OECD-Gesundheitsbericht:Pillen teuer, Essen fett

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Calamares mit Mayo auf dem Oktoberfest. Die Fettleibigkeit in Deutschland hat stark zugenommen. (Foto: Johannes Simon/Getty Images)

Das deutsche Gesundheitssystem ist gut, aber teuer. Die Lebenserwartung steigt. Doch die Deutschen gefährden den Erfolg. Denn sie werden in rasantem Tempo immer dicker. Ein Risikofaktor für Krankheiten.

Von Guido Bohsem, Berlin

Das deutsche Gesundheitssystem ist teuer, aber gut. Nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kostete 2013 die medizinische Versorgung eines jeden Bürgers etwa 4819 US-Dollar (4407 Euro). Nur sechs der 34 Länder, die von der Organisation in ihrem nun veröffentlichten Bericht "Gesundheit auf einen Blick 2015" untersucht wurden, gaben noch mehr aus. An einsamer Spitze stehen dabei die USA mit 8713 Dollar pro Einwohner. Doch auch in der Schweiz, Norwegen und Schweden kostete die Gesundheit mehr als in der Bundesrepublik. Der Kosten-Durchschnitt der OECD Länder liegt bei 3453 Dollar.

Insgesamt gibt Deutschland etwa elf Prozent seines Bruttoinlandproduktes für Gesundheit aus. Die Ausgaben stiegen zuletzt deutlich stärker als in anderen europäischen Ländern, was auch mit den Auswirkungen der Finanzkrise zu tun hat, von der die deutsche Wirtschaft weniger stark als andere betroffen war.

Zwei Faktoren machen das deutsche System nach dem OECD-Bericht besonders teuer. Die große Menge der konsumierten Medikamente und die hohe Zahl der Krankenhausbetten. Zwar sei die Zahl der Betten in den vergangenen Jahren gesunken, jedoch liege die Bundesrepublik mit 8,3 Betten auf 1000 Einwohner immer noch in der Spitzengruppe der OECD-Länder. Lediglich Russland, Korea und Japan halten mehr Betten für ihre Kranken vor.

Zum anderen sind die Ausgaben für Arzneimittel in Deutschland höher als in den meisten OECD-Ländern. Die Pro-Kopf-Ausgaben lagen kaufkraftbereinigt bei 678 US-Dollar (621 Euro) und damit 30 Prozent über dem OECD-Schnitt. Mehr Geld für Pillen und Medikamente geben pro Kopf nur die Griechen, die Kanadier, die Japaner und die US-Amerikaner aus.

Kein OECD-Land konsumiert so viele Arzneien zum Blutdrucksenken wie Deutschland

Der jüngste Kostenanstieg bei den Medikamenten kann zum Teil durch die Einführung der sehr teuren Mittel gegen Hepatitis C erklärt werden. In anderen Bereichen werden in Deutschland einfach viel mehr Pillen verschrieben als anderswo, etwa zur Senkung des Blutdrucks. Hier ist der Konsum höher als in allen anderen OECD-Ländern und etwa dreimal so hoch wie der im Nachbarland Österreich.

Auch werden in Deutschland sehr viel häufiger Medikamente gegen Diabetes verschrieben als im OECD-Schnitt üblich. Zwischen 2000 und 2013 hat sich der Verbrauch fast verdoppelt. Deutschland liegt damit in der OECD-Statistik auf Platz zwei hinter Finnland.

Die Zunahme von Diabetes hängt auch mit der Alterung der Gesellschaft und der verstärkten Verbreitung von Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas) zusammen. Darüber hinaus wird die steigende Zahl der Dicken nach Einschätzung der OECD auch die Lebenserwartung in Deutschland beeinträchtigen. Anlass zur Sorge gebe vor allem die Geschwindigkeit, mit der die Zahl der übergewichtigen Deutschen in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Waren im Jahr 2000 etwa 20 Prozent der Bundesbürger über 15 Jahren fettleibig, lag die Zahl 2013 schon bei 24 Prozent und damit deutlich über dem Durchschnitt der 28 untersuchten OECD-Staaten (18 Prozent). Zwar ist der Anteil der dicken Menschen in anderen Ländern wie in den USA (35 Prozent) und in Mexiko (32 Prozent) weiterhin deutlich höher. Doch landet die Bundesrepublik in der Fettleibigkeit-Statistik der OECD immerhin an neunter Stelle.

"Der Anstieg der Adipositas gefährdet die erreichten Ziele bei der Lebenserwartung", sagte der stellvertretende OECD-Generalsekretär Stefan Kapferer bei der Vorstellung des Reports in Berlin. Diese sei in den vergangenen 40 Jahren deutlich gestiegen und liege nunmehr mit 80,9 Jahren über dem OECD-Durchschnitt (80,5 Jahre). Deutlich länger leben die Japaner (83,4 Jahre) und die Spanier (83,2 Jahre). Die US-Amerikaner sterben trotz der hohen Gesundheitsausgaben im Durchschnitt schon mit 78,8 Jahren.

Zu verdanken sei der kontinuierliche Anstieg der Lebenserwartung vor allem dem starken Rückgang der Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die in der Bundesrepublik in den vergangenen zehn Jahren nochmals deutlich gesunken seien und zwar deutlich stärker als die Zahl der Todesfälle insgesamt. Und genau diese Erfolge könnten durch die steigende Zahl der Fettleibigkeit beeinträchtigt werden, weil zu hohes Gewicht einen Risikofaktor für Herzinfarkte und Schlaganfälle darstellt.

Ähnliche und weitere gesundheitliche Probleme entstehen durch den im OECD-Vergleich hohen Alkohol- und Tabakkonsum in Deutschland. Nach Kapferers Worten müsse deshalb ein vernünftiges Konzept der Vorsorge entwickelt werden. Doch gebe es für diesen Bereich kein Patentrezept, sagte der ehemalige Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium. In Frage komme wohl nur eine Mischung aus Anreizen und Aufklärung.

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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