglichkeiten, um das Finanzamt zu umgehen. Damit soll jetzt Schluss sein.

(Foto: Mario Fourmy/laif)

Die Regierungen dieser Welt gehen gemeinsam gegen Steuervermeider vor. Konzerne sollen künftig dort zahlen, wo Wertschöpfung stattfindet - und nicht mehr dort, wo es am billigsten ist.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

In dieser Woche wollen sie jubeln: Am Montag die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris, am Donnerstag die Finanzminister der G-20-Staaten in Lima. Es gibt tatsächlich einen Anlass dafür. So gut wie alle Regierungen dieser Welt haben nach zähen Verhandlungen zugestimmt, Steuerschlupflöcher für grenzüberschreitend tätige Unternehmen zu schließen.

Konzerne sollen künftig Steuern dort zahlen, wo Wertschöpfung stattfindet - und nicht mehr dort, wo die Steuersätze am geringsten sind. Für US-Konzerne wie Starbucks, Google oder Amazon und alle anderen Unternehmen soll es unmöglich werden, Gewinne in Niedrigsteuergebiete zu verschieben. Im Jahr 2017 sollen weltweit alle Briefkästen abgeschraubt sein, jedenfalls sofern sich dahinter eine Scheinfirma verbirgt. Steuern fallen dort an, wo Produkte erzeugt, Betriebsstätten errichtet oder Forschungslabore betrieben werden. Konkret heißt das: Ein Auslieferungslager von Amazon in Deutschland muss auch in Deutschland Steuern zahlen.

Die Vorzugsbesteuerung bei Patentboxen soll schrittweise geändert werden

Anlass für die neuen Regeln waren Absprachen zwischen nationalen Steuerbehörden und Unternehmen zur aggressiven Steuervermeidung, die Gewinnverlagerung ins Ausland sowie der Abfluss von Ergebnissen aus Forschung und Entwicklung über sogenannte Patentboxen, mit Patente ins Ausland verlagert werden.

Der OECD-Bericht umfasst 15 große Maßnahmen. Sie reichen von allgemeinen Grundsätzen zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft über die Neudefinition von Betriebsstätten, Berichtspflichten und Schiedsgerichte bis hin zu Offenlegungsregeln. Nicht alle Staaten müssen alle Maßnahmen in nationales Recht umsetzen, nur vier sind verbindlich. Unternehmen werden verpflichtet, ein zweiseitiges Formblatt auszufüllen und den nationalen Steuerbehörden zu übergeben, auf dem sie alle Töchter, deren Umsatz, Gewinn und Beschäftigte sowie weitere allgemeine Daten angeben. Die Finanzverwaltungen müssen die Informationen vertraulich behandeln.

Die Vorzugsbesteuerung von Patentlizenzen über Patentboxen wird geändert. Bisher gewähren zahlreiche Regierungen für Gewinne aus Patenten und Lizenzen einen steuerlichen Rabatt. Über Tochtergesellschaften bringen Unternehmen so ihre Gewinne aus einem Hochsteuerland über künstlich erhöhte Lizenzgebühren in Staaten, in denen Finanzbehörden rabattieren.

Ursprünglich wollte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble diese Patentboxen abschaffen lassen, er konnte sich aber nicht durchsetzen. Erreicht hat er aber ein Zugeständnis: Künftig gibt es diese Steuerrabatte auf Patente und Lizenzgebühren nur dort, wo "substanzielle Aktivitäten", also Forschung und Entwicklung, stattfinden. Ab 30. Juni 2016 dürfen keine neuen Unternehmen mehr in bereits bestehende Patentboxen übernommen werden, 2021 sollen die bisherigen Patentboxen auslaufen und nur noch nach neuen OECD-Standards betrieben werden.

Alle Staaten sollen zudem die Verwaltungszusammenarbeit in Verständigungs- und Schiedsgerichten verbessern. Die 20 Staaten, auf deren Konto 90 Prozent der offenen Streitfälle gehen, haben sich zu engerer Zusammenarbeit verpflichtet, darunter die USA, Großbritannien, Deutschland und die Schweiz.

Die Besteuerung der digitalen Wirtschaft wird über die Neudefinition des Begriffes Betriebsstätte angeschoben. Künftig sollen auch große Auslieferungslager von Online-Händlern zur Wertschöpfung zählen und vor Ort besteuert werden.

Ganz ohne Risiko ist der OECD-Maßnahmenkatalog allerdings nicht. Künftig gehen nicht mehr Regierungen gegen Unternehmen vor, die aggressiv Steuern vermeiden, sondern Staaten gegen Staaten. Das kann leicht zu diplomatischen Verstimmungen führen.

Finanzexperten der OECD schätzen, dass sich die weltweiten Steuermindereinnahmen auf vier bis zehn Prozent des Körperschaftsaufkommens belaufen. Dadurch sind also 100 bis 240 Milliarden US-Dollar jährlich weniger in der globalen Steuerkasse gewesen. Da dieses Geld jetzt zu verteilen ist, erwarten Experten einen neuen, globalen Steuer- und Standortwettbewerb. Der könnte sich deutlich daran manifestieren kann, dass eben mehr Länder als bisher Patentboxen einführen. Damit kann das Aus für Briefkastenfirmen, das Nichtbesteuerung verhindern soll, dazu führen, dass am Ende die Steuersätze für Konzerne sinken werden.

Die Bundesregierung gehe davon aus, dass der Standort Deutschland durch die Maßnahmen gestärkt werde, weil künftig Steuerabfluss über aggressive Steuerplanungen verhindert werde. Der Mittelstand werde gestärkt, Deutschland könne steuerlich profitieren. Traditionell werden hier industrielle Waren gefertigt und die Unternehmen hier besteuert. Da künftig auch große Auslieferungslager, die schnell und in großer Zahl Waren versenden, wegen der Neudefinition des Begriffs "Betriebsstätte" als wertschöpfend angesehen werden, rechnet Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit zusätzlichen Einnahmen. Diese Zusatzeinnahmen könnten anderswo verloren gehen. Schäuble lässt sich ausdrücklich die Entscheidung offen, 2016 in Deutschland eine Patentbox einzurichten.

Das könnte nötig werden, falls Forschungsabteilungen von Großkonzernen wie BASF oder Bayer wegen der neuen Patentbox-Regeln aus Deutschland abzuwandern drohten. Schäuble könnte das mit Steuergutschriften verhindern - was bisher nicht der Fall ist. "Die Entscheidung ist noch nicht gefallen", hieß es im Bundesfinanzministerium. Man warte 2016 ab.

Am kommenden Donnerstag werden die G-20-Finanzminister die OECD-Maßnahmen auf ihrem Treffen in Lima formal beschließen, bevor Mitte November die G-20-Staats- und Regierungschefs ihr Okay geben sollen. Dann beginnen mehrjährige Umsetzungsfristen.

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