Süddeutsche Zeitung

Nord-LB:Verheerendes Zeugnis für Norddeutsche Landesbank

  • Die Nord-LB ist in einer deutlich schwierigeren Lage als bislang öffentlich bekannt.
  • Interne Prüfer stellen der Bank ein geradezu vernichtendes Urteil aus. Das zeigen vertrauliche Dokumente.
  • Die Bank stellt die Berichte jedoch als völlig normal dar - von "Krisenmodus" keine Spur.

Von Meike Schreiber, Jan Willmroth und Markus Zydra, Frankfurt

Als Finanzminister beherrscht Reinhold Hilbers die Sprache der Politik. Wenn der CDU-Mann aus Niedersachsen, der im Nebenamt den Aufsichtsrat der Norddeutschen Landesbank leitet, also in bester politischer Rhetorik immer wieder betont, die Bank sei "nicht im Krisenmodus", sollte man das nicht so wörtlich nehmen. Minister brauchen diese Gabe, die Dinge freundlicher darzustellen, als sie wirklich sind - nicht zuletzt, wenn sie mit Staatsbanken zu tun haben.

In diesem Fall kann man sich allerdings doch fragen, was denn für Hilbers der "Krisenmodus" wäre. Die Nord-LB ist jedenfalls in einer deutlich schwierigeren Lage, als bislang öffentlich bekannt. Mehr als hundert Seiten an vertraulichen Dokumenten, die NDR und Süddeutscher Zeitung vorliegen, geben detailliert Einblick in den Zustand der Bank: Die bekommt demzufolge seit Jahren ihre Abläufe in etlichen Bereichen nicht in den Griff und überblickt an wichtigen Stellen offenbar ihre Risiken nicht ausreichend. Dabei leidet die Nord-LB ohnehin unter der nicht enden wollenden Schifffahrtskrise, weil sie viel zu viele Schiffe finanziert hat, deren Käufer ihre Kredite teils nicht mehr bedienen. Die Bank braucht daher dringend frisches Kapital. Seit Monaten ringen das Land Niedersachsen und die Sparkassen als Eigentümer darum, wie das gehen könnte, ohne dass die EU das als verbotene Beihilfe wertet. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Steuerzahler rund zwei Milliarden Euro in die Bank stecken müssen. Auch der Einstieg privater Investoren wird durchgespielt.

Die Berichte lesen sich wie eine Abrechnung mit dem eigenen Management

Die nun vorliegenden internen Berichte erlauben zu einem also heiklen Zeitpunkt einen seltenen Einblick in das Innere einer Bank. Und sie lesen sich wie eine Abrechnung mit dem Management. Verfasst wurden die insgesamt acht ausführlichen Papiere zwischen Mai 2016 und Mai 2018 von der internen Revision der Nord-LB - jener Abteilung, die überwacht, dass alle im Hause das tun, was sie sollen. Und die Prüfer fällen ein geradezu vernichtendes Urteil, Tenor: Der Vorstand habe wichtige Themen nicht gut genug im Blick. In keinem der Papiere vergeben die Prüfer eine bessere Note als "ausreichend", einige sind gar mit "mangelhaft" überschrieben. Unter den Gesamtnoten folgen seitenlange Listen von Versäumnissen und Schlampereien, sogar von Verstößen gegen aufsichtsrechtliche Anforderungen ist die Rede.

Einen Fokus legen die Prüfer auf das wichtigste Risiko der Bank, die Schiffsfinanzierungen. Zwei Prüfungen aus den Jahren 2017 und 2018, beide mit Note "mangelhaft", kritisieren unter anderem Versäumnisse bei der Überwachung bestehender Kredite. Derzeit hat das Geldhaus solche Darlehen in Höhe von etwa zwölf Milliarden Euro in der Bilanz und muss stets genau abschätzen, wie viel sie tatsächlich wert sind. Eigentlich rechnen Banken gerade in solchen Bereichen besonders genau, denn je nachdem, ob Kredite zu hoch oder zu niedrig bewertet werden, brauchen sie sofort weniger oder mehr Kapital.

"Weiterhin bestehende extrem schwache Datenqualität"

Die Prüfer der Nord-LB werfen ihrer Bank aber vor, in neun von 20 überprüften Fällen Kredite nicht ordnungsgemäß überwacht zu haben. Bei zwölf von 20 "relevanten Kreditnehmern" seien Jahresabschlussunterlagen nicht ordnungsgemäß oder zu spät ausgewertet worden. In vier Fällen sei die "Gesundung" von Kreditnehmern festgestellt worden, ohne dass die Voraussetzungen dafür bestanden hätten.

An anderer Stelle kritisieren die Prüfer eine "weiterhin bestehende extrem schwache Datenqualität" in bestimmten Kredit-Dokumentationen. In einigen Fällen hätten die Kollegen finanzierte Schiffe zu spät oder überhaupt nicht besichtigt. Dabei hatte eine Prüfung der EZB der Nord-LB bereits 2016 viele Mängel attestiert. Die interne Revision kommt zu dem Schluss, dass zahlreiche dieser Mängel auch Anfang 2018 noch bestanden hätten - und das, obwohl die Bank der europäischen Aufsicht schon im Oktober 2017 mitgeteilt habe, sie habe alle Feststellungen abgearbeitet.

Während die Bank die Berichte als völlig normal darstellt, halten Experten sie für höchst problematisch - gerade bei einem angeschlagenen Institut wie der Nord-LB. "Revisionsberichte mit Gesamturteil 'mangelhaft' sind absolute Alarmsignale. Die Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen", sagt Klaus Fleischer, emeritierter Professor für Bankwirtschaft von der Hochschule München. Die Fehlersuche und Aufarbeitung koste Zeit und Geld und schade der Reputation. "Die Politiker in den Kontrollgremien sowie der Vorstand müssen derartige Mängel dringend abstellen", sagt Fleischer.

Sein Kollege Bernhard Herz, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Bayreuth, sagt: "Wenn eine Bank gegenüber der EZB erklärt, sie habe wie vereinbart alle Mängel abgearbeitet, und später stellt die interne Revision fest, dass das gar nicht der Fall ist, dann ist das ein Desaster - für die Bank, aber auch für die EZB". Die internen Prozesse müssten einfach funktionieren. Insbesondere ihre Daten müsse eine Bank im Griff haben.

Daran mangelt es bei Nord-LB aber offenbar nicht nur bei den Schiffskrediten. Nach zweimonatiger Prüfung bewertete die Revision Ende Mai 2018 auch den Sanierungsplanung der Bank als "mangelhaft". Diese Planung aber ist wichtig, weil sie Banken auf plötzliche Krisen vorbereiten soll. Dazu müssen die Institute seit einigen Jahren ihre eigene Sanierung durchrechnen und die Ergebnisse bei der Aufsicht einreichen und aufzeigen, woher sie im Notfall frisches Kapital bekommen könnten.

Ausgerechnet die ohnehin kriselnde Nord-LB aber, so der Schluss der Prüfer, würde im Ernstfall womöglich zu spät reagieren. "Bei mehreren Indikatoren des Sanierungsplans sehen wir hohe Gesamtbankrisiken darin, dass Impulse zu spät gegeben werden und die Reaktionszeit nicht ausreichen könnte", heißt es. So hätte beispielsweise bereits ein Anstieg der faulen Kredite in Richtung der Frühwarnschwellen "diametral zu der öffentlich kommunizierten Abbaustrategie das Risiko deutlich negativer Effekte."

Keine Spur von "Krisenmodus"

Die Nord-LB will in den Berichten dennoch nichts Ungewöhnliches sehen. Sie teilt mit, die Revision sei "durch den Vorstand dazu angehalten, besonders intensiv, umfassend und streng zu prüfen", um die internen Prozesse in allen Bereichen der Bank zu optimieren und sicher zu gestalten: "Kritische Befunde sind eine logische Konsequenz aus dieser Haltung." Sie würden zum Anlass genommen, entdeckte Schwachstellen konsequent und schnell zu beheben. Die vorliegenden Beispiele seien zudem nicht repräsentativ für die Gesamtheit der Befunde, in allen Fällen seien die Risiken angegangen worden. Die Bankenaufsicht werde ebenfalls mittels einem von ihr selbst festgelegtes Verfahren über Revisionsprüfungen und deren Konsequenzen informiert. Dem Vernehmen nach gilt dies insbesondere für kritische Berichte. Die deutsche Finanzaufsicht Bafin, die EZB-Bankenaufsicht und KPMG als Wirtschaftsprüfer der Nord-LB lehnten jeden Kommentar zu den Berichten ab.

Es mag sein, dass die interne Revision immer besonders hart urteilt, so wie es die Nord-LB verlauten lässt. Es fällt allerdings auf, dass die Erkenntnisse der internen Kontrolleure denen der Aufsicht ähneln. Auch die EZB hat einem der Berichte zufolge bereits den Sanierungsplan der Niedersachsen kritisiert. Die dort adressierten Mängel deckten sich in großen Teilen mit den Feststellungen der Revisoren. So ist beispielsweise von "stark mängelbehafteter und unzureichender Methodik und Kalibrierung der Frühwarn- und Sanierungsschwellen" die Rede.

Aus dem Finanzministerium in Hannover - dem Haus von Aufsichtsratschef Reinhold Hilbers also - heißt es zu der Angelegenheit übrigens, dass einzelne Prüfungsberichte dort gar nicht vorlägen. Man verfüge nur über Zusammenfassungen und die zeigten, dass die Innenrevision ihre Aufgabe erfülle, indem sie "Risiken benennt und den Vorstand beziehungsweise die verantwortlichen Bereichsleiter zum Handeln auffordert". Auch sehe man keine Anhaltspunkte dafür, dass Feststellungen nicht mit der notwendigen Sorgfalt aufgegriffen und die nötigen Maßnahmen eingeleitet wurden. Soll heißen: keine Spur von "Krisenmodus". Jedenfalls nicht an der Spitze der Bank.

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SZ vom 24.08.2018/vit
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