Notenbanken senken Kosten für Banken:Ihr Herren, lasst es Geld regnen

Von der Europäischen Zentralbank bis zur amerikanischen Fed - die wichtigsten Notenbanken stemmen sich gemeinsam gegen den Absturz. Sie fluten die Märkte mit Geld. Der Grund: Europas Banken kamen kaum noch an Dollars. Die Börsen danken es ihnen. Die Welt kämpft gegen den Absturz.

Helga Einecke, Moritz Koch und Markus Zydra

Es war einer jener Tage, an denen Börsianer wieder an das Gute der Märkte glaubten. Zunächst, kurz nach Mittag Mitteleuropäischer Zeit, jagte die Meldung über die Computer, dass die chinesische Zentralbank etwas für die Wirtschaft und gegen die Lähmung tue: Die Banken des Landes mussten auf einmal viel weniger Geld als bisher bei den Notenbanken parken - und können damit mehr Kredite vergeben.

Um 14.07 Uhr dann der nächste Hammer aus dem Reich des Geldes. Per Eilmeldung erfuhr die Welt, dass sich gleich sechs Notenbanken zusammengetan hatten, um in einer Konzertierten Aktion die Finanzmärkte zu beeindrucken. Die Europäische Zentralbank (EZB), die US-Notenbank Federal Reserve, die Bank of Canada, die Bank of England, die Bank of Japan und die Schweizer Notenbank fluteten dabei die Märkte mit Geld. Sie verständigten sich darauf, mehr Dollar in die Euro-Zone fließen zu lassen, und die Kosten für die Banken dabei deutlich zu senken.

Das war ein klares Zeichen gegen die Euro-Krise, gegen die Bedrohung der globalen Finanzmärkte und damit der gesamten Weltwirtschaft und gegen die Gefahr einer großen Rezession. Die wichtigsten Notenbanken des Globus wurden am selben Tag aktiv, um Schlimmeres zu verhindern. Die Lage ist inzwischen so ernst, dass sie sich weltweit zum Eingreifen gezwungen fühlten. Die Mission: mit aller Kraft gegen den Absturz.

Es war eine Not-Aktion. Aber sie war wohl so, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel in solchen Situationen zu sagen pflegt, sie war "alternativlos".

Die Zahlungsströme zwischen den USA und Europa sind seit der Euro-Krise zunehmend versiegt. Das bereitete den Profis in jüngster Zeit immer mehr Sorgen. Die amerikanischen Investoren hatten beschlossen, kein Geld mehr in europäische Anlagen stecken. Sie ziehen es vielmehr ab.

In den vergangenen Wochen gab es keine Dollar mehr für die europäischen Banken. "Und wenn, dann nur zu Mondpreisen", sagt der bekannte Fondsmanager Jochen Felsenheimer. Der Geschäftsführer von Assenagon Credit Management hat das Dollar-Desaster in diesen Tagen selbst erlebt. Er wollte bei einer europäischen Großbank eine amerikanische Anleihe in Dollar tauschen.

"Keine Chance", sagt er.

Banken decken ihre Dollarnachfrage über sogenannte Swaps ab. Das sind Tauschgeschäfte, bei denen eine gewisse Euro-Summe in einen Dollar-Betrag umgetauscht wird. Es ist ein Deal zwischen zwei Partnern, meist Banken. Bei diesen Swap-Geschäften fällt eine Gebühr an. Im Juli lag diese Gebühr noch bei zehn Basispunkten, wie die Experten es nennen, das sind 0,1 Prozent. Wer also eine Million Euro in US-Dollar tauschen wollte, bezahlte eine Gebühr von 1000 Euro. Am Dienstag waren auf dem Markt für dasselbe Geschäft 150 Basispunkte fällig, das 15-Fache. 15.000 Euro statt 1000 Euro.

Jede europäische Bank braucht Dollarreserven, sonst sind internationale Geschäfte nicht möglich. Der Dollar ist die wichtigste Währung der Welt. Eine ganze Reihe von Geschäften werden in Dollars abgewickelt, zum Beispiel die mit Rohstoffen. Die Banken könnten ihren Bedarf auch an den Devisenmärkten abdecken - aber das sei zu teuer und zu kompliziert durch das Hin- und Herwechseln, sagt Felsenheimer. Der beste und der direkteste Zugang zu den Dollars führt über die Zentralbanken. Und die Fed in Washington hat diesen Zugang nun erleichtert, durch eine Zinssenkung. Schon am Mittwoch, kurz nach Bekanntgabe der konzertierten Notenbankaktion, sank der Swap-Preis für ein Euro/Dollargeschäft auf 129 Basispunkte. Die Maßnahme wirkt für die Banken.

Es war höchste Zeit.

Koordinierte Aktionen seit 9/11

Die europäischen Banken haben ein neues, großes Problem. Sie müssen der Europäischen Bankenaufsicht bis zum 21. Dezember einen Plan vorlegen, wie sie künftig neun Prozent Eigenkapital vorhalten wollen. Das könnte theoretisch durch frisches Kapital gelingen - doch wer investiert derzeit schon in Bank-Aktien?

Markets React To News Of Central Banks Move To Ease U.S. Dollar Liquidity

Frisches Geld macht Broker glücklich: Börsenhändler an der New Yorker Wall Street.

(Foto: AFP)

Die Bankmanager denken vielmehr an den Abbau von Krediten. Das haben die Banken in den letzten Wochen gemacht - Kredite verkauft, um so bilanzrelevantes Kapital freizuschaufeln. Eine Reihe von Geldinstituten hat sich auf der Suche nach Kapital auch von Geschäftsteilen getrennt, zum Beispiel vom Vorhalten ausländischer Devisen. In der Vergangenheit hatte das Devisengeschäft einen starken Aufschwung genommen, weil es als lukrativer Geschäftszweig galt.

Jürgen Michels, Chefvolkswirt der Citigroup, nennt den Schritt der Zentralbanken "überfällig". Koordinierte Notenbank-Aktionen gibt es seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

Damals stellten die Zentralbanken erstmals gemeinsam Dollars zur Verfügung, damit das internationale Bankensystem nicht kollabiert. Während der Bankenkrise 2008 haben die Notenbanken ihre Aktionen neu belebt und immer mal wieder - je nach Bedarf der Banken - neu justiert.

Die koordinierte Aktion der wichtigsten Notenbanken hat an den internationalen Aktienmärkten zu rapiden Kursgewinnen geführt. In Frankfurt kletterte der Dax um 4,5 Prozent über die Marke von 6000 Punkten. Auch die US-Börsen verzeichneten Kursgewinne.

Der Zusammenhang mit Chinas Politik wurde sofort gesehen. Dort hatte die Notenbank bereits ihre Geldpolitik gelockert, indem sie die Mindestreserve-Quote für die größten Institute reduzierte. Auch das beruhigte die Märkte und trieb vor allem am Rohstoffmarkt die Kurse in die Höhe. Die Initiative der chinesischen Zentralbank kam sehr gut an. Sie senkte die Mindestreserve, eine Einlage, die Geschäftsbanken bei ihr vorhalten müssen, um 0,5 Prozentpunkte. Damit wird Geld frei für Kredite - die Nährstoffe des Wirtschaftswachstums. Der Schritt ist ein starkes Signal. Das letzte Mal, dass China die Reservevorschriften reduzierte, war 2008 auf dem Höhepunkt der Weltfinanzkrise.

Der Spielraum für eine expansivere Geldpolitik hatte sich zuletzt vergrößert. Die Inflationsrate, die im Sommer in China auf 6,5 Prozent gestiegen war, fiel im Oktober auf 5,5 Prozent zurück, und Experten rechnen damit, dass der Preisdruck in den kommenden Monaten weiter nachlässt. Die Rohstoffmärkte reagierten sofort auf den Kurswechsel in Peking. Investoren schöpften Mut, dass die Weltkonjunktur Halt findet und trieben den Kupferpreis nach oben.

Nur China hat noch genug Kraft

Noch hat China die USA nicht als größte Wirtschaftsnation abgelöst. Doch die Rolle der globalen Wachstumslokomotive hat die aufstrebende Macht schon übernommen. Amerika erholt sich nur schleppend von der Großen Rezession. Die Eurozone versinkt im Schuldensumpf.

Allein China hat die Kraft, sich gegen den Abschwung zu stemmen. Das Land hat gewaltige Währungsreserven angehäuft - und damit genug Geld, um Konjunkturprogramme aufzulegen, sollten sich die Wachstumsaussichten weiter eintrüben und die Maßnahmen der Notenbank nicht ausreichen. Vor allem aber verfügt China über eine Eigenschaft, die die westlichen Industrienationen längst verloren haben - Handlungsfähigkeit. Die USA lähmt der politische Glaubenskampf zwischen Demokraten und Republikanern, die Europäer der Dauerstreit um Gemeinschaftsanleihen und Rettungsschirme.

Für China bedeutet die Krise der alten Industriestaaten einen beträchtlichen Machtzuwachs. Die Zeiten, in denen sich Peking von der EU und den USA über die Nachteile des Staatsdirigismus belehren lassen musste, sind vorbei. Auch Rügen über Menschenrechtsverletzungen kann sich der Westen kaum noch leisten. China strotzt vor Macht und schwimmt im Geld. Das Land finanziert das Handelsdefizit der USA und wird von den Europäern bekniet, Italienern, Spaniern und anderen Schuldenmachern unter die Arme zu greifen.

Händler werteten die aktuellen Schritte als positiv. "Das sind alles sehr gute Nachrichten für kurzfristige Anleger", sagt John Thomas, Chef-Analyst bei John Thomas Financial. "Es gibt am Markt unglaublich viel Anspannung. In einer koordinierten Aktion etwas dagegen zu unternehmen, ist eine gute Sache."

Die Schweizer Nationalbank beteiligten sich an der Aktion, mit der das globale Interbankensystem mit zusätzlicher Liquidität versorgt werden soll. "Es zeigt, dass alle Beteiligten den Ernst der Lage erkannt haben", erklärt Helaba-Analyst Ralf Umlauf.

Zusammen mit der Senkung der Mindestreserve-Anforderungen in China ist das sehr hilfreich. Heute ist die Geldpolitik am Zug und zeigt damit, dass die der Weltkonjunktur unter die Arme greift." Die Maßnahme zielt ausschließlich auf eine unbegrenzte Geldzufuhr für die internationale Bankenwelt. Mit der Lösung der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum hat es direkt nichts zu tun.

Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank, sagte: "Diese Zentralbank-Aktion ist der Auftakt für die nächsten Schritte." So werde Italien wohl Hilfe vom Internationalen Währungsfonds (IWF) bekommen und die Euro-Staaten werden sich hoffentlich auf einen Fiskalunion einigen. Es seit gut, "dass alle Zentralbanken an einem Strang ziehen, der Geldzugang für die Weltwirtschaft ist unlimitiert", so Hellmeyer: "Die Notenbanken fluten uns, so wird unterbunden, dass die Realwirtschaft weiter in Geiselhaft der Finanzwirtschaft genommen wird."

Es heißt in diesen Tagen immer wieder, die europäische Schuldenkrise habe sich auf Italien, vielleicht sogar auf Belgien ausgeweitet. Das klingt dramatisch, ist aber ein Untertreibung.

In den USA geht seit Monaten die Angst um, dass strauchelnde europäische Banken die Finanzkonzerne der Wall Street in den Abgrund reißen könnten - ganz so, wie 2008 die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers die europäischen Geldhäuser in Zahlungsschwierigkeiten gebracht hatte.

Über Kreditausfallversicherungen und andere exotische Spekulationsinstrumente, so heißt es an der Wall Street, sei etwa Morgan Stanley eng mit französischen Banken verknüpft, die wiederum viel Geld an den Pleitestaat Griechenland verliehen hätten. Die Unklarheit darüber, wie genau sich die finanziellen Verflechtungen auswirken, nährt die Furcht an den Märkten. Finanzaktien sind zuletzt auch in den USA eingebrochen.

Die Federal Reserve bemüht sich, mit neuen Stresstests Transparenz zu schaffen. Am Mittwoch ging sie noch weiter. Sollten US-Banken Schwierigkeiten haben, sich zu refinanzieren, "verfügt die Federal Reserve über eine ganze Reihe von Maßnahmen, um die Liquiditätsversorgung aufrechtzuerhalten", versicherte die Notenbank.

Im Kampf gegen die Panik auf den Märkten geht die Fed wesentlich entschlossener vor als die EZB - ein Grund dafür, dass Kredite für Washington derzeit so günstig sind wie selten zuvor. Die Amerikaner drängen die Europäer, die Krise aggressiver zu bekämpfen. Sie nutzen dazu jede Gelegenheit, zuletzt am Montag bei einem Gipfeltreffen im Weißen Haus zwischen US-Präsident Barack Obama mit den EU-Politikern Herman Van Rompuy und Manuel José Barroso.

Nun sieht die Lage anders aus - die Welt formiert sich, um der Welt zu helfen.

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