Süddeutsche Zeitung

Nigeria:Sechs Mal im Jahr Bakschisch

In Nigeria ist Korruption weit verbreitet. Bürger sollen nun bestechliche Beamte melden.

Von Bernd Dörries

Das Haus steht ausgerechnet auf der "Bananen-Insel" in der nigerianischen Metropole Lagos, die nicht wenigen als das Zentrum einer Art afrikanischer Bananenrepublik gilt. Ein Anwesen mit 13 Zimmern beschlagnahmte die Polizei dort vor wenigen Wochen. Die Eigentümerin ist Diezani Alison-Madueke, früher nigerianische Ölministerin und Chefin der Förderländer-Organisation Opec. Sie saß viele Jahre direkt an der Quelle und leitete ungeheuere Geldströme in ihre eigene Taschen um, eine halbe Milliarde Dollar, schätzt die nigerianische Economic and Financial Crimes Commission. Ganze Apartmentblöcke hat sich die Ex-Ministerin gekauft, Diamanten und Grundstücke. Nun wird gegen sie in Nigeria, Italien und Großbritannien ermittelt. Alison-Madueke ist gegen Kaution auf freiem Fuß.

Die Aufregung um die Gier der Ex-Ministerin hält sich in Grenzen in Nigeria, einem der korruptesten Länder der Welt. Literaturnobelpreisträger Chinua Achebe hat die Korruption schon vor Jahrzehnten in seinen Büchern beschrieben. Seit der Unabhängigkeit vor fast 60 Jahren hat sich jede Regierung den Kampf gegen die Bestechlichkeit auf die Fahnen geschrieben. Letztlich passierte das Gegenteil, der Krebs der Käuflichkeit und Raffgier wucherte weiter durch die Bevölkerung.

In der vergangenen Woche hat die Regierung zum ersten Mal einen detaillierten Bericht über die Korruption im Land vorgelegt. Das Amt für Statistik hatte 3300 Haushalte nach ihren Erfahrungen im Umgang mit offiziellen Stellen befragt und die Angaben auf die etwa 200 Millionen Einwohner des Landes hochgerechnet. Demnach müssen Nigerianer im Jahr durchschnittlich sechs Mal Bestechungsgeld zahlen.

Sie sind dabei weniger Mittäter als Opfer von Beamten, die normale staatliche Aufgaben nur noch gegen Bares erledigen. Wer seinen Führerschein oder die Taxilizenz verlängern möchte, muss oft mehrere Hundert Dollar zahlen. Insgesamt, so die Statistikbehörde, würden im Jahr 4,6 Milliarden Dollar für Bestechung gezahlt. Das entspricht in etwa 40 Prozent des staatlichen Bildungsetats. Und ist Geld, das Nigeria ganz gut für Investitionen gebrauchen könnte. Die einstmals größte Volkswirtschaft des Kontinents ist in eine Rezession geschlittert; der gesunkene Ölpreis reißt ein Loch in den Staatshaushalt. Im Norden tobt ein Krieg gegen die Terroristen von Boko Haram, eine Dürre macht Lebensmittel knapp und teuer. Bei der Bekämpfung der Korruption wurden aber zumindest kleine Fortschritte erzielt, die Ex-Ölministerin und ihre Clique flogen auf, andere sollen folgen.

Bisher galt Korruption in Nigeria als gesellschaftlich akzeptabel oder zumindest als ein Übel, gegen das man nicht ankommt. Wer Bestechung bei der Polizei anzeigte, galt als Nestbeschmutzer, weil in jeder Familie eben auch Angestellte des öffentlichen Dienstes zu finden sind - die auch die Hand aufhalten. Eine Gruppe von Nichtregierungs-Organisationen, Kirchenvertretern und der US-Botschaft hat nun ein Internet-Portal ins Leben gerufen, das den Bürgern erleichtern soll, Verstöße zu melden. Das Ziel sind nicht die großen Fische, sondern der Bakschisch im Alltag. Auf "Report Yourself" sollen die Bürger jene Beamten melden, die Geld verlangt haben. Die Seite will damit das Verhalten der Einzelnen bestrafen und zu einem Kulturwandel beitragen. Ein Sprecher der Gruppe fordert, dass staatliche Unternehmen wie Wasserversorger ihre Dienste digitalisieren sollten: Damit es für korrupte Mitarbeiter gar keine Möglichkeit mehr gebe, Geld für sich abzuzweigen.

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SZ vom 24.08.2017/cat
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