Notruf-Zentrale "Mondial Assistance":Antibiotika in Antalya

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Viren, Bakterien, Unfälle - Urlaubszeit ist Notruf-Zeit: Eine Telefonzentrale kümmert sich im Auftrag von Krankenversicherern um besorgte Patienten im Ausland.

Von Sibylle Haas

(SZ vom 09.08.2003) — Wenn bei Robert Möginger das Telefon läutet, bedeutet das selten Gutes. Der Mann telefoniert den ganzen Tag - meist mit Urlaubern, die im Ferienland krank geworden sind, oder mit deren Angehörigen.

Der 39-Jährige ist Teamleiter für den Bereich Medizin bei Mondial Assistance in München. Das Unternehmen, hinter dem die Allianz-Gruppe steht, arbeitet im Auftrag von Versicherungen und Betriebskrankenkassen. Möginger hilft den im Ausland Gestrandeten.

Er hat die Kontrolle über die medizinische Versorgung am Urlaubsort, organisiert Rücktransporte der Patienten - manchmal sogar den Einbau eines kompletten Krankenbettes im Linienflugzeug -, bucht Flüge und Hotels für aus Deutschland anreisende Ärzte. Manchmal hört er auch einfach nur zu, macht Mut, wenn jemand am anderen Ende der Leitung nervlich fertig ist.

Möginger leitet eine Gruppe von 23 so genannten Assistance-Koordinatoren. Sie arbeiten in einer Notruf-Zentrale im Drei-Schicht-Betrieb rund um die Uhr.

In der Notruf-Zentrale geht es an diesem Tag alles andere als hektisch zu. Selbst in der Hitze sitzt das Team konzentriert am Schreibtisch. Jeder trägt einen Kopfhörer mit geschwungenem Mikrophon, das erleichtert das Telefonieren. Die Schreibtische stehen sich gegenüber, so lassen sich alle Fragen und Probleme leichter besprechen.

"Puedo ayudarle?", fragt die Frau den Anrufer am anderen Ende auf Spanisch: "Kann ich helfen?" Mögingers Team spricht 20 Sprachen: "Damit kommt man in der Welt durch."

Mehr als normales Call-Center

Die Mitarbeiter von Mondial Assistance können mehr als "normale" Call-Center-Beschäftigte, die nur Bestellungen, Reklamationen oder Buchungen entgegen nehmen. "Meine Leute brauchen Kenntnisse in der Touristik, in Sprachen, in der Medizin und vor allem einen gesunden Menschenverstand", sagt Möginger, der selbst Betriebswirtschaft und Tourismus studiert hat.

"Widerstandsfähigkeit gegen Stress" ist eine Eigenschaft, die gerade jetzt in der Urlaubszeit zählt. Denn das Telefon kann bis zu 500-mal am Tag läuten.

Nicht immer sind die Telefongespräche so problemlos wie das mit der Mutter aus der Türkei. Deren Kleinkind hat einen Magen-Darm-Katarrh und Blut im Stuhl. Deshalb möchte die Frau, dass die Zweijährige weiterhin im Krankenhaus bleibt. Sie ist ein bisschen beunruhigt, weil das Kind drei verschiedene Antibiotika und Infusionen bekommt.

Möginger verbindet die Frau mit einem Kinderarzt im Zimmer nebenan. Er erklärt der besorgten Mutter, dass türkische Privatkliniken schnell dabei sind, Antibiotika per Spritze in die Vene zu verabreichen. "Wenn das Kind wieder isst und trinkt, und wenn es wieder herumläuft, dann nehmen Sie es aus dem Krankenhaus", empfiehlt der Mediziner.

Dienstlich auf die Malediven

Er ist einer von 18 Ärzten, die für Mondial Assistance tätig sind. Einer von ihnen muss vielleicht bald auf die Malediven reisen. Auf Mögingers Schreibtisch ist gerade die Akte eines 38 Jahre alten Mannes gelandet, der auf den Malediven eine Hirnblutung erlitten hat.

Die Computer-Tomographie, die Möginger per E-Mail vom dortigen Krankenhaus erhalten hat, zeigt eine großflächige Einblutung im Kopf. Möginger runzelt die Stirn: "Das bedeutet nichts Gutes."

Die nächste Anruferin ist fürchterlich aufgeregt: "Ich brauche sofort Ihre Hilfe." Die Schwiegermutter der Frau ist auf einer Busreise durch Tschechien beim Aussteigen aus dem Bus gefallen. Sie hat sich das Hüftgelenk gebrochen, ist operiert worden und liegt nun auf der Intensivstation. "Wie ist das jetzt mit dem Rücktransport und mit der Bezahlung?", will die Frau wissen.

Ruhig fragt Möginger nach dem Hausarzt der Schwiegermutter, nach Medikamenten, die sie regelmäßig nehmen muss, nach der Krankenkasse und dem Tarif der Reiseversicherung. Die Frau kann die Fragen beantworten. "Klappt das jetzt mit dem Rücktransport?", fragt sie ungeduldig.

Möginger bleibt freundlich: "Unsere Ärzte müssen das erst prüfen." Falls nötig, wird Mondial Assistance einen Arzt aus seiner Prager Niederlassung einschalten, der die Schwiegermutter in der Klinik aufsucht. Die Mondial Assistance Group ist mit 37 Gesellschaften in 28 Ländern auf fünf Kontinenten vertreten.

Neben dem medizinischen Service bietet sie beispielsweise auch Pannenhilfen an. Sie verfügt über ein Netz von 7000 Mitarbeitern, allein 450 arbeiten in den deutschen Niederlassungen in München und Wiesbaden. Gerhard M. Mueller, 50, Mögingers Chef und Leiter des Bereichs Medizin, schimpft. Die Klinik in Tschechien sei dafür bekannt, teuer zu sein.

"Abzocke" in Privatklinik

"Abzocke" sagt Mueller, selbst Mediziner, zu Privatkliniken, "die mit der Angst der Menschen spielen". In der Türkei beispielsweise würden auffallend viele Blinddarm-Operationen vorgenommen. Die Symptome einer Blinddarm-Entzündung und eines Durchfalls seien sehr ähnlich, erklärt der Mediziner.

Es gebe aber auch einen regelrechten Krankenhaus-Tourismus, der die Schadenquote steigen lässt. "Da zwickt auf einmal im Urlaub der Gallenstein. Und es ist doch schöner, nach der Operation in der Privatklinik im Einbett-Zimmer mit Meerblick zu liegen, als zu Hause", sagt Mueller. Auf Mallorca machten sich inzwischen sogar Hoteliers breit, die an Privatkliniken beteiligt sind.

Kassenpatienten, die für ihre Auslandsreise eine spezielle Krankenversicherung abgeschlossen haben, werden in ausländischen Kliniken wie Privatpatienten behandelt. Die Versicherungen werben damit. Ein Komplett-Paket kostet etwa 45 Euro. Nicht selten setzen die Versicherungen aber auch auf die Angst der Menschen, indem sie ihnen sagen, was so alles passieren könnte.

"Ein Ambulanzflug von Teneriffa nach Deutschland kostet 25.000 Euro, eine Blinddarm-Operation in den USA 25.000 Dollar, die Behandlung einer Durchfallerkrankung in der Türkei 1500 Euro." Mueller hat sämtliche Preise im Kopf.

Bei Mögingers Team gibt es jedoch nicht nur schlechte Nachrichten. Einer seiner liebsten "Patienten" ist erst wenige Wochen alt: Julian Aristoteles drängte es im Urlaub auf der griechischen Insel Kos zwei Monate zu früh auf die Welt.

Der Winzling wurde der besseren Versorgung wegen nach Athen geflogen, ein Monat später war er für die Heimreise bereit. Julian Aristoteles kam gesund in Würzburg an. Sein Name ist eine Hommage an sein Geburtsland.

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