Süddeutsche Zeitung

NRW vor der Wahl:Monheim zieht plötzlich Geld an

Durch eine Senkung der Gewerbesteuer wurde Monheim auf einen Schlag seine Schulden los. Jetzt ist viel Geld da - und viel Ärger.

Von Vivien Timmler, Monheim am Rhein

Die Fahrt zum Kinderspielplatz gleicht einem Slalomparcours. Ständig muss Anne Hahn Baustellen ausweichen, sechs Mal einer Umleitung folgen. Dabei beträgt der Weg von ihrem Haus aus gerade einmal 3,6 Kilometer. Ein neuer Skatepark, ein zweiter Rheinanleger, zwei Kreisverkehre, vier zusätzliche Kitas, eine neue Feuerwache: Andere würden sich ärgern über all die Baustellen, den Staub, den Lärm.

Anne Hahn aber ist begeistert. Die junge Mutter ist mit ihrer Familie erst vor ein paar Monaten aus Düsseldorf nach Monheim gezogen, 15 Kilometer den Rhein hinauf. Aus finanziellen Gründen - und weil sie an das glaubt, was auf Außenstehende wie ein kleines Wunder wirkt.

Monheim, eine 43 000-Einwohner-Gemeinde am Rhein, genau zwischen Düsseldorf und Köln, hat es innerhalb von sechs Jahren geschafft, aus einem Schuldenstand von 125 Millionen Euro einen Überschuss von knapp 78 Millionen Euro zu machen.

Das ist so viel, dass die Stadt fast nicht mehr weiß, wohin mit all dem Geld. Also schaffte sie die Kita-Gebühren ab, sanierte Schulen und Spielplätze und verlegt gerade in der ganzen Stadt ein neues Glasfasernetz. Bis 2018 soll es zudem in der ganzen Stadt kostenloses WLAN geben.

Der Bürgermeister senkte paradoxerweise die Gewerbesteuer

Bis vor wenigen Jahren sah das noch ganz anders aus. Die Stadt war von ihren Schulden gelähmt, überall gab es Sanierungsstau, wie in so vielen Kommunen in NRW. Um ihre Einnahmen zu vermehren und die Vorgaben des Landes zu erfüllen, drehen die meisten Kommunen normalerweise vor allem an einer Schraube: Sie erhöhen die Gewerbesteuer. Nirgendwo in Deutschland ist die durchschnittliche Steuerbelastung so hoch wie in NRW, der Hebesatz liegt bei 442 Punkten. Das ist ein klarer Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Regionen.

Der neu gewählte Bürgermeister Monheims entschied sich für den entgegengesetzten Weg: Er senkte den Gewerbesteuer-Hebesatz drastisch, erst von 435 auf 300 Punkte, dann auf 285, auf 265 und schließlich auf 260 Punkte.

Das scheint paradox, weil ein geringerer Steuersatz eigentlich weniger Einnahmen bedeuten müsste. Gleichzeitig aber zieht er Firmen an, die von geringeren Steuern profitieren wollen. In Monheim hat genau das funktioniert.

Der Name des Mannes, dem die Stadt ihren Geldsegen zu verdanken hat, ist Daniel Zimmermann. Als Schüler gründete er die Partei "Peto", was auf Latein "Ich fordere" bedeutet. Mit 27 Jahren wurde er zum Bürgermeister gewählt, so jung wie kein anderes Stadtoberhaupt in NRW vor ihm.

Plötzlich ist Monheim ein Steuerparadies und verärgert seine Nachbarn

Im Jahr 2014 dann die Wiederwahl: 94,6 Prozent Zustimmung. Von der Lokalpresse wird er gefeiert, von seinen eigenen Bürgern heroisiert. Die Bürgermeister umliegender Kommunen aber sind seit Jahren verärgert über seine Steuerpolitik.

Denn durch die Absenkung der Gewerbesteuer wurde Monheim über Nacht zum Steuerparadies. Wer sich hier ansiedelte, konnte anderen Standorten gegenüber plötzlich viel Geld sparen. 300 Unternehmen sind seit 2011 gekommen, vor allem aus der Pharma- und Chemiebranche, sie haben 2500 Arbeitsplätze mitgebracht - und bescherten der Stadt im vergangenen Jahr Einnahmen in Höhe von 277,3 Millionen Euro allein aus der Gewerbesteuer.

Der Bayer-Konzern aus dem benachbarten Leverkusen beispielsweise leistet sich mit seiner Pflanzenschutz-Abteilung gleich ein ganzes Forschungszentrum: 65 Hektar mit Büros, Instituten, Gewächshäusern, einem Bestäubergarten und einem Bienenhaus. Auch seine Patentabteilung hat Bayer als eigene Firma von Leverkusen nach Monheim verlagert.

Und Monsanto soll nach der offiziellen Übernahme ebenfalls dort angesiedelt sein. "Es ist natürlich ein legitimes Mittel, sowohl von Seiten der Stadt, als auch des Konzerns", sagt Leverkusens Oberbürgermeister Uwe Richrath, "aber für uns ist Monheims Steuerpolitik ein riesiges Problem." Seine Stadt habe zwar viel Industrie, aber im Vergleich eine "katastrophale Gewerbesteuerlage", sagt er.

Finanziell noch schlechter geht es der Stadt Oberhausen. Keine Stadt in dem großen Bundesland ist so hoch verschuldet, kein Ort so dringend auf die Steuereinnahmen großer Konzerne angewiesen. Mit einem Gewerbesteuerhebesatz von 550 Punkten müssen Firmen dort jedoch mehr als doppelt so viel zahlen wie in Monheim.

Erst Anfang des Jahres zog aus genau diesem Grund ein weiterer großer Chemiekonzern nach Monheim: Oxea. Für Oberhausen besonders schmerzhaft. "Wir haben seitdem eklatante Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer", sagt Oberbürgermeister Daniel Schranz.

Auch kleine Firmen sparen Steuern, jedoch stiller und unauffälliger

"Aus Monheimer Sicht war die Senkung ein erfolgreicher Weg. Wir dürfen aber nicht die Gefahr unterschätzen, wenn Kommunen in einen ruinösen Wettbewerb um die geringsten Steuersätze eintreten, bei dem es am Ende zahlreiche Verlierer geben kann."

Daniel Zimmermann kann mit dieser Kritik wenig anfangen. Wichtig sei es ihm, die Lebensqualität der Monheimer zu heben. Ohnehin stehe die Stadt nicht nur im Wettbewerb mit umliegenden Gemeinden, sondern auch mit Nachbarstaaten wie den Niederlanden. Hinzu komme, dass keine andere Kommune so viel zum umstrittenen Kommunal-Soli beisteuere wie Monheim, sagt Kämmerin Sabine Noll, nämlich 33,3 Millionen Euro. "Von Unsolidarität kann also wirklich keine Rede sein", sagt sie.

Mit der Absenkung der Gewerbesteuer kamen allerdings auch weniger bekannte Firmen nach Monheim, nur stiller, unauffälliger. Sie haben ihren Sitz nicht im offiziellen Gewerbegebiet, wo man alle zehn Minuten den Containerschiffen beim Vorbeituckern zusehen kann, sondern zum Beispiel in einem unauffälligen Zweckbau in einem noch unauffälligeren Wohngebiet.

Die Namen von 34 Unternehmen stehen auf dem Briefkasten vor einem Zweckbau

Acht Autos stehen vor dem Haus mit der Nummer 29, eingestaubt, die Kennzeichen abmontiert. Das Gebäude selbst ist ein schmuckloser Zweckbau, zwei grüne Plastik-Ampelmännchen im Fenster, daneben ein winziger Fikus, der zu vertrocknen droht. Das Kalenderblatt an der Wand zeigt noch das Jahr 2016.

Wer klingelt, dem wird an diesem Montagmorgen nicht die Tür geöffnet, dabei ist es die Anschrift von gleich 34 Unternehmen. Ihre Namen stehen auf dem schneeweißen Briefkasten vor dem Haus. Doch das ist auch schon der einzige Hinweis darauf, dass hier tatsächlich jemand arbeitet.

Angelockt wurden die Firmen von einem Dienstleister, der sich "Monheim 285" nennt. Auf seiner Website lädt er Unternehmen dazu ein, ihren Firmensitz nach Monheim zu verlegen - für 149 Euro im Monat. Dafür gibt es dann eine "ladungsfähige Geschäftsadresse", wer 399 Euro zu zahlen bereit ist, bekommt sogar einen Arbeitsplatz im Haus mit der Nummer 29 - was nicht allzu viele in Anspruch zu nehmen scheinen.

Im Gegensatz zur Generalkritik an seiner Steuerpolitik kann Daniel Zimmermann die Aufregung um diese "hochgradig unseriöse" Firma verstehen, wie er sagt. Schon Ende vergangenen Jahres gab er an, die Firma den Steuerbehörden melden zu wollen.

Derzeit scheint das Geschäft mit der Niederstraße 29 aber noch gut zu funktionieren. Die meisten der Firmen machten 2016 Umsätze im fünfstelligen Bereich, einige wenige sogar mehr als eine Million. Das geht aus dem Bundesanzeiger hervor. Auch diese Firmen zahlen etwa 25 Prozent ihrer Gewinne an die Stadt Monheim - die eben auch mit solchen Gästen rechnen muss, wenn sie groß einlädt.

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Quelle:
SZ vom 28.04.2017/oko
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