Viele Bauern sind verärgert. Tausende haben vergangene Woche in Münster ihren Ärger öffentlich gezeigt. Demonstranten legten am Donnerstag mit Traktoren zeitweise den Verkehr rund um den Domplatz lahm. Auf Plakaten war zu lesen: "Lasst uns am Leben" oder "Ohne Dünger keine Ernte". Der Grund für den Zorn sind schärfere Düngeregeln, die den Einsatz von Gülle auf Feldern beschränken sollen. Ein Teil der Landwirte, vor allem Tierhalter, sehen darin eine existenzbedrohende Gefahr für ihre Betriebe. Auch weil sie nicht mehr wissen, wohin mit den Hinterlassenschaften ihrer Tiere.
Der Streit um die Gülle spitzt sich zu. Dabei steht auch die grundlegende Frage im Raum, wie sehr Agrarbetriebe mit Gülle und Mineraldünger das Grundwasser belasten dürfen, aus dem Wasserversorger Trinkwasser für die Bevölkerung aufbereiten. Es geht um Nitrat, Messwerte und den Schutz von Gesundheit, Umwelt und Klima. Vor allem aber geht es um die Frage, welches Interesse schwerer wiegt: das der Landwirte auf akzeptable Produktionskosten und ein verlässliches Einkommen oder das der Bürger auf eine intakte Umwelt und erträgliche Wassergebühren.
Wie ernst die Lage ist, lässt sich auch daran ablesen, dass Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) eigens aus Berlin zu den Protesten angereist ist. Die Frau, die sonst gern den Schulterschluss mit der Bauernschaft sucht, hat es nicht einfach an diesem Tag in Münster. In Jeans und Steppjacke steht sie auf der Bühne, begleitet von lauten Pfiffen und Zwischenrufen. Energisch verschafft sie sich Gehör: "Jetzt machen Sie sich doch mal locker", ruft sie Störern zu und setzt nach: "Wissen Sie, die Lautstärke ersetzt keine Argumente."
Inzwischen geht es in dem Konflikt nicht mehr nur um Argumente, sondern auch um viel Geld. Geld, das die EU-Kommission bald von der Bundesregierung einfordern könnte. Sie hat Deutschland wegen zu hoher Nitratwerte im Grundwasser verklagt und Recht bekommen vor dem Europäischen Gerichtshof. Schafft es die Bundesregierung nicht, Brüssel bald eine überzeugende Düngeregelung vorzulegen, drohen empfindliche Strafzahlungen. Genauer gesagt: 857 000 Euro pro Tag. Diese Zahl steht so auch in einem nicht veröffentlichten Papier aus dem Bundesagrarministerium (BMEL). "Deutschland müsste so lange bezahlen, bis die Anforderungen der Europäischen Kommission erfüllt wären", heißt es darin weiter. Hochgerechnet aufs Jahr macht das im schlechtesten Fall mehr als 300 Millionen Euro.
Beträge in dieser Höhe können einen handfesten Koalitionskrach auslösen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) dürfte solch horrende Strafen nicht einfach so hinnehmen. Agrarministerin Klöckner muss liefern, und das möglichst bald. Sie will deshalb Anfang dieser Woche Gespräche mit allen Beteiligten führen und auch bei der EU für Aufschub und Zugeständnisse werben. Denn eigentlich hätte die Bundesregierung bereits bis Ende März einen Lösungsvorschlag in Brüssel vorlegen sollen, doch sie hat den Termin verstreichen lassen.
Inzwischen sind nicht nur Bauern und Brüssel am Ende mit ihrer Geduld, sondern auch Wasserverbände und Umweltschützer. Martin Weyand, ein drahtiger Mann Mitte 50, sitzt mit hochgekrempelten Ärmeln in seinem Büro in Berlin Mitte und gibt sich kampfeslustig. "Fakt ist, dass wir seit 26 Jahren eine EU-Nitratrichtlinie haben, die von Deutschland nicht eingehalten wird. Das ist skandalös", findet der Geschäftsführer des Bundesverbands Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Es werde immer schwieriger, Grundwasser aufzubereiten, weil die Nitratbelastung in den vergangenen 15 Jahren erheblich zugenommen habe, klagt er.
Das zeigen auch Daten des Umweltbundesamtes: Knapp ein Drittel der Grundwassermessstellen in Deutschland weisen zu hohe Nitratwerte aus. Bis zu 40 Prozent befinden sich in einem bedenklichen Zustand, sie liegen bereits knapp unter dem Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter. Besonders betroffen sind Gebiete in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, aber auch in Bayern. Als Hauptgrund gilt die hohe Dichte an Ställen mit einer großen Zahl an Schweinen, Rindern und Hühnern, die dazu führt, dass Äcker und Weiden überdüngt werden. Für Wasserversorger in betroffenen Gebieten bedeutet das, sie müssen Brunnen tiefer bohren oder neue graben.