Obamas Wirtschaftspolitik:Drama der großen Gesellschaft

Die populistische Rhetorik des US-Präsidentschaftskandidaten Obama gegen den Freihandel ist beunruhigend für die Europäer.

Nikolaus Piper

Präsident Lyndon B. Johnson ist außerhalb der Vereinigten Staaten vor allem als der Mann bekannt und berüchtigt, der Amerika in das Desaster des Vietnam-Krieges geführt hat. Vergessen wird dabei meist, dass Johnson im Inneren ein linkes Projekt verfolgte: die sogenannte "Große Gesellschaft", den Ausbau des amerikanischen Sozialstaats.

Obamas Wirtschaftspolitik: In Handelsfragen ein schwieriger Partner für die Europäer: US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama.

In Handelsfragen ein schwieriger Partner für die Europäer: US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama.

(Foto: Foto: Reuters)

Der Schatten über dem Projekt Change

Das ist mehr als 40 Jahre her und heute auch den meisten Amerikanern nicht mehr bewusst. Barack Obama, der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, spannte bei seiner Nominierungsrede in Denver einen weiten Bogen in die Geschichte. Er erinnerte an John F. Kennedy und Martin Luther King, an den Aufbruch der sechziger Jahre und die Bürgerrechtsbewegung.

Lyndon Johnson dagegen erwähnte er nicht. Und doch gemahnte sein Versprechen, den amerikanischen Traum zu erneuern, verblüffend an den Plan von der Großen Gesellschaft, an die Zusage, jedem Amerikaner nicht nur eine Chance zu geben, sondern ihm auch dabei zu helfen, sie zu nutzen.

Nach Johnson wurde Amerika konservativ

Das Drama der Großen Gesellschaft liegt wie ein Schatten über dem Projekt Change von Obama. Johnson konnte die Gesellschaft nicht einen, er wurde von Richard Nixon abgelöst, der das Land erst recht spaltete. Viele seiner Wohlfahrtsprojekte erwiesen sich als unwirksam, teuer und bürokratisch. Amerika wurde konservativ.

Bis heute ist es für Demokraten gefährlich, als "liberal" zu erscheinen, was in Amerika links bedeutet und mit dem Gedanken an hohe Steuern, hohe Staatsausgaben und Gängelung der Bürger verbunden ist. Obama will die Wahlen mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik gewinnen. Die Sprache, mit der er seine Pläne in Denver vorstellte, erinnerte aber weniger an den Demokraten Johnson als an den Republikaner Ronald Reagan. Trotzdem werfen ihm konservative Kommentatoren vor, er sei der linkeste aller Kandidaten seit Jahrzehnten. Das stimmt zwar nicht, aber die Demokraten müssen sich auf den Vorwurf einstellen.

Die Mitte gewinnen

Mit seinem Wirtschaftsprogramm will Obama die Mitte der Gesellschaft für sich gewinnen. In Denver machte er dabei ein paar Versprechen, die er nie wird halten können. George W. Bush trägt zwar die Schuld an vielen schlimmen Dingen, nicht aber daran, dass wegen der Globalisierung Jobs ins Ausland verlagert werden.

Obama wird dies entgegen seinen Ankündigungen auch nicht verhindern können. Im besten Falle wird er die Schaffung neuer Jobs erleichtern. Nicht einzuhalten ist auch das Versprechen, in zehn Jahren Amerika vom Öl aus dem Nahen Osten unabhängig zu machen. Immerhin hat Obama den Mut, seinen Landsleuten zu sagen, dass sie ihre Energieprobleme nur durch Sparen lösen können und nicht mit neuen Öltürmen vor den Küsten.

Eines der wichtigsten Projekte Obamas wird die Gesundheitsreform sein. Sein Plan ist eigentlich moderat - er ähnelt ein wenig den Konzepten, die in Deutschland unter dem Schlagwort Kopfpauschale bekannt wurden. Trotzdem ist die Reform ein Wagnis. Viele Amerikaner fürchten staatliche Regulierung in der Tradition Lyndon Johnsons, selbst wenn es die meisten als Skandal empfinden, dass heutzutage ein Arbeitsloser mit seinem Job auch die Krankenversicherung verloren hat. Sollte Obama aber Erfolg haben, wäre der Gewinn für das Land gewaltig: Seine Bürger könnten den ökonomischen Wandel leichter ertragen, und die Gesundheitskosten, die höchsten in der Welt, würden sinken.

Geringverdiener begünstigen

Obamas Steuerpolitik ist egalitärer, als sie auf den ersten Blick erscheint. Er lässt nicht nur - zu Recht - Bushs Steuersenkungen für die Reichen auslaufen, er will auch einen sogenannten Tax Credit für kleine und mittlere Einkommen einführen, er will Unternehmensgründer entlasten und die Ölkonzerne stärker besteuern. Das wird die Steuerprogression spürbar erhöhen, was in Amerika noch vertretbar ist - der Spitzensatz der Einkommensteuer liegt bei 35 Prozent.

Allerdings gibt es dabei einen Risikofaktor, und das ist die Finanzierung des amerikanischen Sozialstaats. Mittelfristig droht der Rentenversicherung (Social Security) und der von Lyndon Johnson gegründeten staatlichen Krankenversicherung für Arme und Pensionäre (Medicaid und Medicare) der Kollaps. Deren Sanierung ist eine Generationsaufgabe. Obama will zumindest einen Einstieg wagen und die Beiträge für Besserverdienende erhöhen. Auf deutsche Verhältnisse übertragen bedeutet das: Er will die Beitragsbemessungsgrenze heraufsetzen. Fällt der Sprung zu groß aus, wären Teile der Mittelschicht betroffen und sein Steuerprogramm bekäme einen völlig anderen Charakter.

Populistische Rhetorik gegen den Freihandel

Beunruhigend ist Obamas populistische Rhetorik gegen den Freihandel. Viele Ökonomen trösten sich damit, dass dies nur Rhetorik sei und der Kandidat als Präsident ähnlich pragmatisch verfahren werde wie Bill Clinton. Aber das ist nur eine Hoffnung. Obama wird im Falle seiner Wahl eine ungleich schwierigere Wirtschaftslage vorfinden als der letzte demokratische Präsident. Die Wirkungen von George W. Bushs Konjunkturprogramm laufen aus, die Finanzkrise ist noch lange nicht gelöst, und es ist gut möglich, dass die USA doch noch in eine Rezession rutschen. Das liefert genügend Stoff für Protektionisten. Die Europäer sollten sich darauf einstellen, einen in Handelsfragen schwierigen Partner im Weißen Haus zu bekommen - so wie Lyndon Johnson einer war.

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