Paul Volcker ist es gewohnt herabzublicken. Der 81-Jährige mit den schlohweißen Haaren und der altmodischen Brille ist genau zwei Meter und einen Zentimeter groß und beugt sich daher habituell herunter, wenn er mit anderen spricht. Es ist ein grauer Januarmorgen, und im Konferenzsaal an der dritten Avenue in Manhattan erzählt Volcker ein paar Finanzjournalisten, welche Lehren er aus der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise zieht. "Es gibt in einem Finanzsystem zentrale, systemrelevante Institutionen, und die müssen streng reguliert werden," sagt er mit eindrucksvoller Bass-Stimme.
Paul Volcker, Präsident der Notenbank Federal Reserve von 1979 bis 1987, ist eine Institution, eine Ikone der amerikanischen Geld- und Finanzpolitik. Trotzdem ist die Präsenz bei der Pressekonferenz an diesem Morgen eher dürftig. Das mag damit zusammenhängen, dass Volcker nur für eine außerhalb von Fachkreisen kaum bekannte Institution sprach: die "Gruppe der 30", ein akademischer Zirkel aktiver und pensionierter Notenbanker und Ökonomen, der in regelmäßigen Abständen Studien zu Fragen des Weltfinanzsystems vorlegt.
Blaupause für die Reform
Erst mit ein paar Tagen Verzögerung realisierten die Medien in New York, dass Volckers "Rahmenplan" für eine Finanzreform alles andere als akademisch ist, sondern eine Blaupause für den neuen Präsidenten im Weißen Haus. Barack Obama wird Volckers Plan vermutlich als Vorlage dienen, wenn in diesem Frühjahr internationale Verhandlungen zu diesem Thema beginnen. Grundidee: Jedes Finanzinstitut, das die Stabilität des Systems bedrohen kann, muss künftig unter staatliche Regulierung fallen.
Volcker gehört eben nicht nur der "Gruppe der 30" an, er hat, obwohl offiziell schon seit 21 Jahren im Ruhestand, noch einmal eine Regierungsaufgabe übernommen. Präsident Obama ernannte ihn zum Vorsitzenden eines Gremiums namens "Beraterstab des Präsidenten für den Wirtschaftsaufschwung" (President's Economic Recovery Advisory Board). Der Stab setzt sich ausschließlich aus unabhängigen Experten zusammen und wird Vorschläge zur Belebung der Wirtschaft und zur Reform der Finanzmärkte vorlegen. Ein derartiges Beratergremium gab es bisher nur einmal in der amerikanischen Geschichte: Präsident Dwight Eisenhower suchte 1956 mit dessen Hilfe Rat außerhalb der Regierungsbürokratie, um die sowjetische Bedrohung besser zu verstehen.
Schon allein die Tatsache, dass Paul Volcker Präsident Obama berät, zeigt, in welch außerordentlicher Situation sich die Vereinigten Staaten befinden. Schließlich war es Volcker, der jene Epoche einleitete, mit deren Exzessen er jetzt fertig werden muss: die Zeit des außerordentlichen Wachstums der Finanzmärkte, die mehr als eine Generation an der Wall Street prägte. Der Demokrat Paul Volcker hatte sein Amt an der Spitze der Federal Reserve am 6. August 1979 angetreten. Damals lag die Teuerungsrate in den Vereinigten Staaten bei über elf Prozent, die ganzen siebziger Jahre waren von Stagnation und hoher Arbeitslosigkeit geprägt gewesen. Für Volcker stand fest, dass die Probleme nur zu lösen waren, wenn es gelang, die Inflation zu brechen. Daher verknappte die Fed unter seiner Regie die Geldmenge konsequent und ließ den Leitzins, die Federal Funds Rate, so lange steigen, bis er im Juni 1981 beispiellose 19,10 Prozent erreicht hatte. Heute sind es null bis 0,25 Prozent.
Rosskur mit Erfolg
Das Ergebnis war eine schwere Rezession, die bis dahin schlimmste seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber die Rosskur hatte Erfolg: 1983 war die Inflationsrate auf 3,21 Prozent gesunken. Volcker schuf so die Voraussetzung für die marktwirtschaftlichen Reformen von Präsident Ronald Reagan, für die Erneuerung der amerikanischen Wirtschaft, aber auch für außerordentliche Börsengewinne und für die wilden Zeiten an der Wall Street.
Am 11. August 1987 übergab Volcker das Amt an seinen Nachfolger Alan Greenspan. Er widmete sich seinem Hobby, dem Fliegenfischen, und trat in eine kleine Finanzfirma ein, die von James Wolfensohn geleitet wurde, dem späteren Weltbankpräsidenten. Er beriet die Familie Rockefeller, befasste sich mit der Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF) und war Mitglied der "Trilateralen Kommission", einem Gremium, das sich der Verbesserung der Beziehungen zwischen Nordamerika, Europa und Japan befasst. 2004 beauftragten ihn die Vereinten Nationen, Korruption im Zusammenhang mit dem "Öl-für-Lebensmittel-Programm" der UN für den Irak zu untersuchen.
Nach Ausbruch der Finanzkrise begann sich Volcker wieder politisch zu engagieren. Im vergangenen April nutzte er eine Rede vor dem angesehenen Economic Club of New York, um die bisherige Politik der Federal Reserve in der Krise als unzureichend zu kritisieren. Im Herbst machte er Wahlkampf für Barack Obama und beriet ihn, wie es hieß, fast täglich über Fragen der Wirtschaftskrise. Wenn es Obama tatsächlich gelingen sollte, eine neue Ära in der Wirtschaftspolitik zu beginnen, dann wird Volcker dazu mindestens so viel beigetragen haben wie seinerzeit zur Ära Reagan.