Nostalgie:Zwischen Flieder und Birnbaum

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Die Telekom hat die letzten gelben Telefonzellen abgebaut. Einst waren sie ein privater Rückzugsort im öffentlichen Raum. Bei Sammlern wie Claus Bachmann sind sie aber immer noch zu finden, zum Beispiel im Garten.

Von Jasmin Siebert

Claus Bachmann aus Schwabach bei Nürnberg sammelt Telefonzellen. (Foto: Jasmin Siebert)

Wer noch einmal Münzen in einen Telefonapparat werfen möchte, kann Claus Bachmann in Schwabach bei Nürnberg besuchen. Der 41 Jahre alte Sozialpädagoge sammelt öffentliche Telefone. Im Jahre 2003 kaufte er sich seinen ersten Apparat. Inzwischen hat er um die Hundert Geräte, sie hängen im Keller seiner Eltern an den Wänden und stapeln sich im ehemaligen Kinderzimmer. In seinem Garten stehen gleich drei gelbe Telefonzellen. In der ältesten kann man sogar noch telefonieren - mit Pfennig- und D-Mark-Münzen.

Aus dem Alltag des modernen Menschen verschwinden immer wieder unbemerkt Dinge. Da sie lange nicht gebraucht wurden, fällt es meist nicht gleich auf. Doch mit dem Wissen, dass sie für immer weg sein werden, erwacht die Wehmut. So erging es vielen Menschen, als die Telekom vor Kurzem mitteilte, dass nun die letzte gelbe Telefonzelle abgebaut worden sei. Viele haben zwar schon lange kein öffentliches Telefon mehr genutzt, aber schade ist es doch irgendwie.

Wohl jeder über 30 kennt eine Anekdote, in der eine Telefonzelle vorkommt.Die Leute nutzten die Häuschen zum Abhängen, Trinken, Rauchen, Knutschen oder stellten sich bei Regen unter. Manchmal wurden in ihnen 0800er-Nummern angerufen oder ungeliebten Zeitgenossen Telefonstreiche gespielt. Mitten in der Öffentlichkeit boten sie einen quasi-privaten Rückzugsraum, ein auf einen Meter groß.

Die Kehrseite: Obwohl die Zellen so beliebt waren, wurden oft Scheiben eingeschlagen, Telefonbücher zerrissen, Hörer herausgerissen oder die Münztresore aufgeknackt. Die hohen Kosten für Instandhaltung und Reinigung gibt die Telekom auch als Gründe an, warum sie seit der Jahrtausendwende alle Häuschen abbauen lässt, die pro Monat weniger als 50 Euro Umsatz bringen. An diese Zellen erinnern nur noch Betonfundamente im Boden. Wenn die Kommune darauf besteht, befindet sich dort nun eine robuste silberne Säule - ohne Wetterschutz und Aschenbecher. Das sogenannte Basistelefon funktioniert nur mit Telefon- oder Kreditkarte, oder der Angerufene zahlt.

"Heute gibt es nur noch Pieps." - Claus Bachmann

Bachmann hat einige ausrangierte Apparate im ehemaligen Heizungsraum seiner Eltern aufgehängt. In seinem eigenen Haus nebenan ist kein Platz. Dort stapeln sich gebrauchte Laserdrucker, mit deren Reparatur und Verkauf er seinen Lebensunterhalt verdient. Nur in seiner Küche steht eine moderne Multifunktionssäule der Telekom, darauf liegen Teepackungen. Schaltet Bachmann im Keller den Strom ein, leuchten Anzeigen, nimmt er den Hörer ab, tutet das Freizeichen. "Jeder spinnt irgendwo", sagt Bachmann. Er ist ein Mann mit Humor, der über seine Sammelleidenschaft auch selbst lachen kann.

Dabei steht dahinter ein ehrenhaftes Ansinnen: Er möchte Vergangenes bewahren. Ihn ärgert, dass die Telekom inzwischen alte Apparate und Zellen verschrottet anstatt sie an Sammler zu verkaufen. Zwischen seinen Telefonen steht noch ein anderes Objekt, das klammheimlich aus dem öffentlichen Raum verschwunden ist: eine orange Notrufsäule wie man sie an Landstraßen fand, mit einem Schalter, der einer umgedrehten Trillerpfeife ähnelt.

Sammler Bachmann findet die älteren Telefonapparate am spannendsten. "Da klappern die Relais noch", sagt er. Bei einem Modell von 1963 sieht man, wie die Geldstücke hinter einer Scheibe durchrutschen. Ist die Gesprächszeit vorüber, fallen sie klackernd in den Tresor. Die Erkenntnis, dass die Zeit kostbar und kurz ist, hier wird sie physisch erlebbar.

Mit der Digitalisierung ist die Welt stiller geworden: Kein Klicken mehr von Musikkassetten, kein Rattern beim Spulen, kein Zeitungsrascheln. Alltagshandlungen, die eine sinnliche Dimension hatten, wandeln sich zu rein digitalen Vorgängen. Bachmann drückt es so aus: "Heute gibt es nur noch Pieps." Das mag ein Grund dafür sein, warum Menschen an Dingen hängen, die niemand mehr braucht. Zum Beispiel an Weckern oder U-Bahn-Schildern mit Klappanzeigen. Als Paternoster in Deutschland verboten werden sollten, gründete sich sogar ein Verein, der für ihren Erhalt kämpfte - mit Erfolg.

Die erste gelbe Telefonzelle aus Kunststoff wurde am 29. September 1978 der Öffentlichkeit vorgestellt. Dafür reiste der Postminister extra nach Limburg an der Lahn. 40 Jahre später sind die Zellen Geschichte. Auch die Telefonzelle im Wallfahrtsort St. Bartholomä wurde gerade abgebaut. Und weil sie auf einem Boot über den in der Sonne glitzernden Königssee vor traumhafter Bergkulisse abtransportiert wurde, drehte die Telekom einen sentimentalen, zehn Minuten langen Film über die letzte Reise der letzten gelben Telefonzelle. Der symbolträchtige Abgang hatte nur einen Haken: Es war gar nicht die letzte, die da öffentlichkeitswirksam übers Wasser fuhr.

Zwei Tage, nachdem die Telekom das Abschiedsvideo veröffentlicht hatte, fotografierte ein zufällig vorbeikommender Lokaljournalist des Westfälischen Anzeigers den Abbau einer gelben Zelle in Hamm. Vor wenigen Tagen wurde noch eine in Aachen gesichtet, allerdings ohne Innenleben. Wo sonst noch welche herumstehen, kann niemand mit Sicherheit sagen.

Ausgemusterte Telefonhaeuschen der Telekom. (Foto: vision photos/Klostermeier)

Eine Telefonzelle hat er einem Bauern abgekauft, der darin Futter gelagert hatte

Da die gelben Telefonzellen mit den abgerundeten Ecken - offizieller Name: TelH78 - so beliebt sind, begann die Telekom 2014, ausrangierte Exemplare zu verkaufen. Auch Bachmann ließ sich auf die Warteliste setzen. Im Dezember 2015 war es so weit: Er zahlte 600 Euro und durfte sein persönliches Exemplar im Lager in Michendorf, einem Dorf in Brandenburg, abholen. Richtig aufgeregt sei er gewesen, erzählt er. Lange umschauen durfte er sich auf dem "Telefonzellenfriedhof" allerdings nicht. Ein Mitarbeiter habe ihm recht leidenschaftslos erzählt, dass sie dort im Lager eigentlich anderes zu tun hätten, als alte Zellen herzurichten und Besucher herumzuführen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die gelben Häuschen laut Telekom inzwischen ausverkauft sind, obwohl auf den Luftaufnahmen bei Google Maps am Rande des Lagers noch einige gelbe Vierecke zu sehen sind. Die grau-magentafarbenen Zellen werden noch immer angeboten. Für die interessiert sich aber kaum jemand.

Bachmann hat sein TelH78 zwischen Haustür und Küchenfenster aufgestellt. Daneben möchte er demnächst noch eine gelbe Telefonhaube montieren. Sein Lieblingshäuschen steht etwas versteckt auf der Terrasse. Es hat ein Spitzdach und schwarze Fensterkreuze und stand einst in einer historischen Altstadt. Zwischen violett blühendem Flieder und einem Birnbäumchen steht Bachmanns älteste Zelle: ein eckiges "Fernsprechhäuschen" aus den 1950er-Jahren. Es ist aus Metall mit bodentiefen Glasscheiben. Bachmann hat es als rostige Ruine einem Bauern abgekauft, der darin Futter auf einer Weide gelagert hatte. Er restaurierte es und ließ es lackieren, natürlich im Originalfarbton honiggelb. Nun blickt er jeden Tag von seinem Arbeitszimmer aus darauf. Innen hängt der dazugehörige Münzapparat, Baujahr 1969. Er ist der einzige, den Bachmann ans öffentliche Telefonnetz angeschlossen hat. Er bringt Schälchen mit Münzen: 10 Pfennige, 50 Pfennige und D-Mark-Stücke. Der Sammler selbst hat nur einmal seine Eltern im Haus nebenan angerufen, zu Testzwecken. Sonst nutzt er ein schnurloses Festnetztelefon oder sein Handy.

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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