Niedrige Steuerlast ausländischer Konzerne:Deutsche Firmen wollen auch tricksen dürfen

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Auch die Kaffeehauskette Starbucks beherrscht das Spiel mit den Steuern. (Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)

Konzerne wie Amazon oder Starbucks können ihre Steuerlast künstlich kleinrechnen. Die deutsche Wirtschaft hat das jahrelang gegeißelt - jetzt will sie selbst tricksen dürfen. Ausgerechnet Finanzminister Schäuble könnte dabei helfen.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Es gab Zeiten, da gehörte es auch in der deutschen Unternehmerschaft zum guten Ton, die Steuertricks neureicher Internetkonzerne wie Google, Facebook und Amazon mit deutlichen Worten zu geißeln. Auch die Wirtschaft, so hieß es dann, müsse ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten, es könne nicht sein, dass einzelne sich dem einfach entzögen.

Wenige Tage vor dem entscheidenden Treffen der Finanzminister aus den 20 größten Volkswirtschaften (G 20) am Wochenende im australischen Cairns ist davon nichts mehr zu hören. Im Gegenteil: Wenn ausländische Firmen ihre Steuerlast künstlich klein rechnen dürfen, heißt es nun übereinstimmend beim Industrieverband BDI wie im Lager der Familienunternehmer, dann wollen wir das auch.

Die Patentbox soll helfen

Natürlich wird der Wunsch nicht derart platt, sondern weitaus subtiler vorgetragen. Ziel sei eine "geringere Besteuerung von Erlösen aus Patenten, um Forschungsaktivitäten in Deutschland deutlich attraktiver" zu machen, so BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber.

Mittels einer sogenannten Patentbox ließen sich Anreize schaffen, um Innovation und Entwicklung im Lande sogar noch auszubauen. Schließlich sei die hiesige Besteuerung von Forschungserlösen mit 30 Prozent fast sechsmal so hoch wie in den Niederlanden und dreimal so hoch wie in Großbritannien.

Ins gleiche Horn stößt Lutz Goebel, der Chef des Familienunternehmerverbands. Angesichts der großen Unterschiede in der Besteuerung von Patenterlösen sei "klar, dass multinationale Konzerne ihre Patente im Ausland anmelden". Familienunternehmer mit Wurzeln in Deutschland könnten und wollten das jedoch nicht. Deshalb müsse auch hierzulande eine Patentbox her.

Was klingt wie ein harmloses Gimmick aus der Spielzeugkiste, genießt unter deutschen Politikern einen denkbar schlechten Ruf. Zwar wollen alle Parteien die Betriebe bei ihrer Forschungsarbeit eher unterstützen als behindern. Die Patentbox aber, also ein im Vergleich zur eigentlichen Gewinnsteuer deutlich niedrigerer Satz für Patenterlöse, gilt ihnen zuallererst als riesiges Steuerschlupfloch.

In der Praxis nämlich deklarieren viele Konzerne ihre Gewinne einfach als Patent- oder Lizenzeinnahmen und verschieben sie so lange zwischen ausländischen Töchtern hin und her, bis die effektive Steuerlast fast null beträgt. Dieses Spiel beherrschen neben den neuen Internetriesen auch viele Unternehmen der Old Economy, etwa die Kaffeehauskette Starbucks oder der Möbelhändler Ikea.

Seit Jahren schon bemühen sich die Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) darum, hier einen gemeinsamen Nenner zu finden - bisher vergeblich, denn viele Regierungen sehen in der Patenbox ein Instrument des Standortmarketings, das sie nicht aufgeben wollen.

In seinem Ärger über die anhaltende Blockade denkt mittlerweile sogar Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über einen Kurswechsel nach: Statt der Patentbox OECD-weit den Garaus zu machen oder, wie im Koalitionsvertrag von Union und SPD vorgesehen, notfalls allein voran zu marschieren, denkt Schäuble nach Angaben aus Regierungskreisen darüber nach, selbst einen niedrigen Steuersatz für Patenterlöse einzuführen. Motto: Wenn es nicht gelingt, die Steuertricksereien andernorts einzudämmen, sollen wenigstens die deutschen Unternehmen mit tricksen können.

Allein den EU-Staaten sollen jährlich eine Billion Euro entgehen

Immerhin: Nach einem Bericht des Magazins Der Spiegel will der Minister zumindest dafür sorgen, dass weltweit einheitliche Regeln für die Konstrukte gelten. So sollen etwa Patenterlöse von Briefkastenfirmen nicht mehr begünstigt werden.

Doch nicht einmal darüber herrscht wenige Tage vor dem G-20-Treffen Einigkeit, wie der am Dienstag vorgelegte neue Zwischenbericht der OECD zeigt. Er sieht vor, die Regeln zur Besteuerung von Betriebsstätten anzupassen. Sie stammen teilweise noch aus der Zeit des Völkerbundes von 1920. Darüber hinaus will die OECD verhindern, dass Tochterfirmen Zahlungen an ihre im Ausland sitzende Zentrale als Zinsen steuermindernd geltend machen, die Konzernmutter das Geld aber als steuerfreie Dividende einstreicht.

Auch sollen sich Konzerne nicht mehr arm rechnen können, indem sich Mutter und Töchter Mondpreise für gruppeninterne Leistungen in Rechnung stellen. Zudem sollen Konzerne den Steuerbehörden mitteilen müssen, wie viel Steuern sie in welchem Land bezahlen.

Beim Thema Patentbox hingegen besteht laut OECD noch "Gesprächsbedarf" - weshalb die hiesigen Familienunternehmer schon frohlocken, dass Schäuble auch ihnen bald einen hübschen neuen Niedrigsteuersatz anbieten wird. "Er hat verstanden, dass es bei der Debatte um internationale Gewinnverlagerung nicht nur um die Frage nach Steuergerechtigkeit geht, sondern vor allem um die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Familienunternehmen", jubelt Verbandsboss Goebel.

"Statt neue Vorschriften zu erfinden, die nicht nur die angeprangerten steuervermeidenden Großkonzerne treffen, sondern speziell den deutschen Mittelstand, stärkt eine Patentbox den Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland." Experten schätzen, dass allein den EU-Staaten wegen der Trickseren der Konzerne pro Jahr eine Billion Euro an Steuererlösen entgehen. Dazu sagte Goebel nichts.

© SZ vom 17.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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