Der Filmemacher und Autor Kalle Lasn, 70, ist Mitgründer des Anti-Konsum-Magazins Adbusters, das in Vancouver, Kanada, verlegt wird. Lasn initiierte gemeinsam mit anderen die Besetzung des Zuccotti-Parks in Manhattan am 17. September 2011, aus der die Bewegung "Occupy Wall Street" entstand. Im SZ-Interview wehrt er sich gegen den Einfluss der traditionellen Linken auf "Occupy" und spricht sich für die Gründung einer dritten Partei in den USA aus.
"Der Schwung vom vergangenen Jahr ist nicht mehr da:" Trotzdem glaubt der Occupy-Gründer, dass die Menschen Veränderung wollen.
(Foto: REUTERS)SZ: Herr Lasn, was ist eigentlich aus Occupy Wall Street geworden? Die Bewegung startete am 17. September mit einem riesigen Echo auf der ganzen Welt. Jetzt hört man nichts mehr.
Kalle Lasn: Es stimmt schon. Als uns New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg aus dem Zuccotti-Park vertrieb, beraubte er uns auch eines wunderbaren taktischen Modells. Jetzt ist die Bewegung ein wenig erlahmt, wir sind nicht mehr so sichtbar wie zuvor. Vielleicht ist auch die Zeit der großen Besetzungen vorbei. Aber das bedeutet nicht, dass es die Bewegung nicht mehr gibt.
Kann man denn überhaupt noch von einer Bewegung sprechen? Ist "Occupy Wall Street" nicht einfach eine Marketing-Idee?
Natürlich ist es eine Bewegung. Wenn überall auf der Welt junge Leute ihre Zukunft in die Hand nehmen, weil sie wissen, dass sie sonst keine haben, was ist das anderes als eine Bewegung? Die Menschen haben es im Gefühl, dass sich etwas ändern muss. Schauen Sie sich die "Indignados" in Spanien an, gehen Sie nach Griechenland oder sogar nach Harvard in den USA - überall begehren die Menschen auf gegen den Kapitalismus.
Aber es lässt sich nicht bestreiten, dass der Schwung vom vergangenen Jahr nicht mehr da ist.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass es Aufs und Abs in einer Protestbewegung gibt. Vielleicht braucht der Kapitalismus erst seinen 1929-Moment. (Am 24. Oktober 1929 brach in New York die Börse ein, was als Start der Weltwirtschaftskrise gilt, die Redaktion.)
Aber der 1929-Moment war doch da - es war der 15. September 2008, als die Investmentbank Lehman Brothers zusammenbrach.
Der Einbruch war noch nicht schlimm genug, wir wurden nicht ausreichend erschreckt. Daher herrscht überall business as usual. Aber der richtige 1929-Moment wird kommen, vielleicht schon binnen Wochen, vielleicht in ein paar Monaten, vielleicht in einem Jahr.
Zumindest in New York sieht es so aus, als habe die etablierte amerikanische Linke "Occupy" eben einfach übernommen.
Wenn Sie nur New York anschauen, stimmt das. Da haben sich einfach die alten, vertikalen Organisationen der moribunden Linken "Occupy" einverleibt - die Move-Ons (eine progressive Organisation in den USA) und Ben & Jerry's dieser Welt . . .
. . . Was bitte hat die Eiscreme-Marke mit dem allen zu tun?
Ben & Jerry's, der Eiscreme-Hersteller, ist ein Unternehmen, das traditionell viele progressive Projekte fördert. Ben & Jerry's und die anderen alten Organisationen haben Geld investiert und Websites unterstützt. In Philadelphia gab es gerade eine nationale "Occupy"-Versammlung, die ganz im Stil der alten Linken organisiert war, mit Reden, Massenversammlungen, Komitees.
Wenn die Zeit der großen Aktionen und Besetzungen für Sie vorbei ist, was planen Sie dann?
Wir müssen Main Street besetzen . . .
. . . Main Street steht als Synonym für das durchschnittliche Amerika. Heißt das, Sie wollen alles besetzen?
Es wird viele kleine Aktionen geben, manchmal nur mit einer Handvoll Leuten, in Einkaufszentren und überall. Die zehn größten Banken der Welt betreiben schätzungsweise 25.000 Filialen rund um den Globus. Wir können uns vor den Filialen versammeln und den Zugang für Kunden erschweren. Wir zerschneiden unsere Kreditkarten.
Und was machen Sie ohne Kreditkarte?
Na, eine sollte man vielleicht schon behalten.