Nissan:Schicksalstag

Jean-Dominique Senard, Hiroto Saikawa, Osamu Masuko

Renault-Chef Jean-Dominique Senard (links) und Nissan-Vorstandschef Hiroto Saikawa bei einer Pressekonferenz im März in Yokohama bei Tokio.

(Foto: Eugene Hoshiko/AP)

Am Dienstag kommen die Aktionäre des japanischen Autoherstellers zusammen. Dann könnte der Chef seinen Posten verlieren. Dann wird sich auch zeigen, ob die Allianz mit Renault eine Zukunft hat.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Sieben Monate nach dem Putsch gegen Carlos Ghosn muss Hiroko Saikawa, der Chef von Nissan, selbst um sein Überleben im Konzern fürchten. Der 65-Jährige gilt als Motor jener internen Untersuchung, die Ghosn, den Chef der Dreier-Allianz Renault-Nissan-Mitsubishi, im Winter zu Fall und in Untersuchungshaft brachte. Jetzt empfehlen zwei Beraterfirmen den Aktionären, Saikawa an der Jahreshauptversammlung von Nissan am Dienstag die Wiederwahl zu verweigern. Auch die Stimmen von Renault, mit 43 Prozent Nissans größter Aktionär, sollen ihm nicht sicher sein, berichten japanische Medien. Nissan behauptet, im Herbst bei internen Kontrollen entdeckt zu haben, dass Ghosn sich auf verschiedenen Wegen illegal aus Nissans Kassen bereicherte. Er soll Finanzgesetze umgangen und sich der Untreue schuldig gemacht haben. Die meisten dieser angeblichen Vergehen liegen etwa zehn Jahre zurück. Doch das Nissan-Management begann Ghosns Bezüge erst zu prüfen, als dieser von einer Fusion Nissans mit Renault zu reden begann. Die Führungsspitze unternahm auch keinerlei Versuche, die Probleme intern zu lösen, sondern schaltete die Sonderstaatsanwaltschaft ein. Diese verhaftete Ghosn im November nach seiner Landung am Flughafen Haneda. Ghosn, der jede Schuld bestreitet, saß etwa vier Monate in Untersuchungshaft und wartet seither auf seinen Prozess. Während seiner Haft warfen Nissan und später auch Renault ihn aus allen seinen Ämtern.

Die Verkaufszahlen sind eingebrochen. So schlecht war die Bilanz seit Jahren nicht mehr

Ghosn bereitete sich im Herbst darauf vor, Nissans in die Fusion mit Renault zu zwingen. Das wollte Saikawa verhindern. Ghosn, über Jahre Saikawas Mentor, bezichtigt ihn seither, gegen ihn geputscht zu haben. Ghosns Anwalt und ein großer Teil der japanischen Medien teilen diese Sichtweise. Saikawa wusste offenbar auch Japans Regierung hinter sich. Nach Ghosns Verhaftung gab er sich als Retter Nissans. Schon im April jedoch drängte der neue Renault-Vorstandschef, Jean-Dominique Senard, seinerseits zur Fusion. Aber auch er blitzte ab - und auch dieses Mal soll Nissan die Rückendeckung des Industrieministeriums gehabt haben.

Nissans Verkaufszahlen sind im vergangenen Jahr eingebrochen, vor allem in den USA. So schlecht war die Bilanz seit 2009 noch nie. Das hängt kaum mit Ghosns Sturz zusammen, das Unternehmen hat die Erneuerung seiner Modellpalette versäumt. Die Nachrichten über Ghosns Verhaftung waren aber auch nicht gerade hilfreich. Als Chef trägt Saikawa die Verantwortung für die schlechten Zahlen. Außerdem hat er mehrere Transaktionen abgezeichnet, für die Ghosn jetzt strafverfolgt wird. Und jüngst behauptete Ghosns früherer Vertraute Greg Kelly in einem Interview, Saikawa habe sich mit einem Aktientrick ebenfalls unredlich bereichert.

Nissan brauche einen sauberen Neustart, schreibt die Beraterfirma "Institutional Shareholder Services" und empfiehlt den Aktionären, Saikawa abzuwählen. Das hat auch Glass & Lewis, ebenfalls in der Beratung tätig, den Anlegern geraten. Von Renault heißt es, die Franzosen könnten Saikawa fallenlassen, falls dieser sich weiter gegen eine Fusion sperre. Allerdings spekulieren Japans Medien, dies könnte bloß eine taktische Drohung sein. Saikawa meinte vorige Woche zu einer möglichen Fusion: "Warum sollen wir Nissans Fähigkeit aufs Spiel setzen, Werte zu schaffen?"

Saikawa braucht mindestens 50 Prozent der Stimmen, um seinen Posten behalten zu können. Nissans Vorstand hat seine Wiederwahl empfohlen, einen offiziellen Gegenkandidaten gibt es nicht. Um Renault zu beschwichtigen, wird Nissan den Renault-Chef Thierry Bollore in den Vorstand holen. Außerdem soll in jedes der neu zu schaffenden Aufsichtskomitees zur geplanten Management-Reform ein Renault-Vertreter kommen. Renault hat Nissans Reformpläne allerdings bereits als unzureichend kritisiert.

Nissan und Renault sind sehr unterschiedliche Unternehmen, ihre Allianz ist asymmetrisch. Renault hängt von Nissans Technologie ab, Nissan erarbeitete bis zum Vorjahr jeweils auch höhere Profite als Renault. Dennoch wähnt Nissan sich Renault ausgeliefert. Die Franzosen halten 43 Prozent der Aktienstimmen Nissans. Nissans Renault-Aktien haben dagegen kein Stimmrecht. Zudem ist Renaults größter Aktionär der französische Staat, das betrachtet man in Tokio sehr misstrauisch.

Die Allianz hat bisher funktioniert, weil ihre Führungsstruktur auf Carlos Ghosn zugeschnitten war. Doch wie die meisten Autokraten hat der Libanon-Franzose keine Vorkehrungen getroffen für den Fall, dass er nicht mehr in der Lage wäre, das Konglomerat zu dirigieren. Die Nissan-Führung weiß, was sie nicht will: eine Fusion. Sie war auch gegen die inzwischen geplatzte Fusion von Renault und Fiat-Chrysler, wurde aber zunächst gar nicht gefragt.

Nissan macht Pläne für künftige gemeinsame Projekte, etwa für Elektroautos. Welche Strategie die Nissan-Führung mit Renault verfolgen soll, weiß sie hingegen nicht. Im Moment wehrt sie sich vor allem, damit sie nicht von Renault vereinnahmt werde. Saikawa warnte, wenn Renault erneut eine engere Integration vorschlage, "könnte das zu Spannungen führen". Am Dienstag wird sich zeigen, ob die Allianz zwischen Renault und Nissan ohne Ghosn eine Zukunft hat.

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