Nitratbelastung:Deutschland steckt im Gülle-Dilemma

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Luftaufnahme eines Ackers, auf dem Gülle ausgebracht wird. (Foto: Karina Hessland/imago)
  • Im Berliner Landwirtschaftsministerium geht es an diesem Montag um Nachbesserungen bei der Düngeverordnung.
  • Die EU-Kommission hat Deutschland wegen zu hoher Nitratwerte im Grundwasser verklagt. Es drohen empfindliche Strafzahlungen.

Von Silvia Liebrich, München

Viele Bauern sind verärgert. Tausende haben vergangene Woche in Münster ihren Ärger öffentlich gezeigt. Demonstranten legten am Donnerstag mit Traktoren zeitweise den Verkehr rund um den Domplatz lahm. Auf Plakaten war zu lesen: "Lasst uns am Leben" oder "Ohne Dünger keine Ernte". Der Grund für den Zorn sind schärfere Düngeregeln, die den Einsatz von Gülle auf Feldern beschränken sollen. Ein Teil der Landwirte, vor allem Tierhalter, sehen darin eine existenzbedrohende Gefahr für ihre Betriebe. Auch weil sie nicht mehr wissen, wohin mit den Hinterlassenschaften ihrer Tiere.

Der Streit um die Gülle spitzt sich zu. Dabei steht auch die grundlegende Frage im Raum, wie sehr Agrarbetriebe mit Gülle und Mineraldünger das Grundwasser belasten dürfen, aus dem Wasserversorger Trinkwasser für die Bevölkerung aufbereiten. Es geht um Nitrat, Messwerte und den Schutz von Gesundheit, Umwelt und Klima. Vor allem aber geht es um die Frage, welches Interesse schwerer wiegt: das der Landwirte auf akzeptable Produktionskosten und ein verlässliches Einkommen oder das der Bürger auf eine intakte Umwelt und erträgliche Wassergebühren.

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Wie ernst die Lage ist, lässt sich auch daran ablesen, dass Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) eigens aus Berlin zu den Protesten angereist ist. Die Frau, die sonst gern den Schulterschluss mit der Bauernschaft sucht, hat es nicht einfach an diesem Tag in Münster. In Jeans und Steppjacke steht sie auf der Bühne, begleitet von lauten Pfiffen und Zwischenrufen. Energisch verschafft sie sich Gehör: "Jetzt machen Sie sich doch mal locker", ruft sie Störern zu und setzt nach: "Wissen Sie, die Lautstärke ersetzt keine Argumente."

Inzwischen geht es in dem Konflikt nicht mehr nur um Argumente, sondern auch um viel Geld. Geld, das die EU-Kommission bald von der Bundesregierung einfordern könnte. Sie hat Deutschland wegen zu hoher Nitratwerte im Grundwasser verklagt und Recht bekommen vor dem Europäischen Gerichtshof. Schafft es die Bundesregierung nicht, Brüssel bald eine überzeugende Düngeregelung vorzulegen, drohen empfindliche Strafzahlungen. Genauer gesagt: 857 000 Euro pro Tag. Diese Zahl steht so auch in einem nicht veröffentlichten Papier aus dem Bundesagrarministerium (BMEL). "Deutschland müsste so lange bezahlen, bis die Anforderungen der Europäischen Kommission erfüllt wären", heißt es darin weiter. Hochgerechnet aufs Jahr macht das im schlechtesten Fall mehr als 300 Millionen Euro.

Beträge in dieser Höhe können einen handfesten Koalitionskrach auslösen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) dürfte solch horrende Strafen nicht einfach so hinnehmen. Agrarministerin Klöckner muss liefern, und das möglichst bald. Sie will deshalb Anfang dieser Woche Gespräche mit allen Beteiligten führen und auch bei der EU für Aufschub und Zugeständnisse werben. Denn eigentlich hätte die Bundesregierung bereits bis Ende März einen Lösungsvorschlag in Brüssel vorlegen sollen, doch sie hat den Termin verstreichen lassen.

Inzwischen sind nicht nur Bauern und Brüssel am Ende mit ihrer Geduld, sondern auch Wasserverbände und Umweltschützer. Martin Weyand, ein drahtiger Mann Mitte 50, sitzt mit hochgekrempelten Ärmeln in seinem Büro in Berlin Mitte und gibt sich kampfeslustig. "Fakt ist, dass wir seit 26 Jahren eine EU-Nitratrichtlinie haben, die von Deutschland nicht eingehalten wird. Das ist skandalös", findet der Geschäftsführer des Bundesverbands Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Es werde immer schwieriger, Grundwasser aufzubereiten, weil die Nitratbelastung in den vergangenen 15 Jahren erheblich zugenommen habe, klagt er.

Das zeigen auch Daten des Umweltbundesamtes: Knapp ein Drittel der Grundwassermessstellen in Deutschland weisen zu hohe Nitratwerte aus. Bis zu 40 Prozent befinden sich in einem bedenklichen Zustand, sie liegen bereits knapp unter dem Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter. Besonders betroffen sind Gebiete in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, aber auch in Bayern. Als Hauptgrund gilt die hohe Dichte an Ställen mit einer großen Zahl an Schweinen, Rindern und Hühnern, die dazu führt, dass Äcker und Weiden überdüngt werden. Für Wasserversorger in betroffenen Gebieten bedeutet das, sie müssen Brunnen tiefer bohren oder neue graben.

Hinzu kommen höhere Ausgaben für Aufbereitungstechnik. "Kunden müssen mit ihrer Wasserabrechnung dafür zahlen, dass die Landwirtschaft Nitratwerte nicht einhält" sagt Weyand. Immerhin 70 Prozent des Trinkwassers werden nach seinen Angaben aus Grundwasser gewonnen. "Die Landwirtschaft kann nicht die Vorteile einstreichen und die Kosten auf die Bevölkerung abwälzen", ergänzt er und spielt damit auf die sechs Milliarden Euro an Agrarsubventionen für Landwirte an, die Brüssel pro Jahr an Deutschland überweist, mitfinanziert von deutschen Steuerzahlern.

Tatsächlich zieht sich der Streit um die Düngeverordnung bereits seit Jahren hin. Zwar wurde die derzeit geltende Düngeverordnung erst vor zwei Jahren nach zähem Ringen novelliert, doch diese stand von Anfang an in der Kritik, weil sie zu viele Schlupflöcher und Ausnahmen zulässt. Dies bestätigt auch ein Rechtsgutachten, das der Wasserverband BDEW an der Universität Trier in Auftrag gegeben hat. Es kommt zu dem Schluss, dass Deutschland Strafe zahlen muss, wenn es nicht nachbessert. "Da rollt eine Welle heran, die nicht leicht aufzuhalten ist" warnt Geschäftsführer Weyand.

Klöckner müsse diese Welle aufhalten, und zwar ohne dass die Bauern weitere Zugeständnisse machen müssen. Das fordert Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), ein großgewachsener Mann mit stahlblauen Augen. Luftlinie ist sein Büro kaum hundert Meter entfernt von dem Weyands, doch inhaltlich verläuft dazwischen ein tiefer Graben. Rukwied weist die Forderung der EU-Kommission, die neue Düngeverordnung kurzfristig wieder zu verändern, als unangemessen zurück. "Die EU-Kommission ist gefordert, die Fortschritte durch das neue Düngerecht in Deutschland anzuerkennen und nicht mit unverhältnismäßigen Strafandrohungen weitere Verschärfungen zu erzwingen", so Rukwied. Die Tierhaltung gehe bereits überproportional zurück, argumentiert er. Auch der Mineraldüngerabsatz sei laut aktuellen Zahlen im laufenden Wirtschaftsjahr deutlich zurückgegangen.

Kritiker werfen Rukwied eine Blockadehaltung vor. Er selbst weist das entschieden zurück: "Die deutschen Bauern stehen klar zum Gewässerschutz", betont der DBV-Präsident. "Wir setzen auch auf kooperativen Ansatz beim Gewässerschutz - Landwirte gemeinsam mit den Wasserverbänden", erklärt er. BDEW-Mann Weyand wundert sich über diese Aussage. Bislang habe der Bauernverband keinen eigenen Vorschlag auf den Tisch gebracht, wie sie das Problem gemeinsam lösen könnten, sagt er.

"Landwirte brauchen Hilfe im Kampf gegen die Nitratmisere"

Umweltschützer sehen den Kern des Problems darin, dass in den stark belasteten Regionen zu viele Tiere gehalten würden. Sie fordern, den Bestand zu verringern. Dafür müsse der Staat den Bauern finanzielle Anreize setzen, heißt es bei der Umweltorganisation WWF, "Landwirte brauchen Hilfe im Kampf gegen die Nitratmisere". Die Bundesregierung müsse den Umbau hin zu einer umweltfreundlichen und tiergerechten Nutztierhaltung sofort beginnen, fordert der BUND.

Für eine staatliche Begrenzung der Tierbestände gibt es in der großen Koalition jedoch keine Mehrheit. Im Gespräch ist stattdessen eine Reduktion der Güllemenge um 20 Prozent auf den Acker- und Weideflächen in gefährdeten Gebieten. Ein Forderung, die selbst der Ökoverband BÖLW ablehnt. Biobauern würden ohnehin schon begrenzte Güllemengen ausbringen und schonten so Grundwasser. "Wasserschützern das Leben schwer zu machen, löst das Nitratproblem nicht, sondern verschärft es noch", heißt es dort.

Agrarministerin Klöckner bleibt nicht mehr viel Zeit, eine Lösung zu finden. Bei ihrem Auftritt in Münster macht sie deutlich, dass sie Verständnis für die schwierige Lage mancher Bauern hat, dass sie aber auch darauf bestehen wird, bei den Düngeregeln nachzubessern. Europa sei eine Gemeinschaft, der man sich nicht entziehen könne. "Wir können uns da jetzt nicht die Rosinen rauspicken", ruft sie den Landwirten zu. "Mit alles oder nichts kommen wir nicht weiter."

© SZ vom 08.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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