Gas-Pipeline:Nord Stream 2 - die vergiftete Röhre

Röhren liegen in Kotka, Finnland, bereit für die Nordstream 2.

Im finnischen Kotka lagern Rohre für die Gas-Pipeline Nord Stream 2.

(Foto: Axel Schmidt/REUTERS)

Das Energieprojekt um die Gas-Pipeline könnte noch in diesem Jahr fertig werden. Problematisch wird es aber bleiben, nicht nur aus politischen Gründen.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Das Verrückteste an der zweiten Ostsee-Pipeline ist, dass sie überhaupt kommt. Die Ukraine protestiert, halb Europa ist dagegen, die USA drohen mit Sanktionen. Doch die Verlegeschiffe versenken Kilometer um Kilometer Röhre in die Ostsee. Den Streit um die europäischen Regeln für den Gastransport haben die EU-Staaten in letzter Minute beigelegt, nur noch aus Dänemark stehen Genehmigungen aus. Gut möglich, dass die Pipeline noch in diesem Jahr fertig wird.

Vergiftet aber wird sie bleiben.

Nirgends spiegelt sich die geostrategische Bedeutung von Energielieferung besser als in dem Projekt durch die Ostsee. Natürlich ist sie ein politisches Projekt, auch wenn die Bundesregierung das lange geleugnet hat. Auf Sicht beraubt sie die Ukraine eines zentralen strategischen Vorteils: Für EU und Russland war das Land gleichermaßen wichtig, für die einen wegen der Gasversorgung, für die anderen wegen des Gasabsatzes.

Mit dem Bypass durch die Ostsee wird diese Funktion dramatisch leiden. Wer glaubt, dass sich trotzdem eine Win-win-Situation aushandeln lässt, in der die Ukraine weiter fest vereinbarte Gasmengen transportieren kann, ist naiv. Die Infrastruktur zu Land ist in Teilen überaltert; sie zu modernisieren würde zumindest die Aussicht auf einen dauerhaften Gastransit voraussetzen. Genau diese Aussicht aber schwindet mit Nord Stream 2. Dass die Ukraine in einer Phase, in der sie mit Russland in offener Konfrontation liegt, dieses Druckmittels beraubt wird - das ist der eigentliche politische Skandal an Nord Stream 2. Öffentlich solidarisieren sich Europäer und Deutsche mit Kiew. Faktisch unterminieren sie dessen Einfluss.

Der größte Profiteur trägt besondere Verantwortung: Deutschland

Dahinter allerdings steckt auch politische Rationalität. Denn wenn der Gastransit zum Druckmittel wird, dann leiden darunter vor allem die Empfängerländer. Schon zweimal mussten die Westeuropäer lernen, was das heißt; beide mal konnten sich Russland und die Ukraine nicht auf Gaspreise einigen. Nord Stream 2 kann helfen, diese Unsicherheit zu beseitigen. Das ist wichtig in Zeiten, in denen die Niederlande die Gasförderung drosseln, während Deutschland Braunkohlekraftwerke stilllegt. Dem klimafreundlicheren Gas wird zumindest übergangsweise eine größere Rolle zukommen. So politisch vergiftet das Projekt sein mag - wirtschaftlich hat es einige Bedeutung.

Dem größten Profiteur der Pipeline kommt damit aber eine besondere Verantwortung zu: Deutschland. Mit der zweiten Leitung wird es zur Drehscheibe für sibirisches Erdgas. Das muss Nachbarn wie Polen ängstigen, die darin eine wachsende Hegemonie Deutschlands in Europa sehen, gerade auch vor dem Hintergrund der jüngeren europäischen Geschichte. Entkräften lässt sich diese Angst nur durch reales Handeln. Etwa durch eine rigide Kontrolle der neuen Pipeline und ihrer Anschlussleitungen durch die Bundesnetzagentur. Nichts darf den Eindruck entstehen lassen, Deutschland wolle seine Schlüsselstellung zuungunsten seiner Nachbarn ausnutzen. Die besondere Verantwortung erstreckt sich, so zynisch es klingen mag, auch auf die Ukraine: Sollte Moskau deren strategische Schwächung ausnutzen wollen, dann braucht es die klarsten und entschiedensten Antworten darauf künftig aus Berlin.

Denn auch das ist das Wesen einer Pipeline: Sie macht die Staaten an beiden Enden zu Abhängigen. So sehr die Staaten Westeuropas das Gas brauchen, so sehr braucht Russland deren Gasbezug. Die Europäer können diesen taktischen Hebel aber nur ausnutzen, wenn sie Alternativen aufbauen. Dazu gehört eine Infrastruktur für Flüssiggaslieferungen, mit der sich mehr Gas aus Nordamerika oder dem Persischen Golf heranschaffen lässt, dazu zählen zusätzliche Speicher, um Lieferunterbrechungen zu puffern, ebenso die stärkere Nutzung sogenannter Power-to-gas-Technologien: Sie erlauben es, überschüssigen Ökostrom in Wasserstoff oder Methan umzuwandeln; beides lässt sich in das Gasnetz einspeisen. Russland mag zwar in der Vergangenheit stets verlässlich Gas geliefert haben. Spätestens mit der Annexion der Krim aber steht alle Verlässlichkeit infrage.

Unabhängig von Gaslieferungen wird ohnehin nur, wer möglichst unabhängig vom Gas ist. Deutsche und Europäer tun deshalb gut daran, den Energiebedarf weiter zu drosseln: durch bessere Gebäude, mehr erneuerbare Wärme, effizientere Energieprozesse. Wenn nämlich Europa wie geplant bis 2050 seine klimaschädlichen Emissionen um 80 Prozent senkt, dann darf auch durch die Ostsee nicht mehr viel Gas fließen.

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