OECD gegen Steuertricks:Steuern zahlen, wo Gewinn gemacht wird

OECD gegen Steuertricks: Büro von Google in Dublin: Die OECD kämpft gegen Steuertricks

Büro von Google in Dublin: Die OECD kämpft gegen Steuertricks

(Foto: Bloomberg)

Eine Billion Euro entgeht der Europäischen Union jedes Jahr durch Steuervermeider. Denn viele Unternehmen verschieben ihre Gewinne in Staaten, in denen die Steuersätze besonders niedrig sind. Die Industrieländer-Organisation OECD hält nun dagegen - bis die Firmen den nächsten Dreh entdeckt haben

Von Silke Bigalke

Wie viel Geld Deutschland durch legale Steuertricks von Konzernen verliert, weiß niemand so ganz genau. Aber es gibt Hinweise. Vier Zahlen, vier Annäherungen:

  • 90 Milliarden Euro: So hoch ist der Gewinn, den Unternehmen in Deutschland jährlich nicht versteuern, hat das Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) errechnet.
  • Eine Billion Euro: So viel verliert die EU jedes Jahr durch Steuervermeider und -hinterzieher, schätzt die Europäische Kommission. Auf Deutschland bezogen wären das dem nordrhein-westfälischen Finanzministerium zufolge mehr als 160 Milliarden Euro Verlust jährlich.
  • 8,7 Milliarden Dollar: So viel Geld hat der Versandhändler Amazon 2012 in Deutschland umgesetzt - mehr als auf jedem anderen Markt außerhalb der USA. Er zahlte dafür nur 3,2 Millionen Euro Steuern, denn der Hauptteil seines Geschäftes läuft steuergünstig über Luxemburg.
  • Null Euro: So viel Körperschaftsteuern hat die Kaffeehauskette Starbucks in den vergangenen drei Jahren in Deutschland gezahlt. Man habe in den 161 Filialen einfach "kein zu versteuerndes Einkommen erwirtschaftet", heißt es. Dabei hat Starbucks nach Schätzungen 2011 in Deutschland 117 Millionen Euro umgesetzt. Erträge verschiebt die Kette in die Niederlande, wo weniger Steuern anfallen. Ein verbreiteter Trick: Der IT-Konzern Apple nutzt dafür das Niedrigsteuerland Irland, wo er etwa zwei Prozent Steuern zahlt - in Deutschland würden mehr als 20 Prozent fällig. Google soll seine Gewinne über Irland auf die Bermudas verschieben. Der Konzern habe 2011 insgesamt zwei Milliarden Euro Steuern gespart, meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg.
Recherche

"Wie gerecht ist das deutsche Steuersystem?" Diese Frage hat unsere Leser in der ersten Abstimmungsrunde unseres neuen Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Text ist einer von am Ende mehr als zwei dutzend Beiträgen, die die Fragen beantworten sollen. Alles zum Thema Steuergerechtigkeit finden Sie hier, alles zu Die Recherche finden Sie hier.

Wie viel Geld Deutschland, Großbritannien, den USA und anderen Ländern mit höheren Steuersätzen dadurch entgeht, ist offen. Wahrscheinlich kennt auch niemand alle Lücken in den vielen Steuergesetzen und Abkommen zwischen Staaten, durch die die Konzerne ihr Kapital möglichst abgabenfrei schleusen. Darüber, wie man sie schließen kann, diskutieren die Staaten seit Jahren. Jetzt gibt es einen Lösungsvorschlag der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD). Der Auftrag dafür kam von den größten Industrie- und Schwellenländern (G20). "Meilenstein", nannte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble den Aktionsplan. Am Freitag hat er ihn gemeinsam mit den Finanzministern der G20 in Moskau diskutiert.

Was der Aktionsplan bewirken kann, bleibt abzuwarten. Die OECD führt darin 15 Schritte gegen "Base Erosion and Profit Shifting" (BEPS), also gegen legale Steuergestaltung und Gewinnverlagerung, auf. Doch es sind bisher eher Problembeschreibungen und Denkanstöße als klar formulierte Maßnahmen. Hauptziel: Die Unternehmen sollen dort Steuern zahlen, wo sie tatsächlich tätig sind und Werte schöpfen. Konzerne sollen ihre Gewinne nicht mehr so leicht über Ländergrenzen hinweg verschieben können. Dafür möchte die OECD internationale Standards festlegen.

Unternehmen wehren sich gegen strengere Regelungen

"Wir gehen davon aus, dass es einen großen Konsens zwischen den Staaten gibt", sagt Achim Pross, Leiter der Abteilung für internationale Zusammenarbeit am Zentrum für Steuerpolitik der OECD. "Diesen erkennt man auch daran, dass der Aktionsplan innerhalb von nur sechs Monaten fertig wurde." Andere sind nicht so optimistisch: Nach Moskau "fährt jeder mit seinem nationalen Köfferchen", sagt der Bundestagsabgeordnete Thomas Gambke, Steuerexperte der Grünen. "Unser Finanzminister und alle anderen sprechen mit zwei Zungen. Sie sagen, dass sie BEPS sehr unterstützen würden. Aber wenn es ans Eingemachte geht, hat jeder seine Industrie im Nacken." Einerseits ärgern sich die Staaten, wenn Amazon und Apple keine Steuern bei ihnen lassen. Andererseits wollen sie auch nicht, dass ihre Unternehmen im Ausland zur Kasse gebeten werden.

Zum Beispiel England: Die britische Regierung inszeniert sich als Vorreiter im Kampf gegen Steuervermeidung. Und schafft fast zeitgleich ein neues Steuersparmodell, eine "Patent Box". Mit ihr zahlen Firmen, die ein Patent in Großbritannien anmelden, nur zehn Prozent Steuern auf das Geschäft mit dem patentierten Produkt- weniger als in der Steueroase Irland. Britische Unternehmen müssen wohl keine großen Reformen im Zuge von BEPS fürchten. Trotzdem hat der Unternehmerverband CBI vorsorglich angemahnt, Großbritannien müsse seine Wettbewerbsfähigkeit in Sachen Steuern erhalten.

Auch im Exportland Deutschland will die Industrie mitreden. Viele Unternehmen haben Niederlassungen im Ausland, um ihre Produkte zu vertreiben. Sie vermeiden es, diese als produzierende und damit steuerpflichtige Betriebsstätte zu definieren - und möchten das gerne so beibehalten. "Es ist nicht so einfach zu bestimmen, wo Wertschöpfung stattfindet", sagt Roland Franke, der beim BDI zuständig für internationale Besteuerung zuständig ist. "Wenn ein deutsches Unternehmen beispielsweise Auftragsforschung nach Indien vergibt und das damit verbundene Risiko trägt, unter welchen Voraussetzungen sollen dann auch Steuerzahlungen nach Indien abfließen?"

Der Aktionsplan lässt an vielen Stellen offen, wie die Vorschläge umgesetzt werden könnten. Einen Königsweg gebe es nicht, man müsse in kleinen Schritten vorangehen, sagt der DIW-Steuerexperte Stefan Bach. Er bemängelt vor allem, dass die Ministerien kaum Informationen über aggressive Steuervermeidung hätten. "Deswegen wissen wir oft gar nicht, welche Bedeutung diese Lücken im Steuerrecht haben", sagt er. So lasse sich auch die Wirkung von Reformen nicht abschätzen.

Die OECD gibt den Staaten zwölf bis 18 Monate Zeit, um erste konkrete Maßnahmen auszuarbeiten. Kritiker fürchten, dass sich am Ende nichts ändert. Der Interessenverband Tax Justice Network nennt den Plan ein "Flickwerk". Das Problem sei, dass die OECD nur koordinieren, aber nichts bindend vorgeben könne. Nun werde sich jeder Staat "greifen, was er kann", um selbst möglichst viel dabei zu profitieren. Ähnlich sieht das der Europaparlamentarier Sven Giegold. "Das ist kein Aktionsplan, sondern ein Forschungsprogramm", sagt er. "Die OECD beschäftigt sich seit 1996 mit dem Thema. Warum macht sie keine konkreten Vorschläge? Sie hatte doch genug Zeit."

Die Bundesregierung dagegen ist ganz zufrieden. In einem internen Papier, das die deutschen Interessen in Bezug auf BEPS beschreibt, heißt es, Deutschland unterstütze alle 15 Maßnahmen. Gleichwohl wolle man die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Steuersystems erhalten.

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