Zum Tod von Nikolaus Piper:Nik und das liebe Geld

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Nikolaus Piper (1952 bis 2024). (Foto: Altair de Bruin)

Klug, feinsinnig und stets ausgleichend: Der ehemalige Wirtschaftschef der SZ war einer der ganz großen Erklärer im deutschen Wirtschaftsjournalismus.

Von Ulrich Schäfer

Manchmal fragt man sich, was das Schicksal einem sagen will, wenn bestimmte Ereignisse auf das gleiche Datum fallen.

Es war der 15. September, ein Sonntag, als Nikolaus „Nik“ Piper sich im Jahr 2008 in die New Yorker Wall Street aufmachte. „Sie glauben gar nicht, was hier los ist“, rief er ins Telefon, als er sich an diesem Tag in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung in München meldete. Im Gebäude der Notenbank, der Federal Reserve, tagten Banker und Politiker, Limousinen rauschten in die Tiefgarage des Fed-Palastes und wieder heraus. Drinnen wurde über das Schicksal von Lehman Brothers entschieden – und die große Frage, ob eine der wichtigsten Investmentbanken der Welt pleitegehen darf. Am Ende musste sie, denn niemand war bereit, Lehman Brothers zu retten: weder die großen Geldhäuser, noch die Regierung in Washington oder Fed-Chef Ben Bernanke. In den Wochen danach stürzte die Welt in die schwerste Finanzkrise seit sechs Jahrzehnten.

Über diesen schwül-heißen Tag, der die Welt verändert hat, hat Nikolaus Piper seither immer wieder geschrieben. Die „wilden Tage in Manhattan“, so der Titel einer Reportage von 2013, haben sein Leben als Journalist nachhaltig verändert. Sie haben ihn, den streitbaren Anhänger der Marktwirtschaft, ein wenig milder werden lassen, ein wenig pragmatischer. Noch während der Finanzkrise las man plötzlich Leitartikel von Nik, in denen er vehement für ein stärkeres Eingreifen des Staates warb, in denen er die gewaltigen Rettungspakete verteidigte, mit denen die US-Regierung nach dem Lehman-Crash versuchte, Schlimmeres zu verhindern. Und er fand auch die härteren Regeln gut, die die Politiker anschließend den Banken verordneten.

„Nein, der Kapitalismus ist nicht schlecht.“

Aber Nikolaus Piper vollzog diesen Schwenk keineswegs, weil er plötzlich an der Marktwirtschaft zu zweifeln begann, sondern gerade weil er an sie glaubte – solange sie sich innerhalb ökonomisch sinnvoller Regeln abspielt. In einem Essay mit dem Titel „Nein, der Kapitalismus ist nicht schlecht“, schrieb er mal: „Misstrauisch muss einen die Klage über die ‚entfesselten‘ Märkte machen. Das würde ja implizieren, dass gefesselte, also unbewegliche Märkte etwas Gutes seien. Ein verhängnisvoller Irrtum.“

Nikolaus Piper war und blieb eben ein Ordoliberaler. Er war geprägt durch sein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Freiburg, wo Walter Eucken, Franz Böhm und andere in den 1950er-Jahren diese deutsche Spielart des Kapitalismus entwickelt hatten: eine Marktwirtschaft mit Ordnungsrahmen. Aber der Liberale in Nik glaubte mit zunehmenden Alter auch immer stärker an „das Prinzip Ordo“, an die Regeln, derer es bedarf.

Mittwochsporträt
:Das Prinzip Ordo

Walter Eucken war der Begründer der Freiburger Schule der Nationalökonomie und einer der wichtigsten Ökonomen der Nachkriegsgeschichte. Am Sonntag wäre er 125 Jahre alt geworden.

Von Nikolaus Piper

Und nun ist es wieder ein 15. September, wieder ein Sonntag, als sich die traurige Nachricht zu verbreiten beginnt, dass Nikolaus Piper im Alter von 72 Jahren an diesem Tag gestorben ist. Er, der feinsinnige, kluge, stets freundliche Nik. Einer der ganz großen, vielfach ausgezeichneten Erklärer im deutschen Wirtschaftsjournalismus. Ein Autor und Denker, der es verstand, komplexe volkswirtschaftliche Entwicklungen und Zusammenhänge so darzustellen, dass sie auch Laien verstehen.

In der Wirtschaftsredaktion wurde deshalb jedes Jahr im Oktober nie groß überlegt, wer denn diesmal den neuen Nobelpreisträger würdigt. Natürlich der Nik! Im Oktober 2022 schrieb er daher auch über Ben Bernanke, den Fed-Chef, der am 15. September 2008 Lehman Brothers hatte fallen lassen und später alles tat, um einen kompletten Kollaps wie in der Wirtschaftskrise 1929 zu verhindern. Zu eben jener großen Krise von 1929, schrieb Piper, habe Bernanke einst geforscht und gesagt, diese zu verstehen sei der „Heilige Gral der Ökonomie“.

Die Ökonomie zu verstehen: Das war auch Pipers großes Anliegen. Nicht immer wollte er dabei nur mit Argumenten überzeugen, die er in seinen Leitartikeln und Essays so klar und präzise wie nur wenige formulieren konnte. Er blieb dabei in seinen Texten und ebenso in den Debatten in der Redaktion gelassen im Ton, argumentierte in der Sache, suchte nie die knallharte Konfrontation, sondern stets den Ausgleich.

Oft wollte er auch einfach nur aufklären, einfach nur erklären, in der Zeitung ebenso wie in seinen Büchern. Das erste trug den Titel „Die großen Ökonomen“ und erschien 1994. Damals arbeitete Piper – nach Stationen bei der Badischen Zeitung, der SPD-Parteizeitung Vorwärts und der Nachrichtenagentur Associated Press – für die Zeit in Hamburg. 1997 verschlug es ihn erstmals und, nach kurzer Rückkehr zur Zeit, 1999 dann endgültig zur SZ nach München, wo er bis 2007 die Wirtschaftsredaktion leitete. Sein liebstes Buch aber war ihm „Felix und das liebe Geld“, ein Kinderbuch, welches er 1999 für seinen Sohn geschrieben hat und welches zu Recht preisgekrönt ist.

Auch vor einem Jahr, zum 15. Jahrestag von Lehman Brothers, hat sich Nikolaus Piper in der SZ wieder mit dem Crash von 2008 beschäftigt – und den Verwerfungen, die dieser erst in der Wirtschaft, dann in der Gesellschaft und schließlich in der Politik ausgelöst hat. „Die Lehman-Pleite war der Brandbeschleuniger für den Rechtspopulismus“, schrieb er in einem Leitartikel. Und weiter: „Niemand kann wissen, ob Donald Trump auch ohne die Folgen der Finanzkrise 2008 zum US-Präsidenten aufgestiegen wäre. Doch er profitierte massiv vom Klima der Verunsicherung – genau wie jetzt die AfD.“

Und alles begann an einem schwülen 15. September in New York.

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SZ PlusMeinung15 Jahre Banken-Crash
:Die Lehman-Pleite war der Brandbeschleuniger für den Rechtspopulismus

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