8000 zusätzliche Pflegekräfte versprechen Union und SPD im Koalitionsvertrag, als Sofortmaßnahme gegen den Pflegenotstand. Gemessen an den Schwierigkeiten, mit denen viele Pflegeeinrichtungen zu kämpfen haben, werden diese 8000 Stellen mittelfristig aber kaum ausreichen. Das wissen auch die künftigen Koalitionäre. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach wehrt sich dennoch gegen den Vorwurf, sie seien nicht ehrgeizig genug. "Wir hätte auch 300 000 reinschreiben können", sagte er diese Woche in Berlin, das hätte trotzdem nichts daran geändert, dass überhaupt nur 3000 bis 3500 Pflegekräfte eine Stelle suchten.
Union und SPD wollen deshalb an einer anderen Stellschraube drehen, um die Attraktivität des Pflegeberufs und infolgedessen das Arbeitskräfteangebot zu verbessern: bei der Bezahlung. Schließlich verdienen Altenpfleger mit einem Durchschnittslohn von 2621 Euro im Monat nach Angaben der Gewerkschaft Verdi zu wenig, um den Beruf für Einsteiger attraktiv zu machen. Pflegehelfer bekommen im Durchschnitt nur 1870 Euro. Hinzu kommt, dass die Teilzeitquote in der Pflege bei 60 Prozent liege - viele bekommen also das Vollzeitgehalt gar nicht.
Der zentrale Punkt des Koalitionsvertrags sei deshalb, so Lauterbach, ein höherer Lohn: Tarifverträge sollen in der Pflege künftig einfacher als bisher für alle Arbeitgeber verpflichtend gemacht werden. "Wir wollen die Bezahlung in der Altenpflege nach Tarif stärken", heißt es im Koalitionsvertrag. "Gemeinsam mit den Tarifpartnern wollen wir dafür sorgen, dass Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckend zur Anwendung kommen."
Das zentrale Problem bleibt die geringe gewerkschaftliche Organisation in der Branche
Wie aber soll das funktionieren? Das Zauberwort ist eines, das zunächst wenig zauberhaft klingt: Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Tarifverträge können nach dem Tarifvertragsgesetz vom Bundesarbeitsministerium für allgemein verbindlich erklärt werden. Unter anderem muss dafür der Tarifausschuss, der zu gleichen Teilen mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzt ist, zustimmen. Dann gelten die tariflichen Regelungen auch für Unternehmen, die eigentlich nicht tarifgebunden sind. Allerdings gibt es eine Hürde: Mindestens die Hälfte der Beschäftigten in der Branche muss unter einen Tarifvertrag fallen, damit dieser für die andere Hälfte verpflichtend gemacht werden kann.
In der Pflege würde eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung derzeit wohl genau daran scheitern. Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi arbeitet etwa die Hälfte der Beschäftigten für private Träger, von denen sich viele weigerten, Tarifverträge abzuschließen. Die andere Hälfte arbeitet im öffentlichen Dienst, für freigemeinnützige Träger wie die Arbeiterwohlfahrt - oder für die Kirchen. Letztere haben Union und SPD Lauterbach zufolge nun im Blick. Denn in kirchlichen Einrichtungen wie etwa der Caritas gibt es zwar meist keine Tarifverträge wie im öffentlichen Dienst oder bei freigemeinnützigen Trägern. Was es aber gibt, sind feste Entgeltvereinbarungen, geregelt über den "Dritten Weg", das Arbeitsvertragsrecht der Kirchen. Lauterbach will nun, dass diese kirchlichen Vereinbarungen mitzählen für die 50-Prozent-Quote und so der Weg frei wird für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung.
Die bisherigen Tarifverträge sind nur für bestimmte Arbeitgeber anwendbar
Bei Verdi stößt dieser Ansatz auf Skepsis. "Tarifverträge auf die ganze Branche zu erstrecken, ist gut und richtig", sagt Astrid Sauermann, zuständig für den Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen. Sie favorisierten aber eine Lösung über das Arbeitnehmerentsendegesetz. Eine Rechtsverordnung auf Basis des Entsendegesetzes wäre in der Tat eine Alternative zum Weg über das Tarifvertragsgesetz. Der Vorteil aus Sicht der Gewerkschaft: Das Arbeitsministerium könnte die Allgemeinverbindlichkeitserklärung auch gegen den Willen der Arbeitgeber durchsetzen; auch die 50-Prozent-Quote wäre nicht notwendig. Ob dem Tarifvertrag in der Branche zumindest eine gewisse Bedeutung zukommt, muss aber trotzdem geprüft werden.
Das Bundesarbeitsministerium weist dabei auf eine grundlegende Schwierigkeit hin: Gegenwärtig gebe es noch keinen Tarifvertrag in der Altenpflege, der auf dem einen oder anderen Weg für allgemein verbindlich erklärt werden könnte, sagte eine Sprecherin am Donnerstag. Die existierenden Tarifverträge seien nur für ganz bestimmte Arbeitgeber anwendbar, etwa für öffentliche, das Rote Kreuz oder die Arbeiterwohlfahrt.
Das zentrale Problem bleibt die geringe gewerkschaftliche Organisation in der Pflegebranche. In privaten Heimen gibt es laut einer Studie vom Berliner Wissenschaftszentrum nur in jedem zehnten Haus einen Betriebsrat. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste, der die Arbeitgeberseite bei Tarifverhandlungen vertreten könnte, äußerte sich deshalb skeptisch: "Da Gewerkschaften in den Pflegebetrieben so gut wie keine Mitglieder haben, muss man die Frage stellen, ob sie überhaupt ein Verhandlungsmandat haben", sagte Geschäftsführer Sven Halldorn.